12. EMMA-Journalistinnenpreis: Acht

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Er gehörte zwar nicht zur Jury, aber dennoch konnte Kulturstaatsminister Neumann (Foto rechts) die Qualität des 1. Preises besonders gut beurteilen. Denn er gehört zum Bundeskabinett. Und Spiegel-Redakteurin Kerstin Kullmann (Foto Mitte) hatte über die sehr unterschiedlichen Machtrituale der Ministerinnen geschrieben. „Als Angehöriger dieser Runde muss ich sagen: Sehr gut beobachtet!“ schmunzelte der Minister. Überhaupt schien Bernd Neumann Vergnügen an der Verleihung dieses 12. EMMA-JournalistInnen-Preises am 15. Mai zu haben, die diesmal in Berlin in den eleganten Räumen des Institut Français am Kurfürstendamm stattfand. Nach seiner Eröffnungsrede verließ Neumann nicht etwa, wie bei vielbeschäftigten Ministern üblich, die Veranstaltung, sondern blieb wie alle rund 150 Gäste zwei Stunden sitzen, bis zum – außerordentlich übermütigen – Schluss. Aber dazu später mehr.

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„Sofort und spontan“ habe er zugesagt, als Alice Schwarzer im Oktober 2011 anfragte, ob das Staatsministerium für Kultur und Medien nicht das Sponsoring des Preises übernehmen wolle, erklärte Neumann. Bisher hatte das NRW-Frauenministerium die Preisgelder gestiftet. Jetzt übernimmt die Hauptstadt. Denn, so der Minister: „Ich finde es angemessener, dass dieser Preis auf Bundesebene gefördert wird.“
Wie groß die strukturelle Benachteiligung von weiblichen Journalisten auch 22 Jahre nach der Initiierung des EMMA-JournalistInnenpreises heute noch ist, zeigen die Zahlen, die die Initiative ProQuote ermittelt hat: Zwar sind 60 Prozent der Volontäre in den Redaktionen inzwischen Volontärinnen, in den Chefredaktionen ist der weibliche Ansturm aber bisher nicht angekommen: Nur zwei Prozent der rund 360 Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland werden von Frauen geführt. „Deshalb haben 300 Journalistinnen den Chefredakteuren kürzlich einen freundlichen Brief geschrieben, in dem sie die 30-Prozent-Quote gefordert haben“, erklärte Alice Schwarzer. Die EMMA-Chefredakteurin gehört ebenfalls zu den Erstunterzeichnerinnen des Appells. „Und meine Kollegen haben alle sehr höflich und bemüht reagiert“, feixte sie. „Das lässt hoffen.“

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Selbstverständlich ist journalistische Qualität keine Frage des Geschlechts. Doch ob man als Frau oder als Mann durchs Leben geht, das prägt die Lebensrealität und den Blick. Eben dieser „Blick auf Machtverhältnisse und eine Haltung“ sind Kriterien an die preiswürdigen Texte, erklärte Preis-Initiatorin Schwarzer, „ebenso wie eine seriöse Recherche und Kreativität in Zugriff und Form.“ Dass auch immer mehr männliche Journalisten einen bewussten und sensiblen Blick auf die Geschlechterverhältnisse werfen, hatte EMMA im Jahr 2002 dazu bewogen, einen „Sonderpreis“ für Männer auszuschreiben. Seither schreibt sich der JournalistInnenpreis mit dem großen Binnen-I. Und da sich auch diesmal wieder drei Kollegen den Männerpreis brüderlich teilen, herrschte beim EMMA-JournalistInnen-Preis 2012 eine 60:40-Quote.
Aus insgesamt 173 Einsendungen mit 317 Beiträgen hat die sechsköpfige Jury - die mit taz-Chefredakteurin Ines Pohl, heute journal-Moderatorin Marietta Slomka und Jeanne Rubner vom Bayrischen Rundfunk vertreten war - Ulla Hahn und Antonia Rados waren verhindert-, insgesamt acht Texte prämiert: Den zweiten Preis vergab die Jury gleich zweimal, zum gleichen Thema. In beiden Texten geht es in sehr unterschiedlicher Weise um Putzfrauen, die sich aus einem harten Leben „herausputzen“... Den einen hat Sybille Hamann für den Wiener Falter geschrieben, den anderen Kerstin Greiner vom SZ-Magazin.
Über ein Projekt der Lokalredaktion des Lauterbacher Anzeigers herrschte so einhellige Begeisterung bei den Top-Journalistinnen, dass ein Sonderpreis her musste: Die Redakteurinnen Claudia Kempf und Annika Rausch bekamen ihn für ihre Porträt-Serie über die türkischen Nachbarinnen, die seit Jahrzehnten in der 15.000-Einwohner-Stadt leben, aber für die Deutschen Unbekannte geblieben waren. Kempf und Rausch waren gemeinsam mit Chefredakteurin Astrid Knöß (eine der zwei Prozent!) und Ehemännern aus Hessen angereist, sie berichteten ihren Hauptstadt-KollegInnen, wie man so ein Projekt in einer vierköpfigen Lokalredaktion stemmt: „Wir haben all die Gespräche mit den Frauen in unserer Freizeit geführt. Anders hätten wir das nicht geschafft.“ Zum Dank werden sie jetzt auf türkische Feste eingeladen.
Die 1. Preisträgerin Kerstin Kullmann wunderte sich darüber, wie oft sie unter KollegInnen das Wort „Zickenkrieg“ hört, wenn weibliche Politiker miteinander um Inhalte streiten. „Ich hoffe, dass mein Text dazu beiträgt, dass eines Tages so über Frauen und Macht geredet wird, wie ich mir das wünsche: normal und unaufgeregt.“ Julia Niemann (3. Preis) berichtete von dem Shitstorm, der über die taz hereinbrach, nachdem dort ihr Text über die Macchiato-Mütter vom Prenzlauer Berg erschienen war. Und Kerstin Greiner (2. Preis) erzählte, wie sie Petra Weingart entdeckte, die Putzfrau, deren Alltag und deren Würde sie mit so präzisem Blick beschreibt. Nämlich mit Hilfe eines befreundeten Fotografen, Frederik Busch, dessen Waschmaschine kaputtgegangen war. Als Busch im Waschsalon zu jeder Tages- und Nachtzeit immer wieder auf Petra Weingart traf, die dort putzte, kam er mit der Unermüdlichen ins Gespräch. Er rief Kerstin Greiner an und sagte: „Wir müssen da eine Geschichte aufschreiben.“ Das tat sie. Und er machte beeindruckende Fotos dazu.
Die Plüschtiere im Gericht sind Sören Kittel (Männerpreis) von der Berliner Morgenpost noch gut in Erinnerung. Sie standen im Regal des Vernehmungsraums, und die Beamtin erzählte ihm von den vergewaltigten Kindern, mit denen sie dort spricht. Auch Sören Kittel hat einem vergewaltigten Menschen zugehört: Conny, die der Berliner Morgenpost einen verzweifelten Leserbrief geschrieben hatte. Sie hatte ihren Vergewaltiger, ihren Chef, angezeigt. Und fragte sich nun: War das richtig – oder hätte ich es lassen sollen? „Und ich wollte sie begleiten und sehen: Bereut sie das?“ Das tat der ausgebildete Ethnologe – mit berührendem Resultat.
Armin Lehmann vom Tagesspiegel dankte ganz besonders für das Vertrauen der von ihm Porträtierten Semiya Simsek, die Tochter eines der von Neonazis Ermordeten. Sie hatte bei der Trauerfeier im Bundestag am 23.2.2012 die so beeindruckende Rede gehalten und sprach über ihren Schmerz, nicht nur den Vater verloren, sondern auch jahrelang mit ihrer Familie noch zu den des Mordes Verdächtigten gehört zu haben.
Dass die prämierten Texte ihre Wirkung beim Publikum entfalteten, dafür sorgten die drei SchauspielerInnen, die Auszüge daraus vortrugen: Walter Kreye, Pegah Ferydoni (das letzte EMMA Cover-Girl) und Maren Kroymann. Mit dem allerletzten Text wurde es noch einmal vergnüglich. Dieter Bartetzkos Porträt von Caterina Valente brachte Laudatorin Ines Pohl gar zu einem Coming Out der anderen Art: Die taz-Chefredakteurin offenbarte dem Publikum, als Mädchen ein Valente-Poster über ihrem Bett angeschmachtet zu haben - und dankte dem Autor für die „späte intellektuelle Rehabilitation“.

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Die taz-Chefredakteurin und der FAZ-Feuilletonist bewiesen am Ende des Abends schließlich, dass sie neben ihrem journalistischen noch ganz andere Talente besitzen. FAZ-Redakteur Bartetzko ließ seine wohlmodulierte Stimme nochmal erschallen – aber diesmal, um, begleitet von seinem Pianisten, verruchte Chansons zu hauchen. Passte kolossal ins Ambiente. Die Direktorin des Institut Français, Carine Delplanque, lächelte verzückt. Ihre Kulturreferentin Annik Spelsberg ebenso. Ein Zustand, der sich bei allen noch steigerte, als nun auch taz-Chefin Pohl nicht mehr zu halten war. Zu aller Überraschung erschallte plötzlich nicht etwa eine kräftige Kommandostimme, sondern der trällernde, tirilierende Sound der ausgebildeten Sängerin. Schließlich schmetterten die beiden JournalistInnen auch noch im Duett Valentes berühmtestes Lied: "Ganz Paris träumt von der Liebe". Was auch die Gäste zum Träumen brachte...
Als sich PreisstifterInnen, PreisträgerInnen inklusive BegleiterInnen und Schauspielerinnen lange nach Mitternacht trennten, da waren sich alle einig: Soooo schön war es noch nie! Und weil es so schön war, soll nun auch in dem preisfreien Jahr der alle zwei Jahre vergebenen Auszeichnung ein EMMA-JournalistInnenpreis-Stammtisch stattfinden. In der Hauptstadt, klar. Das schlug Julia Niemann vor, die den so trefflichen wie betroffenen Artikel über alleinerziehende Mütter auf dem Prenzlauer Berg geschrieben hatte. Alles klar, Julia. 
EMMAonline, 16.5.2012
Die prämierten Texte werden in der nächsten EMMA-Ausgabe veröffentlicht (ab 28. Juni am Kiosk).

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