Abtreibung: „§219a ist erst der Anfang!“
Seit 2012 stellen sie sich jeden vorletzten Samstag im September den Abtreibungsgegnern bei ihrem alljährlichen „Marsch für das Leben“ entgegen. Doch in diesem Jahr dürfte das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, ein Zusammenschluss von rund 40 Organisationen von Terre des Femmes bis zum Arbeitskreis Frauengesundheit, eine Rekordbeteiligung verzeichnen. Denn seit der letzten Gegendemo gegen die christlichen Fundamentalisten, Maskulisten und AfDlerInnen im Herbst 2017 ist viel passiert.
Die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel im November 2017 war nur der Anfang. Anzeigen gegen weitere ÄrztInnen folgten, inzwischen standen auch die Kasseler Medizinerinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus wegen des Verstoßes gegen den §219a vor Gericht. Sie hatten sich, wie Hänel, geweigert, die Information darüber, dass sie Abbrüche durchführen, von ihrer Website zu nehmen. Der Prozess, der am 29. August vor dem Amtsgericht Kassel begann, wurde unterbrochen, nachdem die Ärztinnen einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt hatten. Der Antrag wurde inzwischen abgelehnt, ein neuer Prozesstermin steht noch aus.
Auch der Gynäkologin Gaber steht ein Prozess ins Haus
Auch die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber lehnte ab, der Aufforderung der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten und den kurzen Hinweis auf Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis von ihrer Homepage zu streichen. Ihr steht nun ebenfalls ein Prozess bevor. Bettina Gaber wird am Samstag bei der Eröffnung des Aktionstags um 12 Uhr (Ecke Unter den Linden/Wilhelmstraße) sprechen.
Seit dem Urteil gegen Kristina Hänel debattiert das ganze Land über den §219a und viele, die das Recht auf Abtreibung in Deutschland für gesichert hielten, begriffen jetzt: Auch hierzulande werden ÄrztInnen bedroht und kriminalisiert, ungewollt schwangere Frauen eingeschüchtert und Beratungsstellen wie Pro Familia von christlichen Fundamentalisten bedrängt. Folge des Drucks: Es gibt deutsche Städte und ganze Landstriche, in denen kein einziger Arzt mehr einen Schwangerschaftsabbruch durchführt.
Und obwohl der Staat laut Gesetz eigentlich einen „Versorgungsauftrag“ hat, sprich: dafür sorgen muss, dass genügend ÄrztInnen ungewollte Schwangerschaften abbrechen, erheben manche Bundesländer noch nicht einmal Zahlen über die Versorgungslage, wie das Magazin kontraste kürzlich in einem erschreckenden Beitrag herausfand.
Die fehlenden ÄrztInnen sind endlich ein Thema
Auch EMMA berichtet in der aktuellen Ausgabe in einem Schwerpunkt über die sich verschärfende Lage - aber auch über diejenigen die gegenhalten: Die mutigen Ärztinnen, die sich die Einschüchterung nicht länger gefallen lassen wollen; Pro Familia-Beraterinnen, die für eine Schutzzone um ihre Beratungsstelle kämpfen; die "Medical Students for Choice" an der Berliner Charité, die im Medizinstudium nicht lernen, wie man Abtreibungen durchführt und zur Selbsthilfe greifen.
Gründe genug, am Samstag auf die Straße zu gehen und gegen den Backlash zu demonstrieren, der nicht nur in Deutschland tobt. Wie desaströs die Lage ungewollt schwangerer Frauen in anderen Ländern ist, werden Aktivistinnen aus Polen und Argentinien berichten. Doch es gibt auch Positives zu vermelden, und das wird am Samstag Ailbhe Smyth aus Irland tun: Dort hatten im Mai 2018 zwei Drittel der IrInnen für die Abschaffung des strikten Abtreibungsverbotes und für die Fristenlösung gestimmt.
Immer wieder waren in irischen Krankenhäusern schwangere Frauen in Lebensgefahr geraten oder tatsächlich gestorben, weil ÄrztInnen die Schwangerschaft auch bei schweren gesundheitlichen Gefahren nicht beenden durften. Gesiegt hatten bei dem Referendum im Mai also die wahren Lebensschützer.
„Leben schützen heißt Schwangerschaftsabbruch legalisieren!“ lautet deshalb das Motto des Aktionstages. Und: „§219a ist erst der Anfang!“ Denn die Streichung des §219a ist nur ein Etappenziel. Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frauen und ÄrztInnen, die abtreiben, sich nicht mehr im Strafgesetzbuch wiederfinden.
Zum Aufruf des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung