Abtreibung in der Verfassung
Heute, am 4. März 2024, wird Frankreich das Recht auf Abtreibung in seiner Verfassung verankern. Das ist ein historischer Schritt und ein Signal an die ganze westliche Welt. 53 Jahre nach dem feministischen „Manifest der 343“, in dem 343 Frauen sich selber öffentlich beschuldigten, illegal abgetrieben zu haben – darunter Simone de Beauvoir, Catherine Deneuve und Françoise Sagan –, wird damit dieses für Frauen existenzielle Recht im Grundrecht verankert. 81 Prozent aller FranzösInnen begrüßen das!
Parlament und Senat haben die Verfassungsänderung bereits mit überwältigender Mehrheit verabschiedet (der eher konservative Senat mit 267 gegen 50 Stimmen). Die letzte Bestätigung heute in Versailles durch den Kongress ist nur noch eine Formsache. Damit ist Frankreich das erste Land der Welt, das das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in seiner Verfassung verankert.
„Niemals wieder Engelmacherinnen und Kleiderbügel, sagen wir unseren Töchtern und Enkelinnen. Heute und von jetzt an seid ihr frei, über euer Leben zu entscheiden“, jubelte die grüne Senatorin und EU-Parlamentarierin Mélanie Vogel. Präsident Emmanuel Macron hatte sich bereits vor Monaten öffentlich hinter die Forderungen der Frauen gestellt, das in Frankreich seit 1975 geltende Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern. Damals hatte Simone Veil, konservative Justizministerin und Holocaust-Überlebende, das Gesetz durchgedrückt.
Der jetzige Zeitpunkt ist kein Zufall. In der gesamten westlichen Welt ist das in der Regel in den 1970er Jahren errungene Abtreibungsrecht wieder in Gefahr – nur in Deutschland nicht. Da gibt es bis heute kein "Recht" auf Abtreibung.
In Amerika tobt der Kampf um das noch geltende Recht auf Abtreibung seit Jahrzehnten. Die Gegner werden stärker, befeuert von den fundamentalistischen Evangelikalen (die mehrheitlich auch Trump-Wähler sind). Bei den bevorstehenden EU-Wahlen wird mit einem Erstarken der Rechten in allen Ländern gerechnet.
Für die Wahlen in Frankreich im Herbst 2026 schließt man schon lange nicht mehr einen Sieg der rechtspopulistischen Marine Le Pen aus. Die lange Jahre alleinerziehende Mutter von zwei Kindern hat zwar das Recht auf Schwangerschaftsabbruch noch nie infrage gestellt, aber sie erwog in der Vergangenheit durchaus die Streichung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Auch dürften Le Pens Stammwähler in dieser Frage konservativer sein als die Chefin.
In Osteuropa schließlich träumen die Frauen von französischen Verhältnissen. Im vatikantreuen Polen wird wohl auch die vor allem von den Frauen gewählte neue liberale Regierung das fundamentalistische Abtreibungsverbot (das auch bei Vergewaltigung gilt) nicht anrühren, von Russland und der Ukraine ganz zu schweigen. In diesen Ländern, die auf dem strammen Weg in den Nationalismus und die Militarisierung sind, sind Frauenrechte nur noch negativ ein Thema: nämlich als Frauenunrecht.
Und Deutschland? Auch hier löste das nach dem französischen Beispiel im Juni 1971 von mir initiierte Manifest der 374 Frauen, veröffentlicht im Stern, eine breite Protestwelle gegen das Abtreibungsverbot und auch die Frauenbewegung aus. Dem Schlachtruf „Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu!“ schlossen sich Hunderttausende an. Und eine sehr breite Mehrheit der Bevölkerung war für die Einführung der Fristenlösung (das Recht, in den ersten drei Monaten abzutreiben).
Seither spielen die diversen Gesetzgeber aller Parteien in Westdeutschland Pingpong mit den Frauen. Die Konservativen sind, unter dem Diktat des Vatikan, unverrückbar gegen das Recht auf Abtreibung. Die FDP war früher mal dafür. Die SPD eigentlich auch, aber dann doch nicht wirklich. Sie hat es zugelassen, dass bei der Wiedervereinigung das seit 1973 in der DDR geltende Recht auf Abtreibung gekippt und in die wachsweiche gesamtdeutsche Regelung überführt wurde: Dieses schizophrene Gesetz erlaubt es zwar, bei Beratung durch „Experten“, dass Frauen abtreiben, sie bedroht sie aber theoretisch weiterhin mit Strafe. Das Gleiche bei den Ärzten. Die sind in Deutschland immer weniger bereit, überhaupt noch Abtreibungen durchzuführen. Unter der Fuchtel der katholischen Kirche gibt es längst im Schatten der Kathedralen einen innerdeutschen Abtreibungstourismus: von München oder Köln nach Berlin zum Beispiel.
Gerade hat die von der Ampel eingesetzte "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" ihren Bericht zu "Abtreibung, Leihmutterschaft und Eizellspende" vorgestellt. Es könnte in naher Zukunft einen Deal mit der FDP geben: Dass bei Zustimmung von SPD und Grünen zur Leihmutterschaft die Liberalen auch einer Streichung des Strafparagraphen 218 zustimmen würden (siehe auch die aktuelle EMMA). Zynischer geht’s nimmer. (Mehr dazu hier!)
Eine Verankerung des Menschenrechtes auf selbstbestimmte Mutterschaft, also damit auch des Rechtes auf Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft? Davon können deutsche Frauen auch über ein halbes Jahrhundert nach Aufbruch nur träumen.
ALICE SCHWARZER