Alice Schwarzer schreibt

Adèle Haenel: Ich klage an!

Adèle Haenel spricht davon, wie sie als 12-jährige sexuell belästigt wurde. - Foto: Screenshot mediapart
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… Hier, im Studio des TV-Senders Mediapart. Es ist der stärkste Auftritt im Leben der in Frankreich längst berühmten Schauspielerin (die in Deutschland gerade in „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ zu sehen ist). Und er erschüttert das Land. Noch nie wurde öffentlich so eindringlich, so ungeschützt – und so reflektiert über erlittene sexuelle Demütigung und Gewalt gesprochen wie in dieser einen Stunde.

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„Wir müssen das Schweigen über das System der Vergewaltigung brechen“, sagt die Schauspielerin. „Denn es nutzt nur den Tätern, aber verrät die Opfer.“

Das Schweigen nutzt nur den Tätern

Es passierte, als sie zwischen 12 und 15 war, er zwischen 36 und 39. Alle wussten es, wie sich jetzt bei der Recherche der Mediapart-Journalistin Marine Turchi herausstellte. Selbst seine Schwester wusste Bescheid. Und seine Freundin trennte sich von ihm, weil er dem Kind nachstellte. Aber auch sie schützte Adèle nicht. Und er? Er leugnet bis heute. „Ich habe sie entdeckt“, antwortet er auf die Fragen der Journalisten.

Danach hatte das junge Mädchen zunächst ganz mit dem Film gebrochen. Sie fiel in eine Depression, machte einen Selbstmordversuch. 17 Jahre später war der Auslöser für das Ende ihres Schweigens eine Dokumentation über Michael Jacksons Missbrauch von Kindern. Außerdem war sie seit langem von ihrer Gefährtin, der Regisseurin Céline Sciamma (mit der sie zwei Filme gedreht hat), bestärkt worden. Bestärkt in dem Bemühen, der Verdrängung und der Scham zu entrinnen.

https://www.youtube.com/watch?v=QFRPci2wK2Y

Adèle Haenel, 30, hat schon zweimal den César bekommen, eine Art französischer Oscar. Dennoch hat sie es riskiert. „Ich musste reden“, sagt sie heute. „Selbst wenn es das Ende meiner Karriere gewesen wäre.“ Doch das Gegenteil ist passiert. Der Verband der französischen Filmemacher hat sich umgehend mit Haenel solidarisiert. Und ganz Frankreich redet so ernsthaft wie noch nie über „die Kultur der Vergewaltigung im Film“.

Bis dahin hatte das Problem das Land der Galanterie und der „Männer, die Frauen lieben“ (Dominique Strauss-Kahn) noch nicht wirklich erreicht. Die Strauss-Kahn-Affäre, in der ein Zimmermädchen den mächtigen IWF-Chef beschuldigte, sie vergewaltigt zu haben, hatte Amerika stärker erschüttert als Frankreich. Und in Sachen MeToo machte vor allem ein von der Porno-­Schriftstellerin und Galeristin Catherine Millet verfasstes „Manifest“ die Runde, in dem sie schrieb, so eine Vergewaltigung könne doch auch ganz sexy sein – und das auch Catherine Deneuve unterschrieb.

DIe Isolierung der Opfer
hat System

Die Journalistin Marine Turchi hat sieben Monate lang in der Filmbranche recherchiert und rund 30 Frauen gefunden, die bereit sind zu reden. Adèle Haenel ist die erste, die jetzt nach vorne geht. „Das bin ich denen schuldig, die es schon gewagt haben zu reden“, erklärte sie. „Sie sollen wissen, dass sie nicht alleine sind.“

„Die Isolierung der Opfer hat System“, sagt Haenel in dem Interview, das sie in Begleitung der Journalistin Turchi dem Mediapart-Chef vor laufenden Kameras gab. „Auch ich war damals allein.“

Während der Dreharbeiten zu dem Film „Geschwisterliebe“ hatte die 12-Jährige sich auf dem Set nackt ausziehen müssen. Und immer samstags beorderte der Regisseur sie in seine Wohnung, um mit ihr „über die Arbeit zu ­sprechen“. Adèle ging und schwieg.

„Es gibt ein System der Omertà in den Familien“, klagt Haenel heute. „Und die Justiz versagt komplett. Sie nimmt die Opfer nicht ernst. Die Justiz ist dem Problem nicht gewachsen.“ Daraufhin kündigte die Justizministerin eine Untersuchung des Falls an.

Die Scham muss das Lager wechseln

Doch Adèle Haenel will mehr. „Die Täter sind keine Monster. Es sind unsere Freunde und Väter“, sagt sie. „Das muss sich ändern! Wenn die Gesellschaft nicht so gewalttätig gegen Frauen wäre, wäre die sexuelle Gewalt Einzelner nicht möglich.“ Sie fordert: „Die Schlächter müssen sich endlich ins Gesicht sehen. Erst dann haben wir die Chance, eine menschliche Gesellschaft zu erschaffen.“

Am Ende der Live-Sendung liest Adèle einen Brief vor. Sie hatte ihn im April an ihren Vater geschrieben. Denn der hatte ihr geraten zu schweigen. Alles andere würde ihr nur schaden. „Wenn ich zu ihm ging, habe ich mich immer so schmutzig gefühlt. Ich habe mich geschämt“, schreibt die Tochter an den Vater. „Heute rede ich, damit die Scham das Lager wechselt.“

Auch der Vater hat inzwischen das Lager gewechselt. Er findet es richtig, dass seine Tochter endlich öffentlich sagt: „Ich klage an!“

 

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Eva Longoria: Die Unverzweifelte

Foto: S. Cardinale/Getty Images.
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Wenn Eva Longoria von jungen Frauen gefragt wird, wie man so berühmt wird wie sie, dann antwortet sie darauf gern: „Du willst berühmt sein? Heile Krebs, werde Astro­nautin, flieg zum Mond. Tu etwas Nützliches! Ruhm allein kann kein Ziel sein.“ Das mit der Nützlichkeit hat sie sich auch für ihre eigenen Projekte auf die Fahne geschrieben.

Longoria ist längst nicht mehr nur die Darstellerin aus der Serie „Desperate Housewives“. Sie führt seit gut zehn Jahren Regie, produziert Serien und Filme und engagiert sich für die Time’s-up-Bewegung. Bei ihren Filmproduktionen holt sie so viele Frauen wie möglich ans Set. Denn: „Wenn man erstmal einen Fuß in der Tür hat, ist es wichtig, sie auch für die anderen offen zu halten.“ Und: „Wenn man als Frau einen Fehler macht, wenn ein Projekt schiefgeht, dann ist man weg vom Fenster, dann wird man keine zweite Chance bekommen. Männern passiert das nicht.“

Heute ist Longoria in der Position, Verhältnisse ändern zu können. Um dorthin zu kommen, musste sie lange kämpfen. Als viertes Kind einer mexikanisch-amerikanischen Familie in Texas geboren, lernte sie schon früh, was es bedeutet, sein eigenes Geld verdienen zu müssen. Neben der High School arbeitete sie drei Jahre lang in einer Fast-Food-Kette. Nach dem Bachelorabschluss zog sie nach Los Angeles, sprach für Fernsehrollen vor, verdiente Geld als Headhunter und schrieb ihre Masterarbeit über den „Wert von Latinas im MINT-Bereich“. Als sie eine kleine Nebenrolle in einer Folge der Anwaltsserie „Ally McBeal“ ergatterte, nahm sie heimlich die Bananen vom Set mit nach Hause. Hunger. Der Durchbruch kam mit der Rolle der verwöhnten Gattin Gaby in „Desperate Housewives“.

Doch nur spielen, was andere ihr vorgaben, das war ihr schnell zu wenig. Sie wollte ihre eigenen Texte schreiben, hinter der Kamera stehen. „Ich bin gut darin, Leuten zu sagen, was sie machen sollen“, gestand die Amerikanerin auf den Filmfestspielen in Cannes und lachte. Ihre Arbeit als Schauspielerin nutzte sie, um alles über Filmproduktion, Kameraarbeit und Beleuchtung zu lernen. Heute produziert Eva selbst Filme und Serien; von der Hotel-Drama-­Serie, die sie mit Latino-Schauspielern besetzt bis hin zum Dokumentarfilm über Abtreibungspolitik in den USA. „Was gerade in Alabama passiert, ist verrückt, archaisch, nicht amerikanisch“, klagte Longoria über ein neues Gesetz, das seit Mai in dem Bundesstaat Abtreibung jeglicher Art verbietet. „Das wird uns alle betreffen, wenn wir nicht aufpassen.“

Longoria war eine der ersten, die sich für die MeToo- und Time’s-Up-Bewegung engagierten. Das Beste daran sei, dass Frauen dadurch ermutigt wurden, sich über ihre ureigensten Erfahrungen auszutauschen. Heute könne sie Natalie Portman oder Reese Witherspoon anrufen, wenn sie wissen will, wie die Arbeit mit einem bestimmten Studio ablief.

Von gleichen Arbeitsbedingungen ist man aber in der Filmbranche noch weit entfernt. „Ich habe vor kurzem wieder herausgefunden, dass ich bei einem Filmprojekt nicht gleich bezahlt wurde wie meine männlichen Kollegen.“

Wie schwer es sein kann, Karriere und Familie zu vereinen, weiß Eva aus eigener Erfahrung. Im Juni des vergangenen Jahres brachte sie ihren Sohn zur Welt. „Ich habe das Baby einfach mit ans Set genommen. Es gibt tolle Bilder von mir, wie ich als Regisseurin ‚Action‘ rufe und meinen Sohn währenddessen an der Brust habe, um ihn zu füttern.“ Und auch wenn es ein Klischee sei, fügte sie hinzu, so habe doch das Kind ihre Perspektive noch einmal geschärft: „Ich frage mich seitdem, ob ich mich nicht noch mehr engagieren sollte.“

Zurzeit überlegt Eva Longoria mit anderen Time’s-­Up-Aktivistinnen, wie man sich politisch engagieren könne. „Wir versuchen herauszufinden, was die Frauen von uns Stars gebrauchen können.“ Zum Beispiel ein Ranking der Senatoren und politischen Kandidaten bezüglich ihrer Positionen zu Themen wie Abtreibung oder gleicher Bezahlung. „Was genau wir tun werden, diskutieren wir gerade noch.“ Was auch immer es sein wird: Eva handelt.

 

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