Franziska Becker: Adieu Marie Marcks!
Sie war lange Zeit ein einsamer weiblicher Stern am Karikaturisten-Firmament. Am Sonntag ist Marie Marcks im Alter von 92 Jahren gestorben. Obwohl Marie - für Familie und Freunde liebevoll die "Bebi" - am Ende ihres Lebens noch zarter war als zu ihren vitalen Zeiten, ist es schwer vorstellbar, dass frau plötzlich in der Vergangenheitsform über sie schreiben muss.
Ach Marie, du warst wirklich eine geniale Mischung!
Gerade noch hatte sie es sich ja nicht nehmen lassen, sich von der liebevoll-geduldigen Tochter Uchen und dem Schwiegersohn zur Eröffnung meiner Heidelberger Ausstellung ins Museum bringen zu lassen. Und sich nach der nicht gerade kurzen Vernissage in Ruhe alle Bilder anzuschauen.
Im Rollstuhl musste sie schon länger sitzen. Diesen Verlust ihrer Kräfte hat die so agile und selbstständige Frau als Zumutung empfunden. Und wenn sie manche Worte nicht mehr fand und nicht schnell genug ihre Gedanken ausdrücken konnte, war sie sichtlich genervt. Vor allem, wenn ihr dann noch jemand falsch auf die Sprünge half.
Wie auch nicht! Marie Marcks war eine Frau, die ihr Leben lang mit scharfem Intellekt, Neugier und spöttischer Distanz auf Mitmenschen, Politik und Zeitgeist geschaut und tausende Ideen aufs Papier gebracht hat. Liebevoll, selbstironisch und ätzend waren ihre Karikaturen.
Schon lange vor der neuen Frauenbewegung hat sie den §218 aufs Korn genommen. Die alten, selbstgefälligen Machos und neuen, pseudofortschrittlichen Patriarchen aufgespießt. Die Altstadtsanierung, die 68er-Verwirrungen, die antiautoritäre Erziehung, die überbesorgten Glucken und vollversorgenden Mütter einer mehr oder minder geratenen Brut verhohnepipelt.
Deine Karikaturen: liebevoll, selbstironisch und ätzend.
Das meiste kannte sie aus eigener Anschauung, war sie doch eine mehrfach geschiedene, mindestens dreifach belastete berufstätige Mutter von fünf Kindern. In Heidelberg in einer romantisch-chaotisch ausgebauten Scheune hat sie mit ihrem Clan residiert. Hier saß sie jahrzehntelang am Zeichentisch, mauserte sich dank ihres immensen Talents, ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrem Fleiß zu eben dieser politischen Karikaturistin, als die sie in die Annalen eingehen sollte. Hier schwang sie Zeichenfeder, Aquarellpinsel und Kochlöffel.
Sie beschäftigte sich früh mit den Themen, die männliche Kollegen gar nicht wahrnahmen. Der Bewältigung des Familien-Alltags ohne männliche Unterstützung (selbst wenn die im Haus war); den Umgang mit herablassend gönnerhaften Zeitgenossen; den wenig charmanten Seiten des Alterns; und die Durchsetzung eigener Interessen als Selbstständige, die dafür sorgen muss, dass die Brötchen für die Familie auf den Tisch kommen. Und sie war vor allem auch fähig, sich selber und ihre Macken selbstironisch und respektlos auf den Punkt zu bringen.
Der Vater: Architekt; die Mutter: Künstlerin mit privater Malschule in Berlin. Kein Wunder, dass Marie "das Zeichnen mit der Muttermilch aufgesogen" hat. Sie wuchs in einem kritischen Elternhaus in der Nazizeit auf. Nach dem Krieg baute sich die Mutter eines unehelichen Kindes in Heidelberg eine neue Existenz auf.
Das waren die Voraussetzungen für Maries Leben als freischaffende Zeichnerin. Viele unvergessliche Bücher hat sie veröffentlich, stets den aktuellen Zeitgeist auf die Schippe genommen. Marie Marcks illustrierte Bücher, machte Plakate - und veröffentlichte vor allem jahrelang politische Karikaturen auf Seite 4 in der Süddeutschen Zeitung. Als man sie da von jetzt auf gleich gefeuert hat, war sie zu Recht tief verletzt.
Ach Marie, du warst wirklich eine geniale Mischung: Spätestens seit unserer gemeinsamen Reise nach Ankara (zusammen mit zwei männlichen Kollegen) kenne ich auch ganz andere Seiten von dir: die komische Anekdotenerzählerin; die erwachsene Frau, die wie ein maulendes Kind über das "beschissene" Hotel quengelt; oder gar wie eine muffelnde Teenagerin den angekündigten "Workshop mit interessierten Laien" widerwilligen abbürstet: "So was Saublödes, wie komm ick mir denn vor!"
Oder die entnervte Angebetete, die vor dem in die Jahre gekommenen Verehrer, der ihr ein selbstgemaltes Öl-Kitschbild überreichen will, hinter meinen Rücken flüchtet. Und die sarkastische Beobachterin, die mit alters- und arbeitsgebeugtem Rücken neben mir her trottet und ätzend frömmlerische Fundamentalisten oder die Macho-Sprüche unserer Kollegen kommentiert.
Wie's der Zufall so will, war "Bebi" die engste und älteste Freundin meiner inzwischen verstorbenen Schwiegermutter und Kinderbuchautorin Roswitha Fröhlich. Die ging in Berlin auf Mutter Marcksens Malschule.
Allein schon deine Existenz war Vorbild!
Und ich erinnere mich noch genau, wie beeindruckt ich war, als ich, damals noch Schülerin, eine frühe Ausstellung von Marie in der Heidelberger Stadtbibliothek gesehen habe. Dass eine Frau mit drei kleinen Kindern diese riesigen Räume füllen konnte und auch noch kleine Zeichentricks vorführte ... Allein schon ihre Existenz war Vorbild: Eine satirische Zeichnerin, die's vormacht. Maries Autobiografie "Marie, es brennt!" ist wahrlich ein historisches Dokument.
Liebste Bebi, wir werden dich sehr vermissen. Ohne dich bin ich so wahrscheinlich auch nicht denkbar. Deine Chuzpe, dein Witz, deine Unverfrorenheit und deine Respektlosigkeit haben nicht nur auf mich entscheidenden Einfluss gehabt. Nun hast du deine wunderschönen, bis zuletzt hellwachen blauen Augen für immer geschlossen. Ruhe im wohlverdienten Frieden ...
Obwohl das schwer vorstellbar ist bei einem Brummkreisel wie dir!
Deine Franziska