Älterwerden: Ariane gesteht …

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Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war Älterwerden etwas Tolles. Mit dem achten Geburtstag befanden meine Eltern mich reif genug für den ersten Hund, der 13. brachte mir den ersten Kuss, ab 16 durfte ich öffentlich legal ein Glas Wein in der Hand halten und zum 18. bekam ich Schwarz auf Weiß das Recht zu wählen und die Gewissheit, mir ab jetzt von keinem mehr etwas sagen lassen zu müssen.

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Älterwerden hatte etwas mit Freude zu tun, mit dem Gefühl, etwas Außergewöhnliches und Besonderes erreicht zu haben. Doch ab Mitte Zwanzig haftete Geburtstagen etwas Ungutes, ja Bedrohliches an. Auch wenn nicht ganz klar war, was genau die Bedrohung war und wer mich darauf aufmerksam gemacht hatte: Älterwerden war plötzlich Mist.

Seit ich in Los Angeles lebe, ist Älterwerden auch schlechtes Benehmen, so, als ob man auf einer schicken Party in den Pool kotzt. Wenn ich hier in der Welthauptstadt des Jugendwahns erzähle, dass ich 33 bin, dann reagieren die meisten, als ob ich gerade einen besonders schweren Unfall überlebt hätte. „Dafür siehst du aber gut aus.“ Sagen sie dann mit Krankenpflegerstimme. „Good for you.“

Das macht es natürlich verlockend, das eigene Alter zu verleugnen. Und so war ich Mitte 2008 für ein paar Wochen plötzlich wieder 27. Nach den ersten ein, zwei Mal Verhaspeln floss mir diese kleine und, wie ich dachte, harmlose Lüge glatt über die Lippen und ich konnte meinem Gegenüber dabei sogar lächelnd in die Augen sehen. Aber ein unangenehmes Ziepen machte sich in der Brustgegend breit. Es entpuppte sich bei genauerer Analyse als Scham. Die Alterslüge, die mich äußerlich betrachtet vielleicht begehrenswerter scheinen ließ, in dieser Stadt, in der Jugend nicht nur Ware, sondern auch Macht ist, beschämte mich innerlich zutiefst. Wieso erlaubte ich einer Zahl, über meinen Wert zu befinden, darüber zu urteilen, ob ich (noch) gut genug war?

Ungefähr zur gleichen Zeit begann ich zu merken, dass ich morgens länger vor dem Spiegel stand und mich selbst nach der dritten Schicht Puder ärgerte, dass da etwas war, das sich weigerte zu verschwinden. Abends stellte ich dann fest, aha, da hast du nicht nur einen schlechten Tag gehabt, da hängt was im Gesicht, das vorher nicht da war und sich auch nicht mehr abwaschen lässt. An diesem Tag wurde mir unwiderruflich bewusst: Ich werde älter und nichts hat mich auf diese Erkenntnis vorbereitet.

Plötzlich sah ich sie überall, besonders bei schlechtem Licht, in Spiegeln, in Schaufensterscheiben: Die alte Frau, die ich einmal sein werde. Und sie hatte Angst. „Wie lange wird es noch dauern, bis ein Lächeln nicht mehr reicht, um etwas zu bekommen?“ Schien sie mich zu fragen. „Was, wenn ich unsichtbar werde?“

Schwach und eitel fand ich die Hexe im Spiegel, bis ich im Internet auf Studien stieß, denen zufolge das Zurechtkommen mit dem sich verändernden Aussehen für viele Frauen ähnlich traumatisch ist, wie ein erheblicher finanzieller Verlust, das Verlieren eines Arbeitsplatzes oder eine Scheidung. Mir wurde klar, dass ich mich entscheiden musste: Mache ich mir meinen sich wandelnden Körper zum Freund mit liebenswerten Schwächen – oder zum Feind, den ich bis an mein Lebensende bekämpfe?

Gleichzeitig stellte sich mir die Frage, ob diese negativen Gefühle hauptsächlich von innen oder von außen kommen. Wollte ich denn ewig Zwanzig bleiben?

Nein. Ich will gar nicht mehr zurück in den Körper der Zwanzigjährigen, die ich damals war, und vor allem nicht zurück in diesen obsessiven Kopf, den damals ein einziger Blick so schnell aus den Gleisen hat werfen können, dass ich meine gesamte Existenz in Frage gestellt habe. Dieser Kopf, dem es damals so schwer fiel, Entscheidungen zu treffen und der lieber in diesem Zustand der ewigen Nichtentscheidung schwebte, dem so viele meiner Generation anheim fallen; ewige Peter Pans, die dann irgendwann feststellen, dass sich nicht zu entscheiden auch eine Entscheidung ist und zwar die schlimmste: jene, die einen am Ende vor lauter verschlossenen Türen stehen lässt.

Ich lebe zwar immer noch gerne den Rest Pippi Langstrumpf in mir, aber wenn ich an mein eigenes, inneres Mädchen denke, dann stelle ich mir auch die Tochter vor, die ich noch nicht habe, und das ist etwas, das alles in eine andere Perspektive rückt. Mit dem Älterwerden habe ich auch gelernt, Grenzen zu setzen und mich nicht mehr dafür zu entschuldigen, das zu tun, was mir gut tut und das zu lassen, was mir schadet.

Früher haben mich oft alte, unsichere Männer attraktiv gefunden, heute sind es immer öfter junge, selbstsichere. Aber nicht nur die Männer, die ich anziehe, haben sich geändert, auch die Frauen, mit denen ich mich umgebe. Meine heutigen Freundinnen sind keine, die es mir vorhalten, wenn ich mit speckigen Haaren zwei Tage lang im selben Jogginganzug auf der Couch rumsitze und mir Jane Austen und Tiefkühlpizza reinziehe. Sie sind aber auch keine, die es mir übelnehmen, wenn ich mich schmücke, schminke dass es kracht und im engen Kleid auf schwindelerregenden Absätzen überdrehte Weiblichkeit inszeniere. Sie feiern mit.

Wir haben gelernt, einander nicht auszubremsen, sind einander Unterstützerinnen und Beschützerinnen geworden. Wunderbare Frauen sind das, manche in ihren Dreißigern und Vierzigern, teils wunderschöne Frauen, deren Leben sich damals mit zwanzig fast ausschließlich um Äußerlichkeiten drehte und die sich selbst jetzt auch neu definieren müssen.

Mein Selbstbild schafft also den Schritt zum Älterwerden. Aber das Fremdbild … Die mediale Öffentlichkeit kann sich immer noch nur schwer von dem Bild der Hupfdohle auf der Disko-Box verabschieden. Dabei war ich seit zwei Jahren in keinem Club mehr. Was nicht heißt, dass ausgelassenes Feiern des Lebens nicht mehr meins ist, nur finde ich es heute aufregender, in entlegene Gebiete Patagoniens zu reisen und mit Gauchos in der sternenübersäten Pampa zu übernachten oder Shanghai alleine zu Fuß zu erkunden.

Meine eigene Entwicklung in den letzten Jahren hat mich auch dahin geführt, die Arbeit von Alice Schwarzer und die ihrer Mitstreiter/innen schätzen zu lernen. Sie hat mir zu verstehen gegeben, dass es noch eine Menge zu tun gibt, in einer Welt, in der die öffentliche Wahrnehmung von Frauen wie Hillary Clinton,  Michelle Obama, Nancy Pelosi oder Angela Merkel sich vor allem über deren Erscheinungsbild definiert.

Über Hillary Clinton ließ Neokonservativen-Maskottchen und Radiohetzer Rush Limbaugh 2008 verlauten: „Wollen Amerikaner wirklich tagtäglich eine Frau vor ihren Augen älter werden sehen?“ Und über Michelle Obama entrüsten sich immer wieder Moralapostel, sie sei zu „risque“, solle gefälligst mal ihre Arme verhüllen und längere Röcke tragen. Und selbst bei uns in Deutschland entblöden sich gewisse Magazine nicht, Angela Merkel regelmäßig auf die Liste der „unsexiesten“ Frauen zu setzen.

Natürlich gibt es immer mal wieder Witze über Joe Bidens angebliche Haarimplantate, Kommentare über Wladimir Putins Oben-Ohne-Fotos mit Hengst zwischen den Beinen oder Barack Obamas lediglich von Sonne und Wind bekleidete Brust auf Hawaii. Allerdings scheinen diese Ansichten nie die Person dahinter zu verdecken.

Es ist vielleicht an der Zeit, den Status Quo wieder in Frage zu stellen. Denn es ist kein guter, wenn sich eine Frau dafür rechtfertigen muss, gleichzeitig attraktiv und intelligent zu sein, oder Frau zu sein und älter zu werden.

Mit den Jahren bin ich mir selber auch eine gute Freundin geworden, die viel netter mit sich selbst umgeht. Ich habe gelernt, mich selbst in den Arm zu nehmen und mit mir zu tanzen, anstatt mir selber ständig auf dem Fuß zu stehen.

Coco Chanel hat mal gesagt: „Die Natur gibt uns das Gesicht, das wir mit Zwanzig haben, aber das Gesicht, das wir mit Fünfzig haben, müssen wir uns verdienen.“ Ich hoffe, dass ich mir noch viele Lachfalten verdiene, bis ich fünfzig bin.

Ariane Sommer veröffentlichte zuletzt (mit Esma Annemon Dil): „Foreign Affairs“, Kurzgeschichten (weissbooks).

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