Affenfreundin: Renate Foidl
Wenn sie diese Szene sieht, schießen ihr immer noch die Tränen in die Augen. Als sich die Schiebetür zwischen ihnen öffnet, laufen Ingrid und Pünktchen aufeinander zu und umarmen sich. Minutenlang halten sich die beiden Schimpansinnen fest umschlungen. Dann gehen sie Hand in Hand aus dem Raum. „Ich krieg noch immer Gänsehaut“, sagt Renate Foidl. „Das ist einfach überwältigend.“
Tierpflegerin Foidl war dabei, als die ergreifende Begegnung vor elf Jahren auf Video aufgenommen wurde. Es war das erste Mal, dass Ingrid und Pünktchen einem Artgenossen begegnen und ihn berühren durften. Bis dahin hatten sie – wie 37 weitere Schimpansen, die man als Babys in Sierra Leone gefangen hatte – ihr gesamtes Leben in einem winzigen Käfig verbracht. „In Isolationshaft“, wie Renate Foidl es ausdrückt. Das Wiener Pharmaunternehmen Immuno hatte sie von Tierfängern illegal ins Land bringen lassen, um in ihrem Tierversuchslabor einen Impfstoff gegen Aids zu entwickeln.
Im Jahr 2002, dem Jahr der Umarmung von Ingrid und Pünktchen, endete ihre Gefangenschaft und beginnt in einem Affenhaus in Gänserndorf bei Wien das „Resozialisierungsprojekt“. Zehn Jahre später dürfen die Schimpansen zum ersten Mal in ihrem Leben ins Freie. Das ist nicht nur, aber auch Renate Foidl zu verdanken. Sie hat wie eine Löwin für ihre Affen gekämpft. Der berührende Dokumentarfilm „Unter Menschen“, deren Protagonistin die Tierpflegerin ist, erzählt die Geschichte dieses Kampfes.
Die heute 41-Jährige war 19, als sie den Schimpansen zum ersten Mal begegnete. Es war am Ende ihrer Ausbildung zur Tierfachpflegerin. „Es ist Pflicht, dass man einen Teil davon auch im Tierversuchslabor absolviert“, erklärt Foidl. Das war Pech für sie – und Glück für die Affen.
Foidl liebt Tiere. In ihrem Tiroler Heimatdorf hatten ihre Eltern zwar keine „Haltung“, sprich: Bauernhof, beherbergten aber 20 Katzen. Renate besucht eine Klosterschule, die auch die Zweige Forst- und Landwirtschaft anbietet. „Ich liebe die Natur mit allen Sinnen“, schwärmt sie. Umso grauenhafter fand sie die eingepferchten Versuchs-Schimpansen im Immuno-Labor. Und genau deshalb blieb sie. Die Affen, erzählt die Tierpflegerin, hätten alles getan, um ein Fitzelchen Aufmerksamkeit zu ergattern. An die Gitter geklopft, ihre Hände durch die Stäbe gestreckt. Foidl und ihre Kollegin Annemarie Kuthi, die gleichzeitig mit ihr bei Immuno anfing und später mit ins Gänserndorfer Affenprojekt wechselte, wurden für die hochintelligenten und sozialen Tiere zu Bezugspersonen. „Wir haben uns bei der Reinigung beeilt, damit wir ein bisschen Zeit für sie hatten und mit ihnen sprechen konnten.“ Natürlich musste sie sich ständig fragen lassen, warum in Gottes Namen sie in diesem Tierquäler-Laden arbeite. Weil es sonst vielleicht jemand tut, der nur Dienst nach Vorschrift macht, lautete ihre Antwort. „Wenn man die Affen einmal kennengelernt hat“, sagt Foidl, „hat man ned mehr wegkönnen.“
Im Jahr 2000 wendet sich das trostlose Los der gefangenen Affen. Zuerst wird die Suche nach einem Aids-Impfstoff als erfolglos eingestellt. Ein Jahr zuvor war das Wiener Unternehmen Immuno vom amerikanischen Konzern Baxter übernommen worden. Die US-Gesundheitsbehörde hatte 1997 bestimmt, dass „überzählige“ Affen aus Versuchslaboren nicht getötet werden dürfen. Baxter beginnt mit dem Bau des Affenhauses im Safaripark von Gänserndorf. 2002 ziehen die Affen um.
Die Tiere müssen nun lernen, wieder Affen zu sein. Und Renate Foidl und ihre vier Kolleginnen lernen in Schulungen in „Primatenresozialisierung“, wie sie ihnen dabei helfen können. Wenn man sieht, wie die Tierpflegerin heute mit den Affen kommuniziert, wie sie hechelt, die Zähne bleckt und sich auf die Knie schlägt, um Pepi oder Peter zu zeigen, „wie toll sie sind“, dann scheint es, dass sich Mensch und Menschenaffe jetzt auf Augenhöhe begegnen. Dass sie toll sind, erklärt Foidl und hechelt kurz, müsse man den Affen – das Wort „Tier“ benutzt sie nie – vor jedem Training sagen. Eine besondere Beziehung hat Renate Foidl zu Johannes. Der 32-jährige Schimpanse begann damals im Labor, sich selbst zu verletzen. Er hatte Angst vor großen Räumen. Heute lebt Johannes in der „Männergruppe“ und sei „ein Morgenmuffel, der sein Frühstückssackl immer als letzter abholt“.
Doch 2004 meldet der Safaripark Konkurs an. Sechs Jahre lang kämpft Renate Foidl mit ihrem Verein „hopE – Menschen für Affen“ für das Projekt. 2010 besucht Michael Aufhauser auf ihre Einladung das Affenrefugium. Es sei die Schimpansin Martha gewesen, sagt Foidl, die begriffen habe, dass es jetzt um alles geht. Die eigentlich schüchterne Äffin habe bei dem Tierschützer, der das Gut Aiderbichl und 21 weitere „Gnadenhöfe“ für Tiere betreibt, all ihren Charme aufgeboten. Mit Erfolg. Aufhauser übernimmt das Projekt.
2012 ist es dann soweit. Die Affen tasten sich, irritiert blinzelnd und sich ängstlich umarmend, nach draußen. Von „Wiedergutmachung“ mag Foidl, die ihr halbes Leben mit den Schimpansen verbracht hat, nicht sprechen. „Wenn man sich vorstellt, wie die Affen das Labor gefühlsmäßig erlebt haben, dann könnte man die ganze Zeit schreien. Da kann man nicht sagen, jetzt machmer’s halt wieder gut.“
Ursprünglich dachte Renate Foidl mal: „Wenn die Freianlagen da sind, dann geh ich.“ Zurück in die Tiroler Berge, eine Haltung gründen, denn sie mag auch „Kühe total gern“. Das ist erledigt. „Ich bleib“, sagt sie. Es sieht ganz so aus, als ob sie und die Affen gemeinsam alt werden.
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