Tamana Paryani ist gerettet!
Liebe Tamana – erstmal freuen wir uns mit dir, dass du in Freiheit bist! Wie geht es dir?
Danke. Ich bin glücklich, dass meine Familie und ich jetzt in Deutschland sind. Meine Eltern, meine sechs Schwestern, mein Bruder und ich, wir alle haben es tatsächlich geschafft, aus Kabul herauszukommen. Wir sind in einer großen Flüchtlingsunterkunft im Norden Deutschlands untergebracht. Ganz sicher fühle ich mich hier allerdings noch nicht, unter den Flüchtlingen sind viele religiöse Sympathisanten der Taliban.
Wann hast du erfahren, dass du ausreisen kannst?
Es war etwa Anfang Juni, dass sich nach einem Jahr endlich ein kleiner Hoffnungsschimmer auftat. Unsere RetterInnen aus Deutschland hatten uns immer wieder nach Dokumenten gefragt, wir mussten vieles besorgen und ausfüllen - was vor Ort in Afghanistan unter ständiger Bewachung durch die Taliban keine leichte Sache war. Bei unserer Festnahme hatten sie all unsere Dokumente beschlagnahmt. Und eine Neuausstellung von Pässen wurde durch das Innen- und Außenministerium verhindert. Darum konnte uns nach unserer Entlassung zunächst kein Land helfen. Es war ein langwieriger Prozess. Die Unterstützung unserer Freundin Nadia Fasel, einer Exil-Afghanin und Journalistin in Deutschland, war von größter Bedeutung. Sie hat alle notwendigen Papiere auf den Weg gebracht.
Und wie seid ihr dann konkret rausgekommen?
Wir waren unter der Burka versteckt. Über Freunde sind wir nach Pakistan gelangt. Zuerst sind wir in Quetta in Pakistan angekommen und dann nach Islamabad weitergereist. Die Deutsche Botschaft dort hat uns dann innerhalb von eineinhalb Wochen überraschenderweise vorläufige Pässe ausgestellt.
Wie kam es dazu?
Letztendlich Dank eurer Unterstützung! Nachdem meine Schwestern und ich aus dem Taliban-Gefängnis freigekommen waren, habe ich erfahren, dass Nadia Fasel das Video meiner Festnahme durch die Taliban und meinen Hilferuf an EMMA weitergeleitet und ihr es Online veröffentlicht habt. Das hat die Hilfe in Gang gesetzt. Mein Name wurde im Ausland bekannt. Auch Theresa Breuer von „Kabul Luftbrücke“ hat via Nadia Kontakt zu mir aufgenommen. Das hat mir in dieser schlimmen Zeit Hoffnung gegeben.
Wann hat deine Verfolgung durch die Taliban eigentlich angefangen?
Ich war als Frauenrechtlerin schon vor der Rückkehr der Taliban stark in ihrem Visier und musste permanent die Wohnung wechseln und mich an unbekannten Orten aufhalten. Am 7. September 2021 sind wir zum ersten Mal auf die Straße gegangen und haben mit unseren Demos gegen die Taliban begonnen. Kurz davor, am 20. August, hatte ich zusammen mit anderen Frauen die „Bürgerrechtsbewegung der afghanischen Frauen“ ins Leben gerufen. Bei den Demos hatte ich immer mein Gesicht mit Maske und Brille abgedeckt. Niemand konnte eigentlich wissen, dass ich dort war. Aber ich bin verraten worden. Noch dazu von einer Frau.
https://twitter.com/aamajnews_af/status/1483830037015109641
Wie bitte?
Ja. Am 19. Januar drangen die Taliban mit Gewalt in meine Wohnung ein. Sie zerhackten unsere Wohnungstür mit der Axt. Eine Frau, die als Spitzel an unseren Versammlungen teilgenommen hatte, hatte ihnen meinen Aufenthaltsort verraten. Sie haben alles durchsucht und mich und drei meiner Schwestern festgenommen. Vom 19. Januar bis zum 13. Februar waren wir im Gefängnis. Ich wurde gefoltert. Der schlimmste Druck aber war, dass sie meine Familie und meine Schwestern schikaniert und bedroht haben - um damit Druck auf mich auszuüben. Sie haben mir mehrmals angekündigt, dass ich hingerichtet würde. Sie sagten: „Du bist am Ende deiner Reise schon angekommen, aber denk‘ an deine Schwestern!“
Was haben sie dir genau angetan?
Zur täglichen Folter im Gefängnis kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen. Das erlebte Grauen macht es mir noch unmöglich, darüber zu reden oder zu schreiben. Der Druck, mich physisch und psychisch zu vernichten, mich zu brechen, die schamlose Brutalität und die erlittene Pein waren enorm. Aber ich werde es diesen Terroristen heimzahlen. Die Folter, die ich erlebt habe, das Aushalten der Schläge mit dem Gewehr, die Auspeitschungen mit Elektrokabeln, das Abspritzen bei tiefem Frost mit dem Wasserschlauch … all das werde ich eines Tages beschreiben und öffentlich bekannt machen. Die Welt muss das wahre Gesicht der Taliban erkennen! Sie haben es nicht geschafft, mich für immer mundtot zu machen.
Was haben sie dir offiziell vorgeworfen?
Im Taliban-Gefängnis musste ich feststellen, dass die Organisation der Demos nur der Auslöser, aber nicht der einzige Grund für meine Verhaftung waren. Sie zeigten mir Bilder und Dokumente, die meine Teilnahme an Demos und meine politischen Aktivitäten schon seit 2017 belegten. Ihr Vorwurf war, dass ich seit Jahren gegen das islamische System arbeiten würde. Sie gaben vor, sie hätten gehofft, dass ich mich irgendwann ändere. Als sie mit Äxten in meine Wohnung stürmten, gab mir einer der Talibanschergen eine Ohrfeige und schrie: „Weißt du, dass wegen dir viele Millionen Menschen hier hungern?“ Weil angeblich durch mein und unser Tun andere Länder das Taliban-Regime nicht anerkennen würden und es als frauenfeindlich und terroristisch betrachten.
Wie ging es weiter?
Nach unserer Freilassung wurde uns von den Taliban untersagt, an Demos teilzunehmen. Wir sind nicht mehr in unsere alte Wohnung zurückgekehrt und haben uns ab diesem Zeitpunkt ständig an wechselnden Orten versteckt. Wir wussten ja mittlerweile, dass die Taliban zu tausenden Missliebige und Oppositionelle umbringen, und wir mussten davon ausgehen, dass das auch mit uns passieren würde. Wir konnten niemandem mehr vertrauen. Sie haben großen Druck auf meine Familie in Kabul ausgeübt. Als meine Schwestern am 19. Mai versucht haben, das Land zu verlassen, wurden sie an der Grenze zu Pakistan festgenommen und wieder für zehn Tage ins Gefängnis gesteckt. Die Schlinge für uns alle wurde von Tag zu Tag enger. Ich habe mich dann vollends unsichtbar gemacht und mich zum Schweigen gezwungen. Ich wollte die neun Menschen meiner Familie nicht in Gefahr bringen.
Welche Menschen müssen am schnellsten aus Afghanistan evakuiert werden?
Die Frauen, die sich gegen die Taliban gestellt und sich für Frauen eingesetzt haben. Sie alle haben kein Leben mehr. Schaue ich auf die letzten Monate zurück, in denen ich mich verstecken musste, kann ich sagen, dass ich zwar aus dem kleineren Taliban-Gefängnis entlassen worden war, aber danach in dem weit größeren Gefängnis namens „Afghanistan/Kabul“ gelandet bin, schweigend und verhüllt. In diesem Gefängnis sitzen noch sehr viele Frauen.
Und wie wird es für dich weitergehen?
Ich habe mein Studium an der Juristischen Fakultät abgeschlossen und möchte in Politikwissenschaften promovieren und die deutsche Sprache lernen. Ich werde mich weiterhin für Menschenrechte einsetzen und dafür kämpfen, dass in meinem Land Freiheit, Sicherheit und menschenwürdige Lebensumstände – besonders für Frauen - hergestellt werden. Dieses Land darf nicht den Schurken überlassen werden. Ich weiß, dass es für die Zukunft der Frauen in der ganzen Welt viel Einsatz und Herzblut braucht. Ich will mich als ein Teil dieser Welt für die Rechte der Frauen einsetzen.