Happy Birthday, Agrippina!
Wer weiß das schon? Dass die Jungfrau im Dreigestirn des Kölner Karnevals die beschützende „Mutter Colonia“ neben Prinz und Bauer die Kaiserin Agrippina symbolisiert? Und bis heute vergeht kein Karneval, ohne dass die KölnerInnen aus voller Kehle singen: „Agrippina, Agrippinensis, wenn do ding Pänz sühs, bes’de vun de Söck“ (Wenn du deine Kinder siehst, bist du platt).
Agrippina, Agrippinensis, wenn do ding Pänz sühs, bes’de vun de Söck
Bis heute ist die römische Kaiserin und Gründerin von Köln unvergessen. Dabei stand sie als Ehefrau von Kaiser Claudius nur sechs Jahre an der Spitze des römischen Reiches – doch ihr öffentliches Auftreten und politisches Wirken hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Wie bei allen großen Herrscherinnen gibt es posthum allerdings zwei Sichtweisen: War Agrippina eine kluge und beliebte Politikerin – oder eine sex- und machtbesessene Mörderin?
Agrippina wurde im Herbst 15 oder 16 n.Chr. im heutigen Köln geboren, also vor nun mehr 2.000 Jahren. Sie war eine Enkelin von Kaiser Augustus. Nach dem Tod ihres Vaters Germanicus wurde Kaiser Tiberius der Vormund der kleinen Agrippina. Er verheiratete sie als 13-Jährige mit einem Verwandten.Einmal an der Macht beschuldigte Kaiser Tiberius die eigene Familie, sich gegen ihn verschworen zu haben. Agrippinas Mutter und einen Bruder ließ er verbannen, den Bruder kurz darauf ermorden, einen zweiten Bruder im Kerker grausam verhungern. Agrippinas Mutter brachte sich um.
Im Jahr 37 starb Kaiser Tiberius, sein Nachfolger wurde der jüngste Bruder Agrippinas, Caligula. Er erließ eine allgemeine Amnestie. Seinen drei Schwestern ließ er alle erdenklichen Privilegien und Ehren zukommen, auf einer Münze ließ er sie sogar als Göttinnen der Eintracht, des Glücks und der Geborgenheit darstellen. In diesem Jahr brachte Agrippina ihren Sohn Nero zur Welt.
Aber das Glück währte nicht lange. Caligula erkrankte an Hirnhautentzündung. Danach war er verändert, depressiv, aggressiv und ruinierte durch Verschwendung den römischen Staatshaushalt. Er steigerte sich in unglaubliche Grausamkeiten hinein. Seine Schwestern schickte er in die Verbannung auf verschiedene kleine öde Inseln, der angebliche Grund: sexuelle Ausschweifung und Hochverrat. Agrippinas Mann starb in dieser Zeit, fern von ihr.
Caligulas Blutspur in Rom war so entsetzlich, dass ihn die Prätorianer, also seine eigene Leibwache, im Jahr 41 umbrachten. Zum Nachfolger riefen sie den einzigen Mann aus der Familie des Augustus aus, der die Blutbäder überlebt hatte: Claudius.Er ließ alle Verbannten zurückkehren. So kamen auch Agrippina und ihre Schwester Livilla wieder nach Rom zurück. Doch auch Claudius wurde grausam wie seine Vorgänger, nach und nach ließ er fast 300 Senatoren und hohe Militärs hinrichten, schließlich auch seine eigene Frau Messalina, die offene Liebesbeziehungen mit anderen Männern hatte.
Nach Messalinas Tod im Jahr 48 suchte der Senat eine neue Frau für den Kaiser, eine, der man keine Skandale nachsagen konnte. Die Wahl fiel auf die Enkelin des Augustus: Agrippina. So rückte sie an die Spitze des römischen Reiches, ihr Sohn wurde von Claudius adoptiert.
Sie war beliebt beim Volk – aber verhasst bei einflussreichen Männern
Frauen hatten in Rom keinerlei politische Rechte, waren dem Gesetz nach unmündig, vom Familienvorstand abhängig. In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich allerdings die Frauen der Oberschicht zunehmend Platz in der Gesellschaft erobert, verschafften sich Bildung, verfügten über Vermögen. Agrippina ging darüber hinaus. Sie brachte Claudius dazu, sie als Mitregentin anzuerkennen und bekam den Titel „Augusta“, der den Kaisern zustand, sowie alle Insignien der Macht: eine eigene Prätorianergarde, einen Ehrenplatz im Theater, das Recht auf Benutzung der Staatsschiffe. Ihr Bild wurde auf Münzen geprägt, Statuen von ihr in der Stadt aufgestellt.
Noch wichtiger: Claudius hörte auf ihren Rat. Sie war dabei, wenn er Staatsgäste empfing; sie rief den Philosophen Seneca, den er verbannt hatte, nach Rom zurück und setzte ihn als Lehrer für ihren Sohn ein; sie sorgte dafür, dass Claudius bei Prozessen wieder den Senat beteiligte. Missliebige hohe Militärs beseitigte sie auf elegante Art – durch Beförderung auf Stellen weit weg in fernen Provinzen. Massenweise Hinrichtungen von politischen Gegnern gab es nicht mehr.
In den ersten Jahren ihrer Zeit mit Claudius gab es eine Feuersbrunst und große Hungersnot in Rom. Agrippina war gemeinsam mit Claudius vor Ort, organisierte Hilfsmaßnahmen, ließ Geld und Brot verteilen. Sie war beliebt beim Volk – aber verhasst bei einflussreichen Männern, denen es ein Gräuel war, dass eine Frau so viel Macht hatte.
Zwei Jahre nach der Eheschließung erhob Claudius auf Agrippinas Wunsch ihre Geburtsstadt, die Ubiersiedlung am Rhein, in den Rang einer „Colonia“, das heutige Köln. Es war ein kluger außenpolitischer Schachzug. Denn an den Grenzen des Reiches herrschte Unruhe an, in Britannien und Judäa gab es Aufstände, in Germanien hatte Claudius vergeblich versucht, das rechte Rheinufer zu halten. Am linken Rheinufer siedelten die Ubier, die mit den Römern verbündet waren. Mit der Erhebung zur Kolonie wurde die Stadt mit üppigen Mitteln ausgebaut, viele Ubier erhielten römisches Bürgerrecht und damit Steuerfreiheit, römische Veteranen siedelten sich an und befreundeten und verschwägerten sich bald mit den Ubiern. Die Einwohner der Stadt, egal welcher Herkunft, nannten sich nun Agrippinenser und waren loyal zum römischen Reich.
Nur sechs Jahre nach der Eheschließung starb Claudius, angeblich vergiftet von seiner eigenen Frau. Agrippinas Sohn Nero wurde Kaiser und hörte in allen politischen Fragen auf ihren Rat. Aber auch Nero, zunächst milde und wohltätig wie Caligula, wurde schnell herrisch, verschwenderisch, unberechenbar und grausam. Er überwarf sich mit seiner Mutter, verdächtigte sie der Verschwörung gegen ihn. In einem aufsehenerregenden Prozess vor dem Senat, in dem sie sich selbst verteidigte, wurde sie freigesprochen.
Wenig später ließ Nero seine Mutter durch Soldaten ermorden. Er befahl, all ihre Statuen und Bilder zu zerstören. Aber Agrippina war in der Bevölkerung sehr beliebt. Bald bedeckten Graffiti die Mauern Roms, die Nero als „Muttermörder“ schmähten. Und der Senat war empört, dass eine Enkelin des Augustus ermordet worden war.
Nero verbreitete daraufhin Agrippinas angebliche Verbrechen, wegen derer sie den Tod verdient habe: Sie habe ihn umbringen wollen, habe sexuelle Ausschweifungen begangen und Hochverrat. Und schließlich: Sie habe ihren eigenen Mann vergiftet.
Frauen hatten
in Rom keine Rechte, aber dabei blieb es nicht.
Der Historiker Tacitus hat Neros Version in seine Annalen übernommen, die er 50 Jahre nach den Ereignissen schrieb. Der Zeitgenosse Seneca hingegen, der ja selbst am römischen Hof gelebt hat, sah das anders. Er beschrieb literarisch verfremdet, wie nach längerer Krankheit die Parzen den Lebensfaden von Claudius abgeschnitten und die Göttin des Fiebers ihn in den Götterhimmel begleitet hätte. Doch in die Geschichte eingegangen ist die Version von Nero und Tacitus einer sexbesessenen und blutrünstigen Agrippina.
Die KölnerInnen neigen von je her zu der Version von Seneca. Und darum haben sie zum Jubiläum ihrer Gründerin eine Ausstellung vorbereitet, auf der man u.a. eine überlebensgroße Statue von Agrippina aus schwarzem Basalt sehen wird. Die war in der Spätantike in tausend Stücke zertrümmert worden (wie die meisten Statuen großer Herrscherinnen) und wird nun von ihren Kölner Pänz nach fast zweitausend Jahren erstmals wieder zusammen gefügt präsentiert: mit Kopf und Körper.
"Agrippina - Kaiserin aus Köln" im Römisch-Germanischen Museum in Köln, 26.11.2015 bis 29.3.2016