Im Getto des Kitsches
So stellt Klein-Kevin sich das vor. Oder auch Klein-Silke. So wie Silke Hohmann, die in dem Kunstmagazin Monopol eine Seite Hohn und Spott ausgoss über EMMA und Schwarzer, die es gewagt hatten, das geplante Mahnmal für die Verfolgung Homosexueller zu kritisieren, weil es explizit nur auf homosexuelle Männer eingeht – und damit die Frauen ausschließt.
Die Monopol-Redakteurin, zuständig für Coolness und Modernität, weiß auch schon, warum EMMA so „empört“ ist: Weil sie nichts von Kunst versteht. EMMA kann nichts von Kunst verstehen, denn EMMA steht für Politik – und beides schließt sich in den Augen von Frau Hohmann aus: Wer was von Politik versteht, hat keine Ahnung von Kunst – aber wer was von Kunst versteht, hat nichts mit Politik zu tun.
Dass in einem modernen Kunstmagazin des 20. Jahrhunderts so ein 19.-Jahrhundert-Kommentar gedruckt werden kann, ist trist, wenn auch nicht überraschend; spiegelt sich darin doch die Beliebigkeit der 80er und 90er Jahre, die glaubte, Inhalt und Form seien voneinander zu trennen. Aber ja, Pablo Picasso hat Guernica gemalt, Meret Oppenheim ‚Ma Gouvernante‘ arrangiert und Francis Bacon uns mit den Obsessionen seines Universums konfrontiert. All das ist Kunst, politische Kunst.
Denn Inhalt und Form sind untrennbar. Und es gibt nur eines, was die freie Kunst – wie die Schriftstellerei – vom Angewandten unterscheidet: Sie hat sich nicht in den Dienst einer Sache zu stellen, sondern darüber; hat eine neue, eigene Dimension einzubringen. Und wenn es dann auch noch gelungene Kunst ist, verändert sie die Sichtweise der Menschen.
Letzteres wird bei dem umstrittenen Homo-Mahnmal nicht der Fall sein. Denn hier wurde nicht radikal queer ans Werk gegangen, sondern wurden engherzig ureigenste Interessen umgesetzt.
Der Entwurf des skandinavischen Künstlerpaares Ingar Dragset und Michael Elmgreen zitiert das benachbarte Stelenfeld von Eisenman zum Gedenken an den Holocaust. Dieses wiederum hat sich von dem ‚Garten des Exils‘ von Libeskind im unweit entfernten Jüdischen Museum inspirieren lassen.
Der von einer hochkarätigen Jury ausgewählte Entwurf für das Homodenkmal jedoch ist kein Garten, er ist ein Getto. Ein Getto des Kitsches männlicher Homosexualität. Denn trotz hehrer Stele ist die Reminiszenz an die voyeuristische Klappen-Sexualität homosexueller Männer aus der Zeit der Repression unübersehbar. Das Mahnmal klagt dies jedoch nicht an und überschreitet es auch nicht – es reproduziert und verkitscht es.
Die Jury hat also, rein künstlerisch gesehen, leider eine sehr schwache Entscheidung getroffen. Das kann vorkommen. Was nicht passieren darf, ist, dass der gewählte Entwurf gegen die Ausschreibung des Mahnmals verstößt, die ausdrücklich die Berücksichtigung der Verfolgung von Schwulen und Lesben festlegt.
Ein abstraktes Mahnmal hätte beiden Rechnung tragen können. Ein Mahnmal jedoch, in dem sich hinterm Guckloch zwei Männer in einer Endlosschleife küssen, trägt eben nur der Verfolgung Schwuler Rechnung. Was also tun? Die Endlosschleife um ein sich küssendes Frauenpaar ergänzen? Abgesehen von der Schlichtheit des Verfahrens würde das nur scheinbar die Symmetrie wieder herstellen: Denn das Ganze befindet sich im Innenraum einer schwulen Inszenierung.
Für einen radikal neuen Entwurf sind nach dem ganzen Desaster nicht nur über tausend Frauen, Männer und Organisationen, die den von EMMA initiierten Protest unterschrieben haben, dafür plädiert inzwischen auch die Initiative ‚Queer Nations’. Sie kritisiert die „Politik der vollendeten Tatsachen“ und fordert „eine Denkpause für eine Diskussion um einen angemessenen Denkort“.
Denn in der Tat: Über das Holocaust-Mahnmal wurde jahrelang gestritten und diese Debatte war mindestens so wichtig wie das Mahnmal selbst. Das Homo-Mahnmal aber wurde fernab von jeglicher öffenlichen Debatte entschieden. Und außer den – ganz unkünstlerisch bornierten – Künstlern scheint niemand mehr glücklich mit dem Mahnmal. Auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann ließ wissen, es sei „völlig klar, dass das Mahnmal beide Opfergruppen berücksichtigen“ müsse. Noch könnte es gestoppt werden – aber wird es trotzdem gebaut?
Weil die Jury nun mal so entschieden hat? Weil von den dafür genehmigten 450.000 Euro (ohne Folgekosten!) bereits 150.000 Euro ausgegeben wurden für das „sehr aufwändige Wettbewerbsverfahren“? Weil die Künstler schon längst einen Vertrag und kassiert haben?
Das wäre mehr als schade. Wäre es doch eine verpasste Gelegenheit, und vermutlich die letzte, künstlerisch wie politisch angemessen der bis heute ignoriertesten Gruppe der durch die Nationalsozialisten Verfolgten zu gedenken: der homosexuellen Männer und Frauen.
Aktion: Der Protest gegen das Homo-Mahnmal steigt
WEITERE INFORMATIONEN
Wird der Entwurf gekippt? Dazu aktuell auf EMMAonline: Das Ausmaß der Unterdrückung und Verfolgung homosexueller Frauen in der Nazizeit und Alice Schwarzers Kommentar zum "Skandal Homo-Mahnmal"