10 Jahre Kanzlerin - und nun?
Zehn Jahre Merkel. Zehn Jahre eine Bundeskanzlerin für Deutschland. Und das 87 Jahre nach Erringung des Frauenwahlrechts und 60 Jahre nach dem Ende von Nazi-Deutschland: Von „Kohls Mädchen“ zur „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes); vom beflissenen Antrittsbesuch beim (golf)kriegsführenden Bush in Washington zur Verweigerung einer Beteiligung an der fatalen, folgenschweren Bombardierung Libyens; von der zunächst auch von Frauen Ignorierten zum Idol vor allem der jungen Frauen.
Und während ihr von ihren Kritikern Stillstand vorgeworfen wurde, hat sie nicht nur international Akzente gesetzt, sondern auch klammheimlich ihre Partei revolutioniert. Außenpolitisch hat sie zuletzt dank ihrer Tag-und-Nacht-Verhandlung mit Putin die von den Amerikanern bereits geplante Waffenlieferung an Kiew verhindert (was ganz Europa hätte in Brand setzen können) und sich besonnen durch die Abgründe der Finanzwelt laviert. Längst gilt die deutsche Kanzlerin als zentrale Figur der internationalen Politszene, neben der die Mächtigen sich gerne fotografieren lassen.
Sie hat eine
heilige Kuh
nach der anderen
geschlachtet
Innenpolitisch hat sie die so schwerfällige Union modernisiert, hat eine heilige Kuh nach der anderen geschlachtet. So wurde unter der Ägide der Physikerin aus der DDR die Familienpolitik auf den Kopf gestellt: Krippen, Ganztagsschulen, Väterurlaub – all das war wenig zuvor noch des Teufels in den Augen ihrer Partei. Die Wehrpflicht wurde im Hauruck-Verfahren abgeschafft, das Ende der Atommeiler eingeläutet, die Stammzellenforschung legalisiert – auch das bis zuletzt ein totales No Go für viele Konservative (wie Grüne). Ja, sogar bei der weitgehenden Akzeptanz und Gleichstellung der Homosexualität zog die CDU/CSU unter Merkel mit, zögerlich aber dennoch.
Das alles war natürlich nicht immer einfach für die Konservativen.
Jetzt also die Flüchtlinge. Niemanden in Not abweisen. Keine Obergrenze. Wir schaffen das! Zunächst vor allem von links für diese humane Haltung bejubelt, wird sie nun zunehmend nicht nur von rechts dafür kritisiert, sondern von vielen als „naiv“ gescholten. Die Massaker in Paris haben die kritische Stimmung verstärkt – gleichzeitig aber die Kritiker in den eigenen Reihen zum Verstummen gebracht.
Dennoch: Die Bevölkerung wird unruhig. Sicher, man will helfen. Aber wie viele kommen wirklich? Wer kommt? Und wird man es tatsächlich schaffen?
Hat die Kanzlerin sich etwa zu weit vorgewagt?
Die Beliebtheitswerte der Kanzlerin sinken. Die Querschüsse innerhalb ihres Kabinetts steigen. Doch entspricht das auch der Stimmung innerhalb ihrer Partei? Eine Stern-Umfrage bei CDU-Mitgliedern offenbarte auf dem Höhepunkt der Kritik Überraschendes: Die Stimmung an der Spitze spiegelt nicht die an der Basis. 82 Prozent der CDU-Mitglieder sind mit der Arbeit der Kanzlerin „zufrieden“; 81 Prozent wünschen sich, dass Merkel 2017 wieder kandidiert.
Ihr größter Fehler ist die chronische Unterschätzung des Islamismus
Aber hat die Kanzlerin denn nicht auch Fehler gemacht? Gewiss. Jeder Mensch macht Fehler. Aus meiner Sicht ist ihr schwerster Fehler ihre seit Jahren chronische Unterschätzung der Gefahr, die vom politisierten Islam droht (nicht vom Islam als Glauben!). Dazu meldet sie sich immer erst, wenn Tote daliegen. Aber dann ist es zu spät. Das Problem beginnt lange, lange vorher: nämlich bei den der islamistischen Agitation schutzlos überlassenen Söhnen und Töchtern muslimischer EinwanderInnen.
Und war es wirklich klug, im Oktober so kurz vor den Wahlen zu Erdoğan zu reisen? Schließlich ist der türkische Staatschef ein in der Wolle gewaschener Islamist. Seine Bomben zielen eher auf die Kurden und Staatschef Assad als auf den selbsternannten Islamischen Staat. Und die syrischen Flüchtlinge, für deren Beherbergung wir ihm jetzt Millionen zahlen, hat er ganz persönlich mitzuverantworten: Indem er über Jahre zugelassen hat, dass die Türkei Rückzugs- und Trainingsgebiet des Islamischen Staates war, ja er die Terroristen wohl sogar mit Waffen versorgt hat.
Bisher war die Kanzlerin konsequent gegen den Beitritt dieser Türkei zur EU. Dabei sollte sie bleiben. Damit auch in Zukunft der britische Economist mit ihr so titeln kann wie am 7. November: nämlich als die „unentbehrliche Europäerin“. Seit zehn Jahren, so schreibt das wohl einflussreichste Wochenblatt des Westens, wachse Merkel mit jeder Krise. Der Economist wörtlich: „Ohne Frau Merkel kann man sich schwer vorstellen, wie Europa seine zerstörerischen Kräfte unter Kontrolle bringen könnte.“
Zur gleichen Zeit aber raunt es in den deutschen Medien immer lauter: Wird Merkel über die Flüchtlingspolitik stürzen? Steht Schäuble schon bereit?
Auffallend dabei ist, wie schnell nicht nur politische GegnerInnen, sondern auch die eigenen Truppen den Daumen wieder mal nach unten halten in der Causa Merkel. Gehört sie selbst nach zehn Jahren Kanzlerinnenschaft noch immer nicht dazu? Ist und bleibt sie die Außenseiterin, die Fremde?
Angela Merkel war der erste Kanzler, der es ganz ohne Hausmacht geschafft hat – weniger noch: Sie hat ihr Ziel gegen den zähen Widerstand in den eigenen Reihen und mit etlichen Messern im Rücken erreicht. Sie kam aus dem Nichts. Ihr Weg an die Spitze war ein Ritt über den Bodensee.
Die Ungeheuerlichkeit, dass eine Frau, und dazu noch eine aus dem Osten, nach der Macht greift, scheint Merkel selber zunächst gar nicht klar gewesen zu sein. Den halluzinanten Auftritt des unterlegenen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder in der Wahlnacht 2005 („Die kann das nicht! Das Volk will, dass ich regiere!“) beobachtete die Siegerin mit gelähmtem Entsetzen. Bedrückt auch von einem Sieg, der zwar eindeutig war – 450.000 Stimmen mehr als der Gegenkandidat (Schröder hatte 2002 nur 6.027 Stimmen mehr als Stoiber) – der ihr jedoch dennoch als Niederlage ausgelegt wurde.
Folgten drei Wochen in Absurdistan. Im Ausland konnte man es damals kaum fassen, dass in Deutschland im Jahr 2005 ernsthaft darüber debattiert wurde, ob die Kanzlerkandidatin der gewählten Partei denn nun auch wirklich Kanzlerin werden sollte. Oder ob nicht doch Schröder erstmal weitermachen solle, für zwei Jahre, und dann werde man ja sehen (Klammer auf: Bis dahin ist von der eh nicht mehr die Rede). So räsonierten nicht nur Journalisten und Koalitionspartner, sondern so dachte auch so manch Altvorderer in Merkels eigenem Laden.
Denn es ging natürlich um viel mehr als nur um die Person Merkels. Es ging um den Schock, dass der deutsche Mann erstmals das politische Ruder einer Frau überlassen sollte. Einer Frau!
Ist sie auch nach
10 Jahren noch
immer die
Fremde? Die
Frau & Ossi?
Dabei hatte Merkel selbst sich echt Mühe gegeben, nicht weiter auffallen zu lassen, dass sie eine Frau ist: Frauen waren im Wahlkampf auch für sie kein Thema (so wenig wie Ossis). Doch es nutzte nichts. Da kann frau sich noch so bedeckt halten bzw. anbiedern: Die Machos unter den Männern vergessen nicht, dass die da eben doch kein Mann, sondern nur eine Frau ist. Und das stört ganz einfach ihre Kreise – und schmälert ihre Pfründe.
Doch welche Rolle haben bei diesem Dennoch-Aufstieg der deutschen Kanzlerin eigentlich die Wählerinnen gespielt? Sie waren zunächst, bei den ersten Merkel-Wahlen, misstrauisch („Frausein allein ist noch kein Programm“, schrieb EMMA). Seit 2009 aber sind vor allem die unideologischen, jüngeren Frauen die Mehrheitsbeschafferinnen der Kanzlerin. Sie ist ihr Vorbild! Sie ist der lebende Beweis, dass eine Frau es schaffen kann. Bis ganz nach oben.
Für die Frauen in der Welt schließlich ist die deutsche Kanzlerin schlicht eine Lichtgestalt, jenseits aller ideologischen oder parteipolitischen Orientierungen. Ein beneidenswerter Glücksfall für alle Frauen! Nur eines wünschen sich die Frauen der Welt: Dass diese deutsche Kanzlerin nicht nur klammheimlich, sondern auch offen stärker für Frauen einträte. Wer, wenn nicht sie?!
Gleichzeitig ist Merkel in der Männerwelt bis heute eine Außenseiterin geblieben. Daran konnten offensichtlich auch zehn Jahre sachorientiertes, respektables Regieren nicht wirklich etwas ändern. Auch darum wird jetzt der Daumen wieder so eilfertig nach unten gehalten. Sie kann es eben doch nicht. Haben wir ja immer gesagt.
Merkel bleibt die Fremde. Die aus dem Osten. Die Frau. Die, die einfach nicht dazugehört zu den interessengelenkten und ideologisierten Männercliquen der Berliner Republik.
Doch gibt es da für ihre Gegner ein Problem: Die Kanzlerin steht – wie sie selber in anderen Zusammenhängen so gerne zu sagen pflegt – wohl „alternativlos“ da.