Alleinerziehende haben keine Lobby
Die gute Nachricht zuerst: Kindern von alleinerziehenden Müttern geht es genau so gut wie jenen, die mit beiden Eltern aufwachsen. Zu diesem Schluss kam eine aktuelle Studie von Mathilde Brewaeys von der Universitätsklinik Amsterdam. Sie untersuchte Kinder, deren Mütter sich bewusst dazu entschieden hatten, sie alleine aufzuziehen, und fand sie kein bisschen weniger glücklich, gesund und entwickelt als die Kontrollgruppe. Doch so weit Alleinerziehende offenbar das Fehlen eines zweiten Elternteils ausgleichen können, so sehr sind sie zusätzlichen Belastungen ausgesetzt und in Deutschland rechtlich auch noch schlechter gestellt.
Alleinerziehende haben kaum eine Lobby, weil Zeit in dieser Bevölkerungsgruppe ein rares Gut ist – und Geld auch. Wer seine Kinder allein großzieht, ist nämlich meist schon mit dem Alltag vollkommen ausgelastet. Auch ein Vollzeitjob ist für sie viel schwerer zu bewältigen, wenn sie sich nicht in der Kinderbetreuung mit einem Partner abwechseln können. Trotzdem müssen sie Sozialversicherungsbeiträge zahlen wie Singles, während kinderlose Ehepaare die finanziellen Vorteile des Ehegattensplittings genießen.
Das deutsche Gesetz zum Ehegattensplitting stammt aus dem Jahr 1958 und basiert auf dem Modell: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter höchstens ein bisschen. Umgekehrt ist es natürlich auch möglich, aber das entsprach damals nicht der bundesrepublikanischen Norm. Es sind bis heute genau diese Paare, die vom Steuerrecht am meisten profitieren. Wenn beide gleich viel verdienen, ist der steuerliche Vorteil zu vernachlässigen. Schließlich war das nicht im Sinne der Bundesregierung, die damit der Rolle der Hausfrau staatliche Anerkennung verleihen wollte.
Doch das Splitting war nicht nur ein gesellschaftspolitisches Signal, sondern folgte durchaus einer eigenen fairen Logik: Weil Ehepaare gemeinsam veranlagt werden sollten, landeten sie mit ihrem aufaddierten Gehalt schnell in der höchsten Steuerklasse. Sie zahlten also mehr Steuern als vorher. Also halbierte man das gemeinsame Gehalt und verdoppelte die daraus errechnete Steuer. Damit genießen sie Steuervorteile. Anstatt ihnen also einfach nur die Benachteiligung zu erlassen, verschaffte man ihnen Privilegien.
Privilegien für Menschen, die Kinder großziehen – das klingt nach vernünftiger Politik. Nur dass dabei eben die Alleinerziehenden durchs Raster fielen. Sie bekamen dafür einen Haushaltsfreibetrag gutgeschrieben, der 2004 in „Entlastungsbetrag für Alleinerziehende“ umbenannt wurde. 1958 lag er bei 1.680 Mark im Jahr, dann stieg er kontinuierlich, bis er 2001 auf seinem -Höhepunkt in 2.916 Euro umgerechnet wurde. Anschließend sank er erst einmal dramatisch. Seit 2015 liegt der Entlastungsbetrag bei 1.908 Euro pro Jahr für das erste Kind. Für jedes weitere Kind kommen nur 240 Euro hinzu. Wie lächerlich gering dieser Freibetrag ist, lässt sich daran ablesen, dass 1982 die Diskussion aufkam, den Vorteil des Ehegattensplittings auf 10.000 Mark zu deckeln. Dieser Gesetzentwurf wurde nie umgesetzt. Die Gesetzlage ist also klar – nicht Familien werden in Deutschland gefördert, sondern Eheleute, deren Verdienste möglichst weit auseinanderklaffen, am meisten die klassische Konstellation: Einer geht arbeiten, einer macht die Wäsche.
Das ist doppelt irritierend. Die Förderung dieses Modells bildet nämlich weder die heutigen Bedürfnisse der Industrie noch die heutigen Bedürfnisse der meisten Menschen ab. Und auch längst nicht mehr die Linie der Regierung – schließlich hat die 2007 das Elterngeld eingeführt, um dafür zu sorgen, dass mehr Frauen arbeiten und zugleich Kinder haben können, weil damals schon längst klar war, dass sich manche Frauen sonst gegen Kinder entscheiden würden. Außerdem muss ein Paar sich dieses Modell leisten können. Leben ist teuer, Kinder sind es auch. Die Alleinverdienerehe wird mehr und mehr zum Nischenphänomen. Einer Studie des DIW zufolge verdiente im Jahr 2000 in gut einem Drittel der Ehen noch ausschließlich der Mann das Geld. 2011 war dieser Anteil bereits auf ein Fünftel gesunken. Bei Ehen mit Kindern liegt der Anteil etwas höher: 2015 hatte ein Viertel der klassischen Familien nur ein Einkommen.
Die Zahl der Alleinerziehenden hingegen steigt. Die ältesten vergleichbaren Zahlen gibt es von 1996, zuvor wurden Alleinerziehende mit Alleinstehenden einfach zusammengefasst – allein das ist schon absurd genug. 1996 also wurden vom Statistischen Bundesamt 1,3 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern gezählt. Die jüngsten Zahlen stammen von 2015 und nennen 1,644 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. Insgesamt waren es 2,74 Millionen Alleinerziehende mit Kindern, die noch bei ihnen wohnten.
Wie es diesen Familien finanziell geht, zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung von 2016: „Das Einkommensarmutsrisiko betrug bei Alleinerziehenden im Jahr 2014 nach den Ergebnissen des Mikrozensus 41,9 Prozent. Dabei ist das Armutsrisiko für Alleinerziehende seit 2005 um 6,6 Prozent gestiegen“, schreiben die Autorinnen der Studie. 2014 bekam die Hälfte der Alleinerziehenden für ihre Kinder gar keinen Unterhalt gezahlt. Ein Viertel bekommt ihn nur unregelmäßig oder weniger, als den Kindern laut Düsseldorfer Tabelle zusteht. Der Staat hilft mit dem Unterhaltsvorschuss aus, aber den gibt es erstens nicht in der gleichen Höhe wie normalen Unterhalt und zweitens erst seit dem 1. Juli länger als sechs Jahre.
Natürlich gibt es Alleinerziehende, bei denen ein Elternteil oder beide so viel verdienen, dass sie sich zwei Haushalte und steuerliche Nachteile locker leisten können. Aber das ist nicht die Regel. 37,6 Prozent der Alleinerziehenden beziehen laut Bertelsmann-Studie Hartz-IV-Leistungen. Alleinerziehende verdienen nicht nur besonderen Schutz, sie brauchen ihn auch. Unverheiratete Paare mit Kindern werden auch steuerlich benachteiligt, haben aber immerhin zwei Erwachsene, die finanziell zum Haushalt beitragen können – und im Gegensatz zu vielen Alleinerziehenden haben sie zumindest theoretisch jemanden zum Heiraten da.
Doch Alleinerziehende haben auch noch mit moralischer Verurteilung zu rechnen: Ein Kind habe doch das Recht auf Vater und Mutter, heißt es oft. Doch da müssten alle Beteiligten mitziehen, und das klappt oft nicht: Nach Angaben des Deutschen Jugendinstituts verlieren zwischen 17 und 33 Prozent der Kinder nach der Trennung der Eltern den Kontakt zum Vater – je nach Studie. Das liegt nicht nur daran, dass bei Trennungen gern Porzellan zerschlagen wird, sondern auch daran, dass deutsche Richter nicht darauf eingestellt sind, zwischen den Elternteilen zu vermitteln.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch steht: „Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.“ Doch gerichtlich durchgesetzt wird nicht das Umgangsrecht des Kindes, sondern nur das der Eltern. Manchmal, wie im bekanntgewordenen Fall des Mädchens Charlotte in Berlin, wundert man sich, wozu die Behörden da fähig sind: Charlotte wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Wochenenden bei ihrem Vater, der kaum Zeit für sie hatte, sondern sie meist bei seiner Lebensgefährtin ablieferte. Mit jeder erzwungenen Begegnung wuchs ihre Angst vor ihrem Vater. Nur der Mutter zuliebe sei sie noch hingegangen, sagte sie später der Berliner Zeitung. Der Vater hingegen witterte eine Manipulation der Mutter, beantragte erfolgreich das alleinige Sorgerecht, schloss Charlotte in seinem Haus ein und ließ sie nach ihrer Flucht in einem geschlossenen Heim unterbringen. Sie durfte mit niemandem Kontakt aufnehmen, auch nicht mit ihrer Mutter, nicht mal zur Schule gehen oder Bücher lesen oder mit einer Therapeutin sprechen. Da war das Mädchen neun Jahre alt.
Einem Kind dagegen, das seinen Vater sehen möchte, der kein Interesse hat – dem möchten alle Beteiligten die Enttäuschung eines erzwungenen Nachmittags mit einem unwilligen Elternteil ersparen. Vor allem aber ist niemand dafür zuständig, mit Kindern und Eltern ein Modell auszuhandeln, mit dem alle einigermaßen zufrieden sind. In Dänemark müssen Eltern sich erst auf ein Modell der Kinderbetreuung einigen, ehe sie die Scheidungspapiere erhalten. Hierzulande verlässt man sich darauf, dass erwachsene Menschen das schon irgendwie hinbekommen werden. Ein Irrtum, der viele Kinder von ihren Vätern entfremdet.
Was ist nun also eine Familie und verdient damit besondere Unterstützung? Alle Menschen, die Kinder aufziehen, oder manche von ihnen besonders? „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“, heißt es im Artikel 6 des Grundgesetzes – ein sonderbares Relikt, dass hier nichts von Vätern steht. Sollte sich herausstellen, dass eine Konkretisierung des Grundgesetzes zur Ehe für alle doch notwendig ist, wäre das eine gute Gelegenheit: Auch diesen Passus muss man endlich ins 21. Jahrhundert holen.
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