Nobelpeis für die "Abtreibungsfrau"

Eunice Brookman-Amissah hat tausenden Frauen das Leben gerettet. Foto: privat
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Ihr Name war Amina. Das 14-jährige Mädchen trieb sich oft in dem Lehrkrankenhaus herum, in dem Eunice Brookman-Amissah Anfang der 1970er Jahre ihre Ausbildung begann. Amina hat Eunice „Tante Doktor“ genannt, ging den Krankenschwestern zur Hand und wollte selbst einmal eine werden.

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Dann blieb Aminas Periode aus. Sie war vergewaltigt worden und ungewollt schwanger. Eunice war entsetzt, machte Amina Vorwürfe. Als Stieftochter eines anglikanischen Erzbischofs war Eunice in einem konservativen Elternhaus aufgewachsen und wurde in dem Glauben erzogen, dass Frauen, die abtreiben, Kriminelle sind, der „Abschaum der Welt“.

Diese Frauen wurden blutig und fiebernd aufbewahrt, bespuckt und getreten

Der Mann, der Amina vergewaltigt hatte, schickte sie zu einem „Kurpfuscher“. Wie viele andere Mädchen und Frauen, überlebte auch Amina diese Abtreibung nicht.

"Ich kann immer noch den hilfesuchenden Blick in ihren Augen sehen", sagt Eunice Brookman-Amissah (78) heute, „Amina hat mich diesen Weg gehen lassen.“

Dieser Weg führte die Ärztin an die Spitze im Kampf für sichere Abtreibung in Afrika. In Accra, der Hauptstadt Ghanas, hat Eunice in den 1980er Jahren unzählige Mädchen und Frauen wie Amina gesehen. In ihr Krankenhaus wurden Frauen nach verpfuschten Abtreibungen eingeliefert, jeden Tag kamen mindestens zehn. „Sie wurden dort blutend, fiebrig und schmutzig aufbewahrt, bis alle anderen Fälle erledigt waren. Selbst wenn es Betten gab, wurden diese Frauen auf den Boden gelegt. Die Leute traten auf sie ein, bespuckten und beschimpften sie“, erzählt sie.

Eunice Brookman-Amissah studiert in London Medizin. Zurück in Ghana, wird sie nicht nur Gynäkologin mit der Spezialisierung auf schonende Abtreibungen in eigener Praxis in Accra, sie kämpft auch dafür, dass Abtreibung ein Schwerpunkt in der Ausbildung von ÄrztInnen wird und dass diese sich verpflichten, besser mit den Frauen in Not umzugehen.

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Eunice tingelt von Krankenhaus zu Krankenhaus, trifft sich mit Regierungsbeamten, Anwälten und Richtern, religiösen und kommunalen Führern, mit AktivistInnen, JournalistInnen und Frauen aus der Frauenbewegung. „Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen entscheidet über die Gleichstellung der Geschlechter - das musste ich in die Köpfe kriegen“, erzählt sie.

1996 ernennt sie der Präsident Ghanas schließlich zur Gesundheitsministerin. In ihrer Amtszeit reformiert sie das Gesundheitssystem, gründet den „Ghana Health Service“ und sorgt dafür, dass der Internationale Hebammenverband seine Haltung zu Abtreibungen ändert. Auch in Sambia, in Malawi, im Senegal und auf Mauritius stößt sie die erstmalige Verabschiedung von Abtreibungsgesetzen an.  Landesweit wird sie zur „Abtreibungsfrau“. 

Im August 1998 wechselt sie als ghanaische Botschafterin ins niederländische Den Haag, knüpft Beziehungen zu hochrangigen PolitikerInnen. 2001 geht Eunice ins kenianische Nairobi, wird dort Vizepräsidentin von Ipas, einer internationalen Organisation für sichere Abtreibung.

Ihre Arbeit bewirkt Gesetzesänderungen und ein Absinken der Sterberate

Sie gründet und leitet die „Ipas Africa Alliance for Women's Reproductive Health and Rights“, und setzt sich damit auf dem gesamten Kontinent auf höchster Ebene für eine Reform des Abtreibungsrechts ein. 15 Jahre bleibt sie dort. Ihre Arbeit bewirkt Gesetzesreformen in Mosambik, Sierra Leone, Benin, Eswatini und Kenia.

Eunice Brookman-Amissah ist es zu verdanken, dass die Zahl der Todesfälle durch unsichere Abtreibung in Afrika südlich der Sahara seit 2000 um 40 Prozent zurückgegangen ist.

Dafür erhält sie nun am 29. November den Right Livelihood Award, den „Alternativen Nobelpreis“. Für „ihre bahnbrechenden Diskussionen über die reproduktiven Rechte von Frauen in Afrika, mit denen sie den Weg für liberalisierte Abtreibungsgesetze und einen verbesserten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen geebnet hat", so die Jury.

Von den 42 Millionen Abtreibungen, die jedes Jahr weltweit durchgeführt werden, sind 20 Millionen unsicher. Nirgendwo auf der Welt sind Abtreibungen so gefährlich wie in Afrika. Jedes Jahr sterben 36.000 afrikanische Frauen, was mehr als die Hälfte der weltweit jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle ausmacht.

Eunice: „Ich hoffe, dass der Preis dazu beitragen wird, weltweit mehr Aufmerksamkeit auf die Tragödie der unsicheren Abtreibung und all diese unnötigen Todesfälle zu lenken.“

 

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