Der unheimliche Imagewandel

Knox nach dem Freispruch mit Anwalt Theodore Simon. © Stephen Brashear/Getty Images
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Selbst als die Austauschstudentin Amanda Knox nach ihrem spektakulären Freispruch durch ein italienisches Berufungsgericht in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, blieb nichts dem Zufall überlassen. Während sich in der Ankunftshalle des Flughafens von Seattle schon mehr als 150 Reporter drängelten und eine Armada von Übertragungswagen in Stellung gebracht wurde, ließ der PR-Profi David Marriott verheißungsvoll die Südseite der Halle absperren, um unmittelbar vor Knox’ Landung ein Rednerpult aufzustellen. „Ich möchte jedem Einzelnen danken, der an mich geglaubt hat, der mich verteidigt hat und der meine Familie unterstützt hat“, schluchzte seine 24-jährige Klientin wenig später in die Mikrofone.

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Die PR-Agentur spann hinter den Kulissen die Fäden.

Dass Knox dabei vor allem Marriott meinte, erschloss sich auch den bestinformierten Beobachtern des Justizdramas um die Studentin und ihre ermordete Mitbewohnerin Meredith Kercher erst in den Tagen nach dem tränenreichen 4. Oktober. Wie peu à peu durchsickerte, hatte der Gründer der PR-Agentur Gogerty Marriott seit Knox’ Verhaftung Anfang November 2007 hinter den Kulissen kunstvoll die Fäden gespannt, um die anfangs als „Engel mit den Eisaugen“ verteufelte Amerikanerin zu einem Opfer der italienischen Staatsanwälte zu stilisieren. „Es war wirklich der befriedigendste Augenblick meiner Karriere, als sie schließlich in Seattle aus dem Flugzeug stieg“, gestand Marriott später.

Der 68-jährige Profi gilt seit seinem Krisenmanagement nach dem Absturz einer Maschine der Alaska Airlines und der erfolgreichen Image-Kampagne pro Energiepolitik während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2008 als einer der erfahrensten Spin-Doktoren des Landes. Doch die Causa Knox verlangte auch ihm einiges ab.

Italienische und britische Zeitungen hatten die Studentin der Linguistik bereits zur eiskalten Mörderin erklärt, als ihr Vater Curt Knox wenige Tage nach der Festnahme in Perugia bei Marriott anrief. Wie die Schlagzeilen verkündeten, hatte Knox die Engländerin Kercher angeblich bei entgleisten Sexspielen erstochen. Ihr Liebhaber Raffaele Sollecito sollte ebenso an der Tat beteiligt gewesen sein wie der Ivorer Rudy Guede.

Auftritte in Talkshows stellten Knox als Justizopfer dar.

Im Auftrag von Knox’ Eltern Edda Mellas und Curt Knox begann Marriott umgehend einen medialen Zweifrontenkrieg. Plötzlich wurden in amerikanischen Zeitungen und Internetportalen Stimmen laut, die der italienischen Justiz einen rauen Umgang mit „Amanda“ vorwarfen. Angeblich hatten die Ermittler Knox trotz ihres lückenhaften Italienisch ohne Dolmetscher verhört, sie geschlagen und ihr eine HIV-Infektion suggeriert. Auch soll die Polizei eine Liste mit den Namen früherer, eventuell infizierter Sexualpartner der Verdächtigen an die Presse weitergegeben haben, die als Beweis für Knox’ vermeintliche Promiskuität galt.

Parallel dazu begann der Strippenzieher Marriott, das lädierte Image des „Engels mit den Eisaugen“ weichzuzeichnen. Anstelle der Berichte über sexuelle Eskapaden seiner Klientin, die angeblich von einem Vibrator in Kaninchenform bis zu einem Quickie mit einem Fremden im Zug reichten, ließ er Familie und Freunde sprechen. Auf Websites wie „friendsofamanda.org“ und „injusticeinperugia.com“ lobten sie Knox’ Leistungen an der University of Washington und beschrieben sie als „yogaseligen Hippie aus Seattle“, der nie zu einem Verbrechen fähig wäre.

Den Eltern Mellas-Knox vermittelte Marriott unterdessen Auftritte in Talkshows, um ihre Tochter bei Oprah Winfrey in Chicago oder Johannes B. Kerner in Hamburg als Justizopfer darzustellen. „Unsere Aufgabe war es, die falschen Vorstellungen über Amanda Knox zu korrigieren“, beschrieb der PR-Spezialist die Strategie für den bislang härtesten Fall seiner Karriere. Marriotts prozessbegeleitende Öffentlichkeitsarbeit wird in den Vereinigten Staaten seit dem Prozess der Hausfrauen-Ikone Martha Stewart und dem Verfahren des verstorbenen Popstars Michael Jackson als „Litigation PR“ bewundert. Doch sein – indirektes – Engagement für Amanda Knox schien wenig Eindruck zu hinterlassen. Zwei Jahre nach Kerchers Tod verurteilte das Gericht in Perugia Knox 2009 zu 26 Jahren Gefängnis.

Plötzlich tauchten im Internet Fotos aus Knox' Kindertagen auf.

Die Beweislage war in der Tat dürftig. An der mutmaßlichen Tatwaffe, einem etwa 30 Zentimeter langen Küchenmesser, konnten die Forensiker kein Blut der sexuell missbrauchten und ermordeten Kercher nachweisen. Zudem schienen die tödlichen Schnittverletzungen an der Kehle der 21 Jahre alten Britin nicht zu der Klinge zu passen.

„Wir fühlten uns wie versenkt“, erinnerte sich Marriott an den 4. Dezember 2009. Aber statt die Niederlage hinzunehmen, läutete der PR-Profi die nächste Runde im Kampf um Amandas Image ein. Mit Blick auf den vermeintlichen Anti-Amerikanismus der Italiener wurde nun die Senatorin Maria Cantwell aus Knox’ Heimatstaat Washington als Fürsprecherin rekrutiert. Die wiederum alarmierte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton.

Im Internet tauchten derweil immer neue Fotos aus Knox’ Kindertagen auf: als blauäugige Siebenjährige unter einem Papierhütchen, mit ihrem Hund Ralphy und als Träumerin neben einer symbolträchtigen weißen Taube. Die Videos von verbotenen Trinkspielen und ausgelassenen Partys mit ihren Freunden Seliber, Stefani, DJ und Brett („Ich hatte eineinhalb Kurze“) verschwanden ebenso aus der Blogosphäre wie Amandas anzüglicher Spitzname „Foxy Knoxy“.

„Der Wandel kam nicht über Nacht, sondern durch das jahrelange Retuschieren ihres Images. Heute gilt sie als Amerikanerin, die als gewöhnliche junge Dame zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war“, analysierte der als Verteidiger des Mafiabosses John Gotti bekannt gewordene Jurist Gerald Shargel die kunstvoll orchestrierte Metamorphose in der New York Times. Und wie Knox’ Mutter einer Reporterin erzählte, mutierte der „Engel mit den Eisaugen“ selbst bei den Mithäftlingen im Capanne-Gefängnis zu einem braven „Bambi“.

Strippenzieher Marriott zeichnete das lädierte Image weich.

Als sich während des anschließenden Berufungsverfahrens Schlampereien der Ermittler abzeichneten, gingen die „Friends of Amanda“ im 11.000 Kilometer entfernten Seattle in die Offensive. Die Elternschaft der von Knox besuchten Jesuitenschule Seattle Preparatory rügte öffentlich die Ermittlungen des Staatsanwalts Giuliano Mignini. Der Jurist wehrte sich daraufhin gegen „die heftige Einmischung“ und mahnte die beiden Richter sowie sechs Schöffen, ihre Beratungen unbeirrt fortzusetzen.

Auftritt der von der Verteidigung bezahlten Gutachter. Zwei Wissenschaftler aus Rom fanden bei einer gerichtlich angeordneten Zweituntersuchung der Beweise mehr als 50 Verstöße. Nun schlug die Stunde von Marriott. „Die Wahrheit war meine Mission, aber die DNA hat uns den Freispruch gebracht“, verkündete der PR-Profi bei der Rückkehr seiner Klientin nach Seattle im Puget Sound Business Journal.

„Das einzig Sichere in diesem Fall ist Meredith Kerchers Tod“, kommentierte der Richter Claudio Pratillo Hellmann den überraschenden Freispruch im Berufungsverfahren. Dieser, so der Richter, sei keinesfalls erfolgt aufgrund erwiesener Unschuld der Angeklagten, sondern wegen der Verunsicherung der Gewissheit der Schuld. Litigation PR sei dank.

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