Ein verlorenes Paradies?
Sanft erwacht beim ersten Hahnenschrei das Dorf Terre Noire im tiefsten Amazonien. Doch bei aller Sanftheit ihrer Lebensweise ist den Einwohnern vollkommen bewusst, dass sie in einem Paradies auf Abruf leben. Rings um die Maraguas weicht der Wald in hohem Tempo zurück und wird durch Sojapflanzungen und Rinderzucht ersetzt. Der Fluss Abacaxis, eine Lebensquelle, entlang der sich die 600 Stammesmitglieder auf fünf Ansiedlungen verteilt haben, bringt weitere Plagen mit sich. Auf seinen schlammigen Wassern fahren Sportfischerboote voller Touristen auf Abenteuersuche vorbei, die die Fischschutzgebiete leerangeln; und Jäger, die Jaguare, Kaimane und Affen jagen – alles, was ihnen an geschützten Arten vor die Flinte kommt.
„Nichts hat sich geändert seit unserem ersten Kontakt mit den Jesuiten 1840“, bedauert Egidia Dos Reis, die zwischen dem Dorf und der weit entfernten Regionalhauptstadt Manaus pendelt, wo sie eine Organisation von Aktivistinnen leitet. „Die Weißen verfolgen uns, damit wir ihnen freie Bahn lassen – die Natur in aller Ruhe zu zerstören.“
Sie leben in einem Paradies auf Abruf
Bereits am ersten Tag seiner Amtszeit, dem 1. Januar 2019, hatte der neue Präsident in einer aggressiven Maßnahme die Grenzfestlegung für die Territorien der Ureinwohner der Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina überlassen, „der Muse des Pestizids“, wie sie wegen ihrer engen Verbindungen zu den Agrarlobbys genannt wird. Das ist, als würde man einem Fuchs die Bewachung des Hühnerstalls übergeben. Die Nationale Indianerstiftung (Funai), deren Aufgabe es sein sollte, die Rechte der indigenen Bevölkerung zu wahren und zu fördern, wurde in das Ministerium für Frauen und Familie integriert und verlor damit als eine der letzten Schutzinstanzen ihren Sinn und Zweck. Seitdem müssen sich die Indianer allein gegen die fortgesetzten Angriffe auf den Wald zur Wehr setzen.
Theoretisch stehen die Gemeinden der Ureinwohner unter dem Schutz der brasilianischen Verfassung, die ihnen das Recht garantiert, auf dem Land ihrer Vorfahren zu leben. Das Land der Maraguas gehört zu den 115 Territorien, die noch nicht demarkiert sind. Sorgsam entfaltet ihr Häuptling die Karte mit dem Gebiet, dessen Grenzen in Absprache mit der Funai und dem Justizministerium festgelegt worden sind und das Anfang des Jahres offiziell hätte registriert werden sollen. Mit der Wahl Bolsonaros ist dieser krönende Abschluss eines erbitterten dreißigjährigen Kampfes geplatzt.
Während seiner Wahlkampagne hatte Bolsonaro immer wieder versichert, dass er den autochthonen Völkern keinen weiteren Quadratzentimeter abtreten wolle. Nach seiner Wahl geht er nun daran, die letzte gesetzliche Hürde aus dem Weg zu räumen: Noch in diesem Jahr soll dem Kongress eine Verfassungsänderung zur Abstimmung vorgelegt werden, die vorsieht, die Anerkennung der bereits demarkierten Gebiete auf Eis zu legen, um sie für die landwirtschaftliche Nutzung und den Bergbau zugänglich zu machen.
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