Winnenden: Fünf Jahre danach

© ZDF/Brian McClatchy
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Viermal hat sie es versucht, an vier verschiedenen Schulen. Aber es ging nicht. Larissa Killian konnte es nicht mehr ertragen, in einem Klassenzimmer zu sitzen. Sie war 13, als der Amokläufer Tim K. am 11. März 2009 in ihre Klasse stürmte und zwölf ihrer MitschülerInnen erschoss. Jetzt arbeitet die heute 18-Jährige mit der Kinder- und Jugendpsychiaterin Luise Hepp daran, ihre Angst zu überwinden, damit sie endlich ihren Schulabschluss machen kann.

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Die Dokumentarfilmerin Beate Rygiert hat mit fünf Menschen gesprochen, deren Leben sich an diesem 11. März für immer verändert hat. Selina hat noch heute Albträume, Steffen wirkt nach außen stabil, verbirgt sein Inneres aber gut vor den anderen. Am besten ablenken kann er sich im Fußballstadion. Patrick, der damals mit drei Streifschüssen verletzt wurde, schrieb einen Roman über das Grauen.

Keiner der Überlebenden hat klein bei gegeben.

Und Hardy Schober, der seine Tochter Jana beim Amoklauf verlor, gründete das „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“. Seither kämpft er unermüdlich für eine Verschärfung des Waffenrechts und Gewaltprävention an Schulen. Dabei bekommt er es immer wieder mit der Waffenlobby zu tun, die ihn massiv bedroht. Er macht trotzdem weiter. „Meine Tochter hat mir einen Auftrag hinterlassen: Dass ich diese Welt sicherer mache“, sagt Hardy Schober im EMMA-Interview (siehe unten).

Das Durchhaltevermögen der Überlebenden hat Filmemacherin Beate Rygiert beeindruckt: „Keiner von ihnen hat klein beigegeben, alle kämpfen sie bis heute darum, dass ihr Leben wieder eine gewisse ‚Normalität’ haben kann. Wie sie das schaffen, das zeigt der Film sehr eindrucksvoll. Auch Hardy Schober beweist als Vater, der seine Tochter verlor und von heute auf morgen sein Leben änderte, um dafür zu kämpfen, dass so etwas möglichst nie wieder passiert, jeden Tag aufs Neue ungeheuer viel Mut.“

Allerdings musste Rygiert feststellen, dass die Opfer nicht nur Respekt erfahren: „Interessant ist, dass das Wort ‚Opfer’ vor allem auf deutschen Pausenhöfen eine neue Bedeutung erfahren hat: Es wurde nämlich zum Schimpfwort. Auf diese Weise geschieht es tatsächlich, dass Schüler, die beim Amoklauf dabei waren, gerade deswegen gemobbt werden. Auch dieses Phänomen beleuchtet mein Film.“

"Amok in Winnenden - Das Leben danach" in der 3Sat-Mediathek ansehen. 

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Amoklauf Winnenden: Ich will Klarheit

Gisela Mayer hat ihre Tochter beim Amoklauf in Winnenden verloren.
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EMMA: Frau Mayer, das „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“ hat soeben die Stiftung „Gegen Gewalt an Schulen“ gegründet. Ein Ziel ist ein Frühwarnsystem, um weitere Amokläufe zu verhindern. Wie funktioniert das?
Gisela Mayer: Wir werden eine Telefon-Hotline einrichten. Die geschulten MitarbeiterInnen arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Außerdem haben wir erreicht, dass das Waffenregister aller Bundesländer schon jetzt und nicht erst 2013 zusammengeführt und auch nach Umzügen aktualisiert wird. Kommt also ein Hinweis auf einen möglichen Täter bei der Hotline an, kann abgeglichen werden, ob sich im Haushalt des auffälligen Schülers eine Waffe befindet. Für so einen Amoklauf müssen ja mehrere Faktoren zusammenkommen. Einer davon ist die Verfügbarkeit einer Waffe. In Winnenden hätte das System wahrscheinlich funktioniert. Man hätte der Familie einen Besuch abgestattet und dem Vater gesagt, dass er seine Waffen wegräumen muss.

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Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht, man wolle überprüfen, ob man den Waffenbesitzern mit der Verschärfung des Waffenrechtes, die nach dem Amoklauf erfolgte, „nicht zu große Belastungen zugemutet hätte“.
Dabei war diese „Verschärfung“ ja nur ein Bruchteil dessen, was wir gefordert haben und immer noch fordern: Ein Waffenverbot in Privathaushalten! In Deutschland hat der Staat das Gewaltmonopol. Niemand in diesem Land muss – außer in begründeten Ausnahmefällen – eine Waffe zu Hause haben. Im Raum Stuttgart haben die bisherigen Kontrollen übrigens eine Beanstandungsquote von 50 Prozent ergeben. Wenn jetzt auch noch diese Kontrollen zurückgenommen würden, dann wäre das ein Armutszeugnis!

Sind Sie mit Ihrem Kampf für ein Verbot von Killerspielen erfolgreicher?
Die Innenminister haben sich klar für ein Verbot ausgesprochen, und wir führen Gespräche mit den Spieleherstellern. Die haben signalisiert, dass sie beim Jugendschutz kooperativ sein würden. Das ist erfreulich, aber es geht ja nicht nur um Jugendschutz. Es geht um eine Wertedebatte, die wir führen müssen. Es geht darum, was für ein Menschenbild wir vermitteln wollen – auch erwachsenen Menschen.

Und um das Männerbild.
Natürlich. Das Ganze ist ein Jungenproblem. Wenn wir diese Bilder nicht korrrigieren, glauben die Jungen irgendwann, sie wären nur noch ein Mann, wenn sie ein Maschinengewehr über der Schulter tragen. Und die Frauenrollen in diesen Spielen oder auch in HipHop-Texten sind ja ebenfalls total problematisch. Ich erlebe an meiner Schule Mädchen, die sich mit einem gewissen Stolz selbst als „Schlampe“ oder „Nutte“ bezeichnen. Und das läuft unter dem Deckmantel des Liberalismus. Nach dem Motto: Alles ist erlaubt, alle haben ein Recht auf alles. Wir sind an einem Scheideweg! Ich habe mit meiner Tochter immer Gespräche über diese Entwicklungen geführt. Und die Realität hat uns auf die schrecklichste Weise Recht gegeben, die man sich vorstellen kann.

Was würde Ihre Tochter zu Ihrem Engagement sagen?
Meiner Tochter wäre, was ich tue, selbstverständlich. Was ich heute tue, ist nichts anderes, als das, was wir früher gemeinsam getan haben: für eine Welt arbeiten, in der es gut ist zu leben. Nur muss ich es heute allein tun.  

Hat das psychologische Gutachten, das im Oktober – fünf Monate nach der Tat – über Tim K. erstellt wurde, für Sie neue Erkenntnisse gebracht?
Die Ergebnisse des Gutachtens sind im Grunde für mich die Bestätigung von Vermutungen, die ich selbst bereits hatte. Es gibt – und das wird auch von Kriminologen bestätigt – einen Zusammenhang zwischen den Rachefantasien des jungen Mannes und seinem schwierigen Verhältnis zu jungen Mädchen. Ein weiteres Thema im Gutachten ist die elterliche Verantwortung. Beides wird in jedem Fall Gegenstand des Prozesses gegen den Vater des Täters sein, der im kommenden Frühjahr stattfinden wird.

Sie sind, gemeinsam mit fünf weiteren Elternpaaren, Nebenklägerin. Was erhoffen Sie sich von dem Prozess?
Ich habe als Nebenklägerin das Recht, Fragen zu stellen. Das war mir wichtig. Deshalb haben wir uns so dagegen gewehrt, dass nur ein Strafbefehl ausgestellt wird. Ich will Klarheit.

www.aktionsbuendnis-amoklaufwinnenden.de
www.stiftung-gegen-gewalt-an-schulen.de

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