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Anne Hidalgo: Gegen den Strom

Anne Hidalgo hat sich in Paris durchgesetzt. Foto: Alexis Sciard/IP3press/IMAGO
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Die Bilder von Anne Hidalgo in der Seine badend gingen um die Welt. Kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele hat die Bürgermeisterin von Paris ihr Versprechen wahrgemacht: Sie werde die Seine sauber bekommen und dann werde sie darin schwimmen gehen. Im Neoprenanzug kraulte sie im eleganten Stil durch den Fluss. Sie schafft, was sie sich vornimmt, oft gegen großen Widerstand.

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Dass die Spiele von Paris als historisch gelten, ist auch ihr zu verdanken

Gegen den Strom geschwommen ist die Sozialistin oft, seit sie vor zehn Jahren ihren Sitz im Pariser Rathaus bezogen hat. Als Hidalgo gleich zu Beginn ihrer ersten Amtszeit die Schließung der Uferstraße der Seine für den Autoverkehr ankündigte, ging die Autolobby auf die Barrikaden. Auch die meisten Pariserinnen und Pariser hielten die Idee für verrückt. Einige zogen vor Gericht und verloren. Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, die Entscheidung rückgängig zu machen. Alle lieben das nach 50 Jahren wieder autofreie Seineufer.

Dass die Olympischen Spiele von Paris als historisch in die Annalen eingehen werden, ist auch zu großen Teilen ihr zu verdanken. Die Bürgermeisterin von Paris hatte von Anfang an für „nachhaltige Spiele“ plädiert, ohne Millionen teure Neubauten, dafür mit temporären Stadien vor den Pariser Monumenten.

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Jahrelang hat die 56-Jährige gemeinsam mit ihrem Team daran gearbeitet, dass die Eröffnungszeremonie auf der Seine stattfinden konnte. Der Erfolg von Thomas Jollys, dem künstlerischen Direktor der Oper, mutiger und frischer Inszenierung der Eröffnungsfeier, aber auch die Euphorie der Spiele ist für Hidalgo ein Beweis dafür, dass die Bevölkerung den Zerreißproben standgehalten hat. Paris, die Stadt der Freiheit und der Menschenrechte, habe gezeigt, dass Solidarität und Gemeinsamkeit stärker seien. „Fuck die Reaktionären, Fuck die Rechtsextremen, Fuck diejenigen, die uns in einem Krieg jeder gegen jeden einsperren wollen“, resümiert sie wütend.

Hidalgo, Mutter von drei Söhnen und mehrfache Großmutter, ist keineswegs in Paris, sondern im spanischen San Fernando geboren. Mit zwei Jahren kam sie mit ihren Eltern nach Frankreich. Aus Ana wurde Anne.

Mit 14 nahm sie die französische Staatsbürgerschaft an, mit 44 holte sie sich die spanische zurück. Ihr Vater war Elektriker, die Mutter Schneiderin. Mit 23 begann die Tochter als Gewerbeaufsichtsbeamtin zu arbeiten. Als junge Frau trat sie den französischen Sozialdemokraten, der Parti Socialiste (PS) bei und arbeitete sich als Lokalpolitikerin ganz nach oben hoch. Verheiratet ist sie in zweiter Ehe mit ihrem Parteikollegen Jean-Marc Germain, der auch Vater ihres dritten Kindes ist.

Sie hat die radikale Verkehrsberuhigung gegen alle Zweifeler durchgezogen

Hidalgo glaubte, als sie ihr Amt 2014 antrat, dass sie nichts mehr überraschen könne, schließlich war sie zuvor bereits zehn Jahre als stellvertretende Bürgermeisterin von Paris im Amt. Es kam anders. Erst das schwarze Jahr 2015 mit mehreren islamistischen Attentaten. Vier Jahre später verwandelten die Gelbwestenproteste die Stadt Paris jedes Wochenende in ein Schlachtfeld. Und am Ende brannte auch noch Notre-Dame.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz hat Hidalgo ihr Programm durchgezogen. Ihre radikale Verkehrsberuhigung hat sie gegen alle Zweifler und Raser durchgezogen. Parkplätze wurden abgeschafft, Trottoirs vergrößert und Autos mussten Fahrrädern weichen. 500 Kilometer Fahrradwege sind in den vergangenen zehn Jahren mitten in der Stadt entstanden. Doch mit diesen Entscheidungen hat sich Hidalgo nicht nur Freunde gemacht. Immer wieder ist sie Opfer von unfairen Angriffen und Verleumdungen geworden.

„Die Attacken gegen Paris und gegen mich kommen nicht von ungefähr“, erklärt Hidalgo im Gespräch mit EMMA. „Es schwingt dabei immer noch Frauenfeindlichkeit mit. Ich bin nicht nur eine Frau, sondern auch noch links, grün und habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich bin vielen ein Dorn im Auge. Für reaktionäre Köpfe bin ich eine Art Vogelscheuche“, sagt sie und lächelt. Allerdings darf man sich von ihrem sanften Lächeln und ihrer weichen Stimme nicht täuschen lassen. Hidalgo ist eine Kriegerin. In Frankreich nennt man sie auch „Miss Titan“. Sie ist eine eiserne Lady à la française. Angriffe und sexistische Attacken hat sie gelernt, von sich abperlen zu lassen und ihre Ziele fest im Blick.

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