Ein Sieg und zwei Niederlagen

Artikel teilen

Mit diesem "Schlag ins Gesicht" hatte niemand gerechnet. Barbara Steinhagen nicht, ihr Rechtsanwalt nicht, die Presse nicht. Selbst das Bundesarbeitsgericht nicht, das den Fall mit deutlichen Worten ans Berliner Landesarbeitsgericht zurückverwiesen hatte. Denn eigentlich war die Sachlage glasklar gewesen.

Anzeige

Barbara Steinhagen, Marketingmanagerin bei Sony BMG, war die feste Stellvertreterin ihres Chefs. Man hatte ihr avisiert, dass sie, sobald er befördert würde, seine Nachfolge antreten solle. Im September 2005 war es soweit, der Chefposten wurde vakant. Aber plötzlich saß nicht Steinhagen auf dem Chefsessel, sondern ihr Kollege. Was war passiert? Barbara Steinhagen war schwanger geworden. Im Juli 2005 hatte die damals 33-Jährige dies verkündet und angekündigt, lediglich ein halbes Jahr zu Hause bleiben und danach sofort wieder einsteigen zu wollen. Ihr Mann, ein freiberuflicher Grafiker, würde den Kinderjob machen.

Und dann das. Beiläufig erklärte ihr Chef: "Du hast dich ja für Familie und gegen Karriere entschieden."

Barbara Steinhagen klagte – und war sicher zu gewinnen. Denn deutlicher kann eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ja kaum ausgesprochen werden. Der Prozess galt als Nagelprobe für das zum August 2006 eingeführte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Sie hat verloren. Nicht sofort, aber jetzt endgültig. Steinhagen gewann in der ersten Instanz beim Berliner Arbeitsgericht und verlor in der zweiten beim Landesarbeitsgericht. Richter Gerhard Binkert war der Ansicht, die Indizien für eine Diskriminierung der Managerin reichten nicht aus.

Das AGG schreibt vor, dass eine Klägerin "Tatsachen glaubhaft machen" muss, die eine Benachteiligung "wahrscheinlich erscheinen lassen". Erst wenn sie das schafft, tritt die sogenannte Beweislastumkehr ein: Dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Das war von Anbeginn an die Achillesferse des Gesetzes, das in anderen Ländern wie Frankreich die ungeteilte Beweislast des Arbeitgebers vorschreibt, dass er nicht diskriminiert hat. Hier in Deutschland stand also die Grundsatzfrage zur Debatte, wie stark die Indizien sein müssen, die eine Klägerin beizubringen hat.

Richter Binkert vom Landesarbeitsgericht jedenfalls ließ die Argumente von Barbara Steinhagen nicht gelten. Weder, dass Barbara Steinhagen stets (Urlaubs)Vertreterin ihres Chefs war, noch dass sie als einzige im Hause Marketing-Etats von 150.000 Euro freigeben durfte und ihr Kollege (der neue Chef) sich diese Etats von ihr abzeichnen lassen musste. Und auch nicht, dass ihr die Stelle schon angekündigt worden war.

Es überraschte niemanden, dass das Bundesarbeitsgericht das Urteil kassierte mit der Begründung, dass an die Beweise, die den Anfangsverdacht auf Diskriminierung belegen sollten, "kein zu strenger Maßstab anzulegen" sei. Es kritisierte, dass das Landesarbeitsgericht eine "Gesamtschau" der Indizien hätte vornehmen müssen, dies aber unterlassen und einige Indizien schlicht ignoriert hätte. "Mit ihrer Klarstellung im Fall Steinhagen machen es die obersten Bundesrichter abgelehnten oder nicht beförderten Frauen deutlich leichter, den Arbeitgeber vor Gericht in die Enge zu treiben", konstatierte Capital.

Doch das Gegenteil ist eingetreten. Denn der Fall Steinhagen wurde an die gleiche Kammer zurückverwiesen, und Richter Binkert legte unumwunden dar, dass ihn die Ansicht der Bundesrichter nicht weiter interessiere. Er wies die Klage zum zweiten Mal ab.

"Wenn ein Gericht diese Indizien nicht gelten lässt, dann brauchen Klägerinnen den Beweis für ihre Diskriminierung demnächst in Schriftform", stellt Anwalt Bernhard Steinkühler sarkastisch fest. Dabei geht es Steinhagen, die sich inzwischen mit einem Nachhilfe- und Sprachkurs-Institut selbstständig gemacht hat, nicht nur um "drei Jahre Schweiß, Geld und Tränen", sondern auch um das "fatale Signal an alle Frauen, die gegen Diskriminierung klagen wollen".

Diese Frauen sind sowieso dünn gesät. Und die Ergebnisse der ersten Antidiskriminierungsprozesse im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes machen klar, warum. Im Fall Sule Eisele erkannte das Arbeitsgericht Wiesbaden immerhin an, dass eine Diskriminierung vorliegt. Auch die 38-jährige Versicherungskauffrau aus dem schwäbischen Bad Saulgau hatte ihre Schwangerschaft bekanntgegeben, ihre zweite. Auch sie hatte einen Hausmann vorzuweisen. Ihr Arbeitgeber, die R+V-Versicherung, wies der Versicherungskauffrau daraufhin einen neuen Bezirk zu, in dem deutlich weniger Provisionen zu erwarten waren. Ihren alten Bezirk bekam ein Kollege, plus Sekretärin und höheres Gehalt als Eisele. Sie klagte auf 433.000 Euro – die Summe, die ihr durch die Differenz zwischen altem und neuem Einkommen bis zum Rentenalter entgehen würde. Das Resultat nach fast zwei Jahren des Prozessierens: 10.800 Euro. "Das ist lächerlich nach allem, was mir angetan wurde", erklärt Klägerin Eisele, die auch noch die Prozesskosten selbst zu tragen hat. Sie hat Berufung eingelegt.

Erfolg mit ihrer Klage hatte dagegen Silke Kühne. Sie war nicht schwanger, sie hatte keine Indizien – aber sie hatte die Statistik auf ihrer Seite. Über der Leiterin der Personalabteilung der GEMA befanden sich 27 Direktoren und drei Vorstandsmitglieder, allesamt männlich. Als ein Direktorenposten frei wurde und plötzlich und ohne Ausschreibung wieder ein Mann darauf saß, ging die 47-Jährige vor Gericht. Ihr Anwalt ließ einen Mathematiker berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass nur zufällig sämtliche Posten in der Chefetage mit Männern besetzt sind. Zu 99 Prozent, so errechnete der Mann, was dem gesunden Menschenverstand sowieso klar ist, sei das kein Zufall. Die Berliner Arbeitsrichter folgten dieser Argumentation.

Jüngst hat das Landesarbeitsgericht Berlin eine Statistik veröffentlicht. Rund 25.000 Fälle würden jährlich verhandelt, davon nur 36, also rund 0,1 Prozent, die sich auf das AGG beriefen. Darunter wiederum seien "kaum Frauen".

Verwunderlich ist das nicht. Zwar scheint es einleuchtend, dass eine Klägerin zunächst schlüssige Belege für ihre Diskriminierung beibringen sollte. Doch wenn Richter diese Belege dermaßen nach Gutdünken würdigen können, dann bleibt das AGG das, was KritikerInnen – die für die Beweislastumkehr waren – von vornherein befürchtet hatten: ein zahnloser Tiger.

Artikel teilen
 
Zur Startseite