Apropos Fischer & Cohn-Bendit
Am 10. Mai 1976 geriet einer dieser mit Mollis bombardierten „Scheißbullen“ lichterloh in Brand: Jürgen Weber. Er denkt, sagt er, bis heute jeden Tag an diese Stunden der Todesangst. Und woran denkt der als Wirtschaftsberater durch die Welt jettende Joschka Fischer? Zum Beispiel, wenn er mit seiner in Pelz gehüllten Gattin und in Lackschuhen über den roten Läufer der Berlinale schreitet?
Und sein Kumpel Cohn-Bendit, der zweite Held der linken Szene, woran denkt der? Der heutige Europa-Abgeordnete hat zumindest den Stil, nicht in einer verbarrikadierten Villa im Grunewald zu wohnen, sondern weiterhin in einer WG im Frankfurter Westend (früher in besetzten Häusern umsonst, heute vermutlich in einer Eigentumswohnung). Doch hat auch er Schuld auf sich geladen – und steht bis heute nicht dazu. Das kam jüngst wieder hoch, weil Cohn-Bendit den Theodor-Heuss-Preis erhält. Einige wenige fanden das unangemessen, da der zu Ehrende lange den sexuellen Missbrauch von Kindern nicht nur verharmlost, sondern regelrecht propagiert hatte. Und zwar in Zeiten, in denen linke Postillen wie konkret oder Pflasterstrand (dessen Chefredakteur der rote Dany war) sich mit nackten Minderjährigen auf dem Cover verkauften. Und in denen die SPD-Regierung den Pädophilen-Paragraphen streichen wollte, im Namen der sexuellen Freiheit. Im Ernst. Dann wäre sexueller Missbrauch von Kindern in Deutschland noch nicht einmal mehr strafbar gewesen. Es war leider allein EMMAs Verdienst, dass die geplante Straffreiheit für Pädophile durch Aufklärung und Mobilisierung der Öffentlichkeit im letzten Augenblick verhindert werden konnte.
Es sind dieselben Kreise, die es cool fanden, wenn ihre WG-Genossinnen mal „eine schnelle Mark“ durchs Beinespreizen in der Peepshow machten. Und die ihre Auffassung, Prostitution sei „ein Beruf wieder jeder andere“ als Grüne erfolgreich in die Politik trugen. Und die die Minderheit von Feministinnen, die es noch wagen, die Verhurung der Sexualpolitik zu kritisieren, als „prüde Emanzen“ belächeln.
Übrigens. Cohn-Bendit bekommt den Preis nicht zuletzt dank der Fürsprache von Gesine Schwan, Kuratoriumsvorsitzende der Heuss-Stiftung. Sie hält die Vorwürfe gegen ihn für "unbegründet und ehrenrührig". Und Cohn-Bendit, der in Frankreich geborene Sohn deutsch-jüdischer Emigranten, sagt zu all dem: Das sei in einer "Zeit, die so was geduldet hat", gewesen. - Na, wenn es immer danach ginge...
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet diese Weltbefreier von 68, die die äußeren Machtverhältnisse zu recht kritisierten, die inneren Machtverhältnisse leugneten: die zwischen Erwachsenen und Kindern oder Männern und Frauen. Und dass ausgerechnet diejenigen, die im Namen der Weltverbesserung angetreten waren, ihre Gegner entmenschlichen. Ganz wie ihre Väter. Polizisten waren für diese Genossen keine Menschen, sondern „Scheißbullen“ und Kapitalisten waren „Schweine“. Auf Scheißbullen und Schweine darf, ja soll man Steine und Mollis werfen, klar.
Schon damals haben das allerdings nicht alle Linken so gesehen. Es gab durchaus auch Maoisten oder Spontis oder Trotzkisten, die die Gewalt gegen Menschen nicht rechtfertigten. Und es gab sicherlich auch solche, die Sex mit Kindern nicht legitim fanden. Vor allem die Mehrzahl der Genossinnen, die zunehmend zu den Feministinnen überliefen, machte bei der Verharmlosung von Gewalt und Missbrauch nicht mit. Aber die Leader, die den Ton angaben, die waren ganz vorne an dabei. Und sie sind es bis heute.
Diese 68er haben mit Erfolg den Marsch durch die Institutionen angetreten. Und sie, die in Medien, Politik und Wissenschaft inzwischen den Ton angeben, verhindern bis heute eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit dieser Söhne ihrer Väter.
Natürlich galt der Gewalttäter in schwarzem Leder - als Attitüde wie real, von Joschka Fischer bis Andreas Baader - nicht zufällig in den 70er Jahren als schick. Die Inszenierungen waren auch eine Reaktion auf die Frauenbewegung, waren Ausdruck verunsicherter Männlichkeit. Es gab Zeiten, da war das selbst Joschka Fischer klar. Damals, 1977, schrieb der Metzgers-Sohn in einem Szene-Blatt über sich selbst: „Ich lernte, in der Gewalt zu leben. (…) Daraus wurde dann leicht die Lust am Schlagen, ein tendenziell sadistisches Vergnügen.“ Und weiter: „Es ist unser und mein dunkelstes Kapitel, ich weiß oder ahne es besser nur, weil ich da selber wahnsinnige Angst vor bestimmten Sachen in mir habe. Bartsch oder Honka sind Extremfälle, aber irgendwie ist das als Typ in dir drin.“
Zu der Zeit saß Honka als Serienmörder von Prostituierten auf der Anklagebank. Und der Metzgerssohn Bartsch war als sadistischer Serienmörder kleiner Jungen zu lebenslänglich verurteilt worden. „Irgendwie ist das als Typ in dir drin.“ Ein sehr ehrlicher Satz. – Leider ist Fischer nicht auf diesem Weg der Nachdenklichkeit und Selbstkritik weiter gegangen. Im Gegenteil, er hat weiter gemacht. Und das genau immer da, wo es gerade angesagt war.
So ist es belegt, dass Joschka Fischer noch vor seinem Amtsantritt im Oktober 1998 als grüner Außenminister bereits wusste, dass er bald einen Krieg befürworten und führen würde. Der potenzielle Kanzler Schröder und sein potenzieller Außenminister waren noch vor der Wahl auf Amerikareise von Clinton über dessen Absichten im Kosovo unterrichtet worden. Der Ex-Pazifist übernahm das Amt trotzdem – und schaffte es dann tatsächlich, Deutschland 58 Jahre nach 1945 wieder in einen Krieg zu führen. In einen rechtswidrigen Angriffskrieg ohne Mandat. Hätte das eine konservative Regierung gewagt, ganz Deutschland hätte Kopf gestanden – und Fischer & FreundInnen hätten weiße Betttücher in ihre Fenster gehängt.
Fischers Argument für den Krieg lautete damals: „Nie wieder Auschwitz!“. Er zögerte nicht, diese so genannte „humanitäre Intervention“ gegen die Serben als Reaktion auf diesen „zweiten Hitler“ (Milosevic) mit Begriffen wie „Völkermord“, „Selektion“, „Deportation“, „SS“, ja „KZs“ zu rechtfertigen. Zur Erinnerung: Die Serben haben im Krieg gegen Nazi-Deutschland über 100.000 Menschen verloren.
Dieser Kosovo-Krieg war der erste vieler folgender „gerechter“ Kriege, die die westlichen Alliierten und mit ihnen Deutschland seither führen. Mit den bekannten Folgen in: Irak, Afghanistan, Libyen - und irgendwie auch Syrien. Da muss man jetzt gar nicht mehr erst einmarschieren, die Unterstützung der „Opposition“ mit Waffen reicht aus für einen blutigen Bürgerkrieg, der schon jetzt über 70.000 Menschen das Leben gekostet hat. Als Sieger werden die gut organisierten und allseits finanzierten Islamisten aus dem Chaos hervorgehen – und die Syrier sich eines Tages noch mal nach Assad sehnen. So wie heute die Iraner nach dem Schah. Es ist eben alles relativ. Und ein zynischer, weltlicher Diktator ist zwar von Übel – aber lange nicht so übel wie die Herren der Gottesstaaten.
Doch kommen wir noch einmal auf Cohn-Bendit. 1975 veröffentlichte er seine Erinnerungen an die revolutionären Jahre. Und da erzählte der heutige Europa-Abgeordnete unbefangen, wie in seinen Jahren als Kindergärtner in Frankfurt, 1972 bis 1974, sein „ständiger Flirt mit allen Kindern bald erotische Züge“ annahm. Cohn-Bendit wörtlich: „Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf schon gelernt hatten, mich anzumachen.“ Und wie es „mehrmals passierte, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln“. Der damals 28-Jährige hat, so schreibt er, „auf Wunsch“ auch zurückgestreichelt. Lange Vergangenheit?
Im Sommer 2001 habe ich in EMMA einen offenen Brief an Cohn-Bendit geschrieben, den einstigen Polit-Gefährten – er hat nie geantwortet. Er leugnet und verharmlost die von ihm propagierte und praktizierte Hemmungslosigkeit im Umgang mit Kindern bis heute. Erst im vergangenen Jahr habe ich im französischen Fernsehen folgende Szene gesehen: Im Zuge des Wahlkampfes wagte ein konservativer Abgeordneter den einstigen Helden der 68er-Barrikaden an diese dunklen Seiten seiner Geschichte zu erinnern. Ha! Der redegewandte, bis heute auch in Frankreich nostalgisch verklärte Barrikadenkämpfer wies hohnlachend die Argumente des bürgerlichen Spießers zurück. Da gibt es keine Nachdenklichkeit und schon gar kein Bedauern. Selbstgerechtigkeit ist angesagt. Selbstgerechtigkeit war schon immer die stärkste Seite dieser Herren.
Diese 68er-Heroen haben einst durchaus zu recht überkommene moralische Schranken niedergerissen – aber sie haben es nicht nur versäumt, eine neue humanistische Moral zu etablieren, sondern diktieren seither selber die Spielregeln, ihre Spielregeln. Nicht zuletzt auf Kosten von Frauen. Und auf Kosten der Wahrheit.
Das Porträt im Stern schließt mit einem Fischer-Zitat aus einem 2011 mit der Kundenzeitschrift des „Private Wealth Management“ der Deutschen Bank geführten Gespräch. Da sagt Fischer: „Den Wertekanon, der mich geprägt hat, den gibt es so nicht. Die entscheidende Frage ist, dass man den Kindern mitgibt: Ist das gut oder böse?“
Ja, genau das ist die entscheidende Frage.
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„Steine & Bomben“, über den Kosovo-Krieg EMMA 2/2001
„In der Vergangenheit liegt die Gegenwart“ über Cohn-Bendit EMMA 3/2001