In der aktuellen EMMA

Ein Netzwerk für arme Erbinnen

17. Juli 1942: Cary Grant mit der "Woolworth-Erbin" Barbara Hutton. Sie war sieben Mal verheiratet, Cary Grant war ihr dritter Mann.
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Geld isoliert, diese Erfahrung machen die meisten Erbinnen. Es fällt schwer, unbefangen miteinander ins Gespräch zu kommen, wenn meist schon zu Beginn die erste Frage gestellt wird, die ungewollt für Distanz sorgt: „Und was machst du so beruflich?“

Auch die Angst vor Neid treibt in die Isolation. Für Männer ist Geld durchaus ein Statussymbol, Frauen jedoch müssen fürchten, aufgrund des Geldes an Attraktivität zu verlieren. Ob in Büchern oder Filmen, das kulturelle Klischee wiederholt sich allerorten: Reiche Frauen gelten nicht als begehrenswert, sondern als intrigant und gefährlich. So kommt es, dass die ein oder andere vermögende Frau nicht aus freien Stücken ein Mittelklasseauto fährt und Konfektionskleidung trägt, sondern damit niemand ihren Reichtum bemerkt. Andernfalls riskieren sie Anfeindungen unterschiedlichster Art. Ihr Reichtum wird ihnen vorgehalten, wenn sie um irgendetwas bitten, etwas fordern oder etwas reklamieren. 

Bei manchen Themen wird ihnen sogar jede Kompetenz abgesprochen, etwa bei Gehaltsfragen oder Kostenkalkulationen: „Du weißt ja gar nicht, wie das ist!“ Auch das müssen Frauen lernen: auszuhalten, dass man sie beneidet. Mancher vergeht die spontane Freude über das Erbe, wenn sie das erste Mal mit anderen über das große Vermögen spricht. Wer permanent mit üblen Vorurteilen konfrontiert ist, hat keine Freude mehr daran, reich zu sein. Da geht es den Millionen-Erbinnen nicht anders als der Berufsanfängerin in der Studierenden-WG; sobald eine mehr Geld als die anderen zur Verfügung hat, stellt sich die Frage, ob sie nicht gerechterweise mehr in die gemeinsame Haushaltskasse einzahlen müsste. Fast alle Erbinnen erzählen von ihren stillen Überlegungen, ob und wann sie andere zum Essen einladen oder wem sie zu welchen Konditionen wie viel Geld leihen oder schenken.

Über solche Fragen endlich frei heraus reden zu können, das allein rechtfertigt die Gründung eines Erbinnen-Netzwerks. Immer wieder erleben Pecunia-Neulinge diese Form der Erleichterung, ohne Tabu über die Verknüpfung von Geld und Seele, aber auch die Verknüpfung von Geld und Moral reden zu können. Denn dass Eigentum verpflichtet, haben sie alle irgendwann gelernt – die Frage bleibt jedoch: wozu?

Das Netzwerk ist ein geschützter Raum, in dem sich keine dafür rechtfertigen muss, dass sie geerbt hat. Diskretion steht über allem. Verschwiegenheit ist oberstes Gebot. Keine Frau muss mehr von sich offenbaren, als sie möchte. Die Nachnamen der Erbinnen werden grundsätzlich erst einmal abgekürzt, und keine muss der anderen verraten, was oder wie viel sie geerbt hat.

Manche Erbinnen reden noch nicht mal mit ihren Partnern über Geld. Insbesondere in Mann-Frau-Beziehungen ist es gesellschaftlich zwar sehr anerkannt, wenn sich ein Aschenputtel einen reichen Mann angelt; aber wenn eine Frau sehr viel mehr Geld als ihr Partner hat, gilt der Mann schnell als „Schmarotzer“ oder einer, der sich aushalten lässt. Die Präsenz reicher Frauen kratzt am männlichen Ernährer-Ego und bringt die Partnerschaft nicht selten aus dem Gleichgewicht: Viele Beziehungen geraten in eine Krise, wenn die Partnerin geerbt hat, etliche scheitern sogar.

Selbst innerhalb der Familien wird nicht immer offen darüber gesprochen, wie groß das familiäre Vermögen tatsächlich ist oder wie viel der eigene Betrieb wert ist. Dieser stumme Umgang mit dem Familienvermögen wird in bedrückender Weise über Generationen weitergegeben. Manche Erbin sucht deswegen nach Ideen, wie sie – anders als ihre Eltern – ihre eigenen Kinder offen und zugleich verantwortungsvoll über das Vermögen aufklären und zum gesunden Umgang mit Geld erziehen kann. Auch hierfür finden sich bei Pecunia Ideen und Anregungen.

Den gesunden Umgang mit Geld müssen die meisten Erbinnen selbst erst lernen. Was kann und darf ich mir leisten? Was ist angemessen, was übertrieben? Wie hoch muss mein Lebensunterhalt sein? Was brauche ich, um ein angenehmes Leben zu führen und was ist überflüssig und lenkt mich von anderen, wichtigeren Fragen ab?

Sogar Multi-Millionärinnen betonen, dass sie mit recht wenig auskommen und empfinden es als Luxus, frei und selbstbestimmt arbeiten zu können. „Das würde ich jedem und jeder gönnen!“, sagt eine Erbin. Im Nachdenken über diese Art von Reichtum stoßen die Erbinnen vereinzelt auf die aktuellen Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Auch so etwas ist Thema bei den Netzwerktreffen.

Fast alle Pecunia-Frauen erzählen, dass sie zur Sparsamkeit erzogen wurden. Das Erbe besteht nicht nur aus dem Materiellen, sondern auch aus einem ideellen Teil. Ein Testament ist Liebes­beweis oder Liebesentzug. Oft ist es ein Versuch der Toten, Einfluss auf die Lebenden zu nehmen. Meist wird dieser Teil der Erbschaft in Form unbewusst vermittelter Aufträge weitergereicht: „Mach Sinnvolles mit unserem Geld!“ oder „Du erbst und musst uns immer dankbar sein.“ Erben ist nicht nur Kapital, sondern immer auch Erinnerung.

Sie habe von ihrem Vater gelernt, dass das Geld nicht für Schuhe da sei, erzählt eine Erbin. Die Schuhe stehen synonym für überflüssigen Luxus, für Schnickschnack und Tüddelkram. Doch warum soll man von Geld keine Schuhe kaufen? Sind Schuhe nicht etwas Substanzielles, etwas worauf man durchs Leben geht, egal wohin? Die Antwort muss jede für sich selbst finden. Diese Erbin leistete im Sinne ihres Vaters Zustiftungen an verschiedene Organisationen, kaufte sich dann aber doch irgendwann eine Harley Davidson – inklusive Motorradstiefel.   

Der Text ist ein Auszug aus „Wir Erbinnen. Frauen übernehmen Verantwortung“, Hrsg. Pecunia. Das ErbinnenNetzwerk e.V. – pecunia-erbinnen.de

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