Ask Alice: Jeder zweite Mann ein Freier?
Lieber Patrick Scherf,
mit der Zahl hadere ich auch. Ich habe mich selber erschrocken, als ich das ausgerechnet habe. Dabei bin ich noch von 700.000 Prostituierten (die Mitte zwischen den Schätzungen 300.000-1.000.000) und 32.418.830 Männer ab 18 ausgegangen. Inzwischen sieht es so aus, dass die meisten ExpertInnen doch zu den niedrigeren Zahlen tendieren, irgendwo zwischen 300.000 und 400.000. Dann würden also „nur“ noch die Hälfte der von mir geschätzten Männer hierzulande Frauen kaufen: jeder vierte.
Ehrlich gesagt, scheint mir das gemessen an meinen eigenen Lebenserfahrungen auch realistischer - wenn auch immer noch sehr viel. Doch ich fürchte, diese Zahl lässt sich nicht noch mehr runterrechnen. Das hieße also, dass jeder vierte Mann entweder ab und zu oder auch regelmäßig zu Prostituierten geht. Wir alle kennen sie also, die Freier. Und sie sind in der Regel ganz normale Männer, sicherlich manchmal auch eigentlich nette Männer.
Ein Viertel von denen ist vermutlich hardcore und nicht so leicht zu ändern (selbst in Schweden sind heute noch 25 Prozent der Männer pro Prostitution – aber nur 7 Prozent der Frauen). Doch die anderen Dreiviertel könnten vielleicht durch Argumente überzeugt werden, das nicht mehr zu tun. Diese Männer, finde ich, haben sogar regelrecht ein Recht darauf, dass wir kritisch mit ihnen über Prostitution reden, versuchen, ihnen klarzumachen, was das auch für uns Frauen bedeutet.
Ich möchte gar nicht ausschließen, dass so mancher Freier sich selber damit unwohl fühlt - und ein kritischer Diskurs oder gar ein gesetzliches Verbot ihm die Augen dafür öffnet, dass es unrecht ist. Unrecht gegen die Frauen, die er kauft (und deren Geld überwiegend Männer kassieren). Unrecht gegen die eigene Freundin und Frau. Unrecht gegen sich selbst. Denn Sex für Geld verformt ihr Begehren sowie ihr Verhältnis zu Frauen.
Gehen wir es also an mit jedem vierten!
Herzlich
Alice Schwarzer