Ask Alice!

Ask Alice! Meine Freundin mag es dominant

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Hallo Alice,

ich hätte nicht gedacht, dass ich Ihnen einmal schreiben würde, doch mich interessiert Ihre Meinung: Ich bin in einem feministischen Haushalt aufgewachsen und wurde zu Respekt gegenüber Frauen erzogen. Sie sind wie Männer Wesen mit eigenem Willen, den es zu achten gilt. Meine Freundin, 27, hat einen ähnlichen sozialen Background; ihre Mutter war zwischenzeitlich sogar Gleichstellungsbeauftragte. Auch sie hat somit eine feministische Sozialisierung erfahren.

Und hier fängt mein Problem an: Trotz ihrer Erziehung ist sie unzufrieden, wenn ich ein Nein als Nein akzeptiere (in sexuellem Kontext). In diesen Fällen bekomme ich dann zu hören, ich solle mir öfters einfach „nehmen, was ich wolle“, egal, was sie sage. 

Sie sehen, ich finde mich in einem Zustand kognitiver Dissonanz wieder, denn ich möchte einerseits meiner Freundin ein guter Partner sein, der ihre Bedürfnisse befriedigt, andererseits gehört es zu meinen ethischen Werten, den Willen anderer zu achten. Wie sollte ich Ihrer Meinung nach handeln? Ich fühle mich etwas wie ein Kollateralschaden des Feminismus. 

Grüße,
Michael,  29 Jahre

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Lieber Michael,

das ist eine echt heikle Frage. Gefühle, wie das Begehren, sind in der Tat nicht immer auf der Höhe unserer verstandesmäßigen Erkenntnisse – sie kommen von weit her und haben tiefe Wurzeln. Was ich sagen will: Unser sexuelles Begehren ist nicht nur vom aktuellen Bewusstsein geprägt, sondern auch von unserer sexuellen Identität und unserer Geschichte.

Traditionell war das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ein Gewaltverhältnis. Dem folgte die romantische Liebe und sodann die sexuelle Leidenschaft – in ihr taucht nun die Gewalt wieder auf, diesmal als Gewaltphantasie. Zugegeben, das ist jetzt ein sehr flotter Ritt durch die Kulturgeschichte der Sexualität, aber in etwa trifft es zu.

Nicht zuletzt in Reaktion auf die Forderung nach Gleichheit der Geschlechter gibt es heute wieder eine Renaissance des Mythos vom (männlichen) Erobern und (weiblichen) Erobertwerden, bis hin zur Verharmlosung sadomasochistischer Praktiken; zumindest in Artikeln, Romanen bzw. Filmen, was an den Menschen nicht spurlos vorübergeht. 

Gleichzeitig haben Sie selbstverständlich recht mit Ihrer Haltung: Zu einem gleichberechtigten Leben gehört eine gleichberechtigte Sexualität! Doch die Art des Begehrens lässt sich eben nicht einfach verordnen. Es geht verschlungene Wege.

Mein Rat: Versuchen Sie spielerisch umzugehen mit dem Bedürfnis Ihrer Freundin, erobert, ja, „genommen“ zu werden. Doch vergessen Sie darüber nicht ganz Ihr eigenes Begehren: das nach einer gegenseitigen, kommunikativen Sexualität.

Machbar? 

Mit herzlichen Grüßen
Alice Schwarzer

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