Entwaffnende Offenheit

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Während ich diese Zeilen schreiben, sitze ich in einem kleinen Park unweit der in Toronto schwer angesagten Queen Street West. Ein paar Meter weiter spielt eine Jazzband an einer Straßenecke. Meine Parkbank passieren neben den motivierten Vorabend-Joggern (Das schlechte Gewissen ruft!) Menschen, deren Background sich einmal quer über die gesamte Weltkarte verteilt.

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Es ist ein lauer Sommertag - und weil Sommertage in Toronto rar sind, sind die Straßen voll. Gestern erst hat eine Kollegin mir erklärt, dass Toronto eigentlich keine Stadt ist, in die Menschen wegen ihrer Sehenswürdigkeiten kommen, sondern weil sie sich „in die Stadt reinfallen lassen können“.

Toronto ist also eine Erkundungsstadt, heute ist mein Erkundungstag elf, aber selbst elf Tage haben nicht ausgereicht, um all diese Stadtviertel - mit Namen wie Little Italy, Little Portugal, Korea Town oder Kensington Market - zu erkunden.

Gefährlich? Nein, gefährlich ist es hier nirgendwo!

Ich lebe in Parkdale. In Parkdale lebt auch die größte tibetische Community außerhalb von Tibet. Und viele Hipster. Dank der Mischung aus rumpeligen, meist zweistöckigen graffitibedeckten Backsteinhäusern, den zahlreichen verstaubten Trödelläden und den schummrigen Pinten neben modernen Design-Shops und Cafés, hat sich Parkdale in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Hipsterparadies gemausert. Einst wurde Parkdale "a little shady" genannt. Also etwas zwielichtig. Aber nicht gefährlich, nein, gefährlich ist es hier angeblich nirgendwo!

Doch man muss nur ein paar Tage in Toronto sein, um sich zu fragen, ob die Menschen in Toronto hier denn gar nicht ahnen, dass sie ganz im Gegenteil in ernsthafter Gefahr sind. Die Stadt bietet nämlich alle Zutaten, um Berlin als Epizentrum der Coolness in naher Zukunft abzulösen - und wir wissen ja, was die Folgen sind. Eine dieser Zutaten ist - neben der entwaffnenden Offenheit der Kanadier - der für eine deutsche Feministin fast schon irritierend beiläufige Umgang mit dem Thema Feminismus.

Das erste Mal aufgefallen ist mir das beim Frühstück. Ich höre jetzt morgens den kanadischen Nachrichtensender CBC Radio One - und es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht mindestens einen Beitrag über ein Feminismus - bzw. ein Queer-Thema gibt, quasi völlig selbstverständlich kurz vor den Hauptnachrichten. Ich kann mich nicht erinnern, vor 9 Uhr auf WDR 5 schon mal ein Wort wie "Safespace" gehört zu haben.

Dann sind da die vielen kleinen, alltäglichen Details: Seit dieser Woche ist zum Beispiel die Abtreibungspille für Frauen in der Region Ontario kostenfrei. Sie brauchen dafür lediglich ein Rezept ihres Arztes.

Gibt es in Deutschland
ein Extra-Wort für schlechte Mütter...?

Besonders das Thema Frauen im Beruf ist hier gerade im Gespräch, weil - wie in so vielen Ländern in der westlichen Welt - die gut Ausgebildeten irgendwann an die gläserne Decke stoßen. Trotzdem scheint das Klima ein ganz anderes zu sein, insbesondere wenn es um berufstätige Mütter geht: "Sag mal, stimmt es, dass es in Deutschland ein extra Wort für schlechte Mütter gibt?" wurde ich schon zwei Mal gefragt. Ja, stimmt. Die Rabenmutter. Da staunen die KanadierInnen.

Aber Toronto scheint eine Ausnahme zu sein, auch hier in Kanada. "Du musst mal raus aus der Stadt", sagen die Kolleginnen bei The Globe and Mail. Denn in den Öl- und Minenstädten, in denen Männer den Frauen nicht nur zahlenmäßig überlegen sind, hat sich eine ganz andere Kultur entwickelt als in den komfortablen Metropolen Vancouver oder Toronto.

Und auch: Raus in die oft abgeschiedenen Reservate, in denen der größte Teil der indigenen Bevölkerung Kanadas bis heute lebt.

Ich habe in Toronto bisher viele neue Bekanntschaften geschlossen. Darunter keine einzige indigene Frau. Auch das erzählt eine Menge über dieses Land.

Alexandra Eul berichtet im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship aus Kanada.

 

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Auf der Suche nach dem Glück

EMMA-Redakteurin Alexandra Eul unterwegs in Kanada - hier vor der Skyline von Toronto.
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Ich bin die Neue. Nicht in EMMA, da bin ich seit sieben Jahren Redakteurin. Aber in Kanada. Für zwei Monate werde ich im Rahmen eines Stipendiums von da berichten. Aus dem zweitgrössten Land der Welt mit einer Fläche von 9.985.000 Quadratkilometern, in dem aber nur knapp über 36 Millionen Menschen leben. Denn der größte Teil des Landes besteht aus Wald, Gebirgen, Seen und Eis. Wenn ich nach rechts gucke, blicke ich aus meinem Büro bei der kanadischen Tageszeitung The Globe and Mail auf die beeindruckende Skyline von Toronto. In der Mitte das 553 Meter hohe Wahrzeichen der Stadt, der CN Tower. Angekommen.

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Kanada gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt. Kling gut.

Wer nach Kanada geht, bekommt in der Regel zwei typische Reaktionen. Die Erste lautet: "Kanada? Schön! Ich komme dich besuchen!" Und die zweite lautet: "Kanada? Echt jetzt? Worüber willst du denn da schreiben? Über Bären und Bäume?" Und es gibt noch etwas, was man sich über Kanada erzählt: Das Land gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt. Klingt gut.

Aber gilt das für die kanadischen Frauen genau so wie für die kanadischen Männer? Und gilt das für die Juristin genau so wie für die indigene Fischerin? Ich habe zwei Monate Zeit, das herauszufinden.

Heute ist Tag fünf. Einen Hinweis habe ich schon: Die KanadierInnen scheinen mit einem Sensor ausgestattet zu sein, der sie Neuankömmlinge binnen Sekunden spotten lässt. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich nicht nur von meinen KollegInnen in der Redaktion, sondern auch von völlig fremden Menschen auf der Straße mit Nettigkeiten überschüttet werde. Zum Beispiel in der Straßenbahnlinie 504, die mich täglich quer durch Toronto tuckert.

Auf meiner ersten Fahrt dauert es nicht einmal eine Minute, bis mich eine Frau quer durch den Wagon anspricht: "Sag mal, bist du neu hier?" Sie fragt so laut, dass nun auch alle anderen interessiert zuhören. Kurz darauf stehen zwei Kanadierinnen neben mir und beratschlagen: Wie ich denn nun am schnellsten auf die Arbeit komme und welches Ticket ich dafür brauche. Für Fahrt zwei muss ich gar kein Ticket kaufen, weil mir ein Mann seines zusteckt, bevor er aussteigt. Auf Fahrt drei erklärte der Schaffner mit einem Zwinkern: "Gib mir einfach das, was du hast. Ich hab kein Wechselgeld!"

Hat das etwa
mit dem Premierminister Justin Trudeau zu tun?

Das also ist sie, die berühmte kanadische Openness. Aber ich war ja schon gebrieft, von einer Feier zum Canada Day in Berlin kurz vor meinem Abflug. In Berlin lernte ich allerdings auch die sehr feine Linie kennen, an der diese Openness endet. Meine neue kanadische Bekannte war ganz außer sich über den Food Truck, an dem sie "Poutine" kaufen konnte, ein beliebtes Gericht in Kanada. "Ach, das sind doch die Fritten, mit Käse überbacken… ", sage ich wohl etwas zu lapidar. "Also, jetzt bist du aber echt durchgefallen, alleine schon wegen deinem Ton", erklärte mir die Kanadierin mit ernster Stimme.

Was also habe ich über das Glück in Kanada bisher gelernt? Hier ist niemand besonders lange alleine. Es ist völlig okay, sich helfen zu lassen. Aber bitte keine abfälligen Bemerkungen übers Essen! Und noch etwas: Feminismus scheint für die Frauen eine Selbstverständlichkeit zu sein. Hat das etwa mit Premierminister Justin Trudeau zu tun? Dazu bald dann mehr ...

Alexandra Eul berichtet im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship aus Toronto.

 

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