Ausstellung: Elles@centrepompidou

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Wäre eine Künstlerinnen-Ausstellung aus den Beständen des Museums nicht ein Rückfall ins feministische Mittelalter? Eine eilfertige Wiedergutmachung und ein billiger Rehabilitierungsversuch in Bezug auf die Beiträge von Frauen in der Kunst im 20. Jahrhundert? Doch Morineau ließ sich zum Glück nicht beirren.

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Die Ausstellungsmacherin realisierte, nein, keinen Backlash, sondern einen Big Bang: „elles@centrepompidou“, 7.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche ausschließlich für Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, Frauen von A wie Magdalena Abakanowicz (Polen) bis Z wie Catherine Zask (Frankreich). Das Pariser Museum leistet sich eine Sensation: ein ganzes Jahr ohne Männer. Denn auch die Laufzeit der Ausstellung ist eine Höchstleistung, sie dauert von Ende Mai 2009 bis Ende Mai 2010.

Während dieser Zeit müssen die Herren Künstler der Sammlung im Dunkeln ausharren, in den Depots. Kann das gut gehen? Und ob das kann! Nach sechs ­Monaten Laufzeitdauer kann sich die Zwischenbilanz des erst- und einmaligen Abenteuers sehen lassen. Seit die Sammlung ausschließlich mit weiblicher Kunst bestückt ist, hat das Pompidou mindestens ein Viertel mehr Besucher als sonst.

Doch ist es sinnvoll, Frauen als homogene Gruppe aufzufassen? Haben Feministinnen nicht jahrzehntelang dage­gengehalten und für klassenspezifische, ethnische und kulturelle Differenzen auch unter Frauen plädiert? Was soll dann die Rückkehr zum binären System der Geschlechterverhältnisse? Morineau räumt ein, dass diese Bedenken auch intern zu hören waren und ihr in etlichen französischen Medien zum Strick gedreht werden sollten. Doch sie kontert: „Die Ausstellung zeigt die Spannbreite weiblicher Ausdrucksformen, die Differenzen, Gleichzeitigkeiten, Kollisionen und Widersprüche. „Elles“ ist eine objektive Bestandesaufnahme der zeit­genössischen Kunst.“

Um vom Allgemeinen aufs Spezifische, vom Großen aufs Kleine zu kommen: Hat der französische Mann – öffentlich vertreten durch einen hypertroph-virilen Präsidenten, der nur dank hoher Absätze seiner Gattin auf Augenhöhe begegnet – in der letzten Zeit nicht der Kränkungen genug erfahren? Unwürdigkeiten wie den Verlust des Ernährerstatus, abnehmende Spermienqualität, TV-Spots über erektile Dysfunktion und Haarausfall?

Camille Morineaus Mitgefühl hält sich in Grenzen. Die Wahrheit, sagt sie, sei dem Mann zumutbar. 500 Kunstwerke von 200 Künstlerinnen zeigen: Die ­Geschichte der Gegenwartskunst sei ohne Männer keineswegs ärmer, sondern ­möglicherweise sogar reicher.

Reicher wodurch? Durch Darstellungen von Gewalt, Extremismus, Provokation, Sexualität. Das ist der Eindruck, der mich in der Ausstellung als erstes von hinten überfällt wie eine feige Attacke im Dunkeln. Denn „Elles“ und seine Exponate geben einen tiefen Blick in die Verliese, Kellerräume und Katakomben weiblicher Befindlichkeiten. Die Schau ist eine Odyssee durch einen Warnschilder-Wald mit dem Hinweis: „Gewisse Werke können ihre Gefühle verletzen.“

Es sind vor allem die Arbeiten der ­Feministinnen der ersten Stunde, die noch immer für Gänsehaut sorgen: die Performance der Österreicherin Valie Export aus den Sechzigerjahren, die – Achtung: Genitalpanik – ihre Brüste in einem „Tapp- und Tastkino“ öffentlich zur Verfügung stellt. Oder ­Marina Abramovi?, wenn sie in den 70ern aus schwarzer, krauser Wolle eine riesige, ­dämonische Vulva ver­fertigt. Oder Ana Mendieta, die vor laufender Kamera ein Huhn schlachtet und es sich zu Tode zappeln lässt vor ihrem nackten, bald Blut besudeltem Körper. Mendieta, Abramovi? und Export gehören zur ersten Generation der Bad Girls.

In diesem Teil der Ausstellung sind Warnschilder ohne Zweifel zu wenig, um als Besucherin unbeschädigt davon zu kommen. Ein zweiter, notwendiger Hinweis fehlt: Man streue sich Brotkrumen aus auf dem Gang durch die Hallen, Kabinette, ­Nischen. Krümelchen, um sich nicht ­mental zu verlaufen, Fährten im dunkeln Wald, um sich nicht abhanden zu kommen.

Da heult Cindy Sherman ihren Schmerz stumm als Werwölfin ins Publikum, und Zoe Leonard porträtiert sich als bärtige Frau – geköpft und unter einer Glasglocke für die Wissenschaft konserviert. Die Performancekünstlerin Carolee Schneemann rast im erotischen Ritus „Meat Joy“ – eine Orgie aus Innereien, rohem Fisch und Würsten. Marina Abramovi? kämmt sich, gewaltsam gegen den Strich, 45 Minuten lang die Haare und wiederholt in einer Endlosschleife die Sätze: „Art must be beautiful. Artist must be beautiful.“

Niki de Saint Phalles verdammte Bräute haben Brüste, an denen der Schrecken der gesamten Menschheit saugt; Annette Messager spießt Spielzeug auf Lanzetten, eine Kindheitsaustreibung der sadistischen Art; die iranische Künstlerin Ghazel hat sich in eine Burka verbannt und fährt damit Wasserski, zum Untergang bestimmt; Gina Pone stellt sich in ihrem Atelier eine „Escalade non anesthésiée“, die sie bloßfüßig und -händig besteigt, Stufen aus Nägeln und Glasscherben …

Wie soll man sich nicht verlieren als Besucherin, wenn einen 200 Geschlechtsgenossinnen ihre kraftvollen Ich-Behauptun­gen und Ich-Erkenntnisse, ihre Rettungs­versuche und Erlösungsfantasien ins Hirn hämmern? Eines ist klar: Wenn alles, was hier zu sehen ist, von Schwestern im Geist sein soll, dann kann ich herrlich bedenkenlos herrlich laut verkünden: Es gibt keine weibliche Kunst!

Und wer bis dahin nicht genitalpanisch das Weite gesucht hat, die hat gewonnen: Erstens die Erkenntnis, dass Künstlerinnen ihre Botschaft schärfer formulieren können als Männer; und zweitens das Wissen, dass „elles@centrepompidou“ ein klares Ziel hat: die Besucher um einige ­gepflegte Klischees ärmer zu machen.

Kunst von Frauen nämlich ist weder feminin, noch gefällig oder dekorativ – ganz im Gegenteil. Die „Elles“, die „Sies“ stehen für den heiligen Schauder, dass hier möglich ist, was als Möglichkeit nicht denkbar schien: Frauen schreiben mit radikalen Methoden und Medien ihre eigene Kunstgeschichte, so selbstverständlich, als hätten sie nie etwas anderes getan. Kein Wunder, das die Ausstellung zum internationalen Ereignis geworden ist.

Doch weshalb ist der weibliche Künstler kompromissloser als ihr männliches Gegenstück? Weshalb spießt Messager – 2005 die erste Künstlerin, die Frankreich an der Biennale in Venedig vertrat – Spielzeug zu Totems auf? Was bewog ­Suzanne Valadon, die Künstlermuse von Montmartre, dazu, 1923 „La Chambre Bleue“ zu malen? Dabei kaprizierte sie sich auf die garstige Schwester von ­Manets „Olympia“, eine füllige Dame auf ihrem Bett. Die raucht, liest, trägt kurzes Haar und weite Hosen und räkelt sich in einer uneleganten Pose, die nur das eigene Wohlgefühl meint und auf den Mann pfeift, den ihre Vorgängerin noch zu verführen gedachte. Die Zeitgenossen waren damals entsetzt von so viel weiblicher Selbstgefälligkeit. Muss das sein? Ja, es musste sein, und es musste sein, weil es sein kann. Oder, wie die US-Feministin Gloria Steinem sagt: „Eine Frau hat zwei Möglichkeiten: Sie kann entweder Feministin oder Masochistin werden.“

Übrigens: Die zehn teuersten Kunstwerke aller Zeiten stammen von: Jackson Pollock, Gustav Klimt, Pablo Picasso, Vincent van Gogh, Pierre-Auguste ­Renoir, Peter Paul Rubens und Paul ­Cézanne. Fällt etwas auf?           

ELLES@CENTREPOMPIDOU - Der prächtige Katalog hat über 500 Abbildungen, Texte und eine Einleitung von Camille Morineau. In Englisch oder Französisch. 45 €. www.centrepompidou.fr

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