Ayaan Hirsi Ali: Daag Ayaan, Ziens

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Ayaan Hirsi Ali hat sie überlebt, ihre Schwester ist daran gestorben. Jetzt kämpft die muslimische Somalierin offensiv gegen die islamischen Fundamentalisten. Nach dem Meuchelmord an Theo van Gogh steht jetzt die Co-Autorin des Films "Submission" auf den Todeslisten an nächster Stelle.

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Eine elegante junge Frau, schwarz-weiß gekleidet, umgeben von Leibwächtern, unterwegs in einer gepanzerten Limousine. Ein Flair von Armani umweht sie beim Gespräch mit Jungen und Mädchen der „Schule für Neuankömmlinge“ im ärmsten Viertel von Den Haag. Allgegenwärtig ist die Bedrohung, vor der sie im letzten Jahr geflüchtet ist. Deutlich spürbar ist ihre Entschlossenheit, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Ihr Thema heißt: „Integration als Einweihung in die Modernität“. Ihre Vision: der Aufbruch aus Unmündigkeit und multi-kultureller Misere. „Ich habe den Schleier getragen; habe brav in der Koranschule gelernt und doch eines Tages selbst nachge-dacht“, erklärt Ayaan. Die Mädchen mit den Kopftüchern nicken. „Es sind die Menschen, die Gott erschaffen haben. Nicht umgekehrt. Wir müssen unseren Verstand gebrauchen. Verstand ist wichtiger als Religion.“ Die Mädchen schauen sich fragend an. Was meint sie damit?
Was sie meint, hat Ayaan Hirsi Ali schon im letzten September erklärt. Der Islam, sagte sie im Fernsehen, sei eine rückständige Religion, der heilige Koran, der Männern erlaube, Frauen zu schlagen, sei ein unheiliges Instrument der Unterdrückung. Die Gemeinde der Gläubigen reagierte gewaltig. „Ayaan, die Verräterin“ wurde verflucht, telefonisch terrorisiert, mit dem Tode bedroht. Sie musste untertauchen und flüchtete an die amerika-nische Westküste. Kam zurück, gab ihren Job als Wissenschaftlerin bei einer sozialdemokratischen Stiftung auf und nahm die Herausforderung an: Ayaan gegen Allah. Die Philosophin wurde Politikerin.
Sich innerhalb der sozialdemokratischen PvdA zu engagieren, deren Mitglied sie seit 1997 war, kam für Ayaan nicht mehr in Frage. Sollte sie sich für eine Partei einsetzen, die muslimische Männerbünde unterstützte? Sollte sie etwa die sozialistisch abgesegnete, staatliche Förderung islamistischer Organisationen gutheißen, die Frauenunterdrückung propagieren und praktizieren? Nein, denn: „Ohne die Emanzipation der Muslimfrauen wird der gesellschaftliche Rückstand der Muslime andauern.“
Drei Tage nach ihrer Wahl setzt Ayaan Hirsi Ali noch eins drauf: Der Prophet, schreibt sie in der Tageszeitung Trouw, sei „gemessen an unseren westlichen Maßstäben ein perverser Mann“. Denn: „Sie können das im Koran nachlesen. Mohammed stahl Zayneb, die Frau seines Jüngers, und behauptete, das sei Allahs Wille. Er verliebte sich in Aisha, die neunjährige Tochter seines besten Freundes. Ihr Vater bat ihn zu warten …, aber Mohammed wollte nicht warten. Was passiert also? Er erhält eine Botschaft von Allah, die sagt, dass Aisha sich für ihn bereithalten soll. Mohammed ist ein Tyrann. Und er ist ein Vorbild aller Muslim-Männer. Wieso wundern Sie sich darüber, dass so viel Muslim-Männer gewalttätig sind?“ Ihre neue Partei, die VVD, distanzierte sich erschrocken von ihrer Abgeordneten. Die argumentierte mit dem Recht der freien Meinungsäußerung. „Ich will zeigen, dass es eine andere Wirklichkeit gibt als die ‚Wahrheit‘, die mit Hilfe von saudischem Geld in der Welt verbreitet wird.“
Ayaans eigene Wahrheit, ihr Leben, skizziert die 1969 in Mogadischu geborene Politiker-Tochter in ihrem Buch „Die Sohnfabrik“: „Wenn man meine Großmutter fragte, wie viele Kinder sie habe, sagte sie: ‚eins‘. Dabei hatte sie neun Töchter und einen Sohn. Wenn meine Schwester und ich fragten, ‚was ist mit uns?‘, sagte sie, ‚ihr werdet Söhne gebären‘.“
Die neunjährige Ayaan will keine Gebärmaschine werden. Sie will auch nicht lernen, ihr Schicksal tugendhaft und geduldig zu erleiden. Als sie gegen ihren Willen verheiratet werden soll, flieht sie 1991 in die Niederlande und glaubt, im Paradies gelandet zu sein: „Noch nie hatte ich so viele Schulen, so viele Arbeitsplätze für Frauen auf einmal gesehen. Ich brauchte nur noch die Sprache zu lernen, eine Prüfung zu machen, und schon konnte ich an der Universität von Leiden studieren.“ Hauptfach: Politologie, Nebenjob: Übersetzerin im Frauenhaus.
Das Frauenelend dort muss sie an die eigene Geschichte erinnert haben – an die Klitorisverstümmmelung, die Schläge ihres privaten Koran-Lehrers. „Er verlangte, dass wir Stücke aus dem Koran auf Holzbretter schrieben. Danach mussten wir die Bretter abwaschen und alles aufs Neue schreiben. Ich sagte ihm, dass diese Brett-Schreiberei schon seit dem 16. Jahrhundert aus der Mode sei. Meine Mutter schickte den Lehrer weg. Aber er kam wieder, als ich allein war … Er verband mir die Augen und schlug zu, packte meinen Kopf und schlug ihn gegen die Wand. Ich hörte noch, wie was knackte, dann wurde ich ohnmächtig. Es war ein Schädelbasisbruch.“
Ayaan hat überlebt. Sie ist nicht zerbrochen wie ihre jüngere Schwester. Die lehnte sich so wie sie auf, folgte ihr nach Holland und wurde psychisch krank. Sie ging zurück nach Afrika, wurde geschlagen, hörte auf zu essen. Starb.
Hirsi Ali errang von ihrer Partei 30 Millionen Euro extra an Zuschüssen für Frauenhäuser. Für misshandelte Ehefrauen fordert sie eine unabhängige Aufenthaltserlaubnis. Und sie träumt von einem neuen Voltaire, der hier und heute aufsteht und „in sicherer Umgebung an der Erleuchtung des Islam arbeitet“.
So, wie sie es tun will.

 

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