Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an!
Als Bettina Flitner im April 2003 am Strand von Den Haag das Foto von Ayaan Hirsi Ali machte, das jetzt auf dem EMMA-Titel ist, da standen im Hintergrund schon die Bodyguards. Denn sie war bereits damals in Holland eine bekannte, genauer: eine berüchtigte Person. Ihr Engagement gegen die islamischen Fundamentalisten galt vielen Wohlmeinenden durchaus als fragwürdig, sie wurde als "Nestbeschmutzerin" beschimpft, ja als "Rassistin". Auch für die geborene – wenn auch nicht mehr gläubige – Muslimin galt das Tabu, islamische Radikale oder gar den Islam an sich zu kritisieren.
Als EMMA im März 2003 ein erstes Porträt von Hirsi Ali veröffentlichte, kannte sie in Deutschland noch niemand und war sie dankbar für jeden, der sich für ihre Sache interessierte. Im August 2004 riefen wir sie an, um uns über einen Film zu unterrichten, den sie gemacht hatte und der, da war sie sich sicher, "ziemlich viel Aufsehen erregen" würde. Titel: 'Submission'. Wir berichteten darüber in der September–Ausgabe – ohne zu ahnen, dass das Aufsehen tödlich und ein Schock für die Niederlande, ja für ganz Europa sein würde. Auch Ayaan Hirsi Ali hatte damit nicht gerechnet, dass der Regisseur ihres Filmes, Theo van Gogh, als erster Nicht-Muslim in Europa ermordet werden würde. Der mutmaßliche Mörder, Mohammed Bouyeri rammte in den Bauch seines Opfer einen fünf Seiten langen Drohbrief an Ayaan Hirsi Ali: Sie soll die Nächste sein.
Hirsi Ali flüchtete, zum zweiten Mal, in die USA – und kehrte zu aller Überraschung drei Monate später zurück. Am 18. Januar 2005 betrat die geborene Somalierin mit dem niederländischen Pass das holländische Parlament und setzte sich auf ihren Abgeordneten-Sessel. Und da gedenkt sie auch zu bleiben: In der Politik und in der Öffentlichkeit, zu deren Aufklärung über die drohende Gefahr sie trotz Todesdrohungen weiter beitragen will.
"War es das wert?" fragten zwei deutsche Spiegel-Journalistinnen im Interview Hirsi Ali und mussten sich von der Somalierin darüber informieren lassen, dass "Freiheit verletzlich ist" und man bereit sein muss, "darum zu kämpfen", und wenn es sein muss, "dafür zu sterben". Die Ex-Muslimin hat eh nichts mehr zu verlieren als ihre Würde und ihre Freiheit. Doch sie hat trotz extremster Bedingungen mehr erreicht, als sie je hätte träumen können. Gerade wählte das Time-Magazine Ayaan Hirsi Ali zu einer der 100 einflussreichsten Personen der Welt.
Wer ist die so ernste und so schöne Frau mit dem Mut einer Löwin? Ayaan Hirsi Ali kommt 1969 in Mogadischu in Somalia zur Welt. Ihre Familie geht mit dem strenggläubigen und politisch oppositionellen Vater ins Asyl nach Saudi-Arabien und später nach Kenia. Sie wird orthodox-muslimisch erzogen und muss, unter der Aufsicht der eigenen Großmutter, die Klitorisverstümmelung über sich ergehen lassen. In ihrer 2002 veröffentlichen Autobiografie "Die Sohnfabrik" erzählt Ayaan, was ihre Großmutter antwortete, wenn sie nach der Zahl ihrer Kinder gefragt wurde: "Eins" – sie hatte neun Töchter und einen Sohn.
Im Alter von neun Jahren überlebt das Mädchen nur knapp die Gewalt ihres Koranlehrers, der ihren Kopf so gegen die Wand schlägt, dass ihr Schädel bricht. Mit 23 soll sie an einen ihr unbekannten Cousin in Kanada verheiratet werden. Sie nutzt beim Hinflug nach Kanada einen Zwischenaufenthalt in Deutschland, um in die Niederlande zu fliehen; beantragt Asyl und schlägt sich jahrelang als Putzfrau, Dolmetscherin und Sozialarbeiterin durch.
Dann engagiert Ayaan sich in Frauenhäusern, wo sie massenhaft mit dem Elend muslimischer Frauen auch mitten in Europa konfrontiert wird. Bei ihrer Arbeit in einer Abtreibungsklinik lernt sie, dass 60 Prozent der abtreibenden Frauen in Holland Musliminnen sind. Ihre jüngere Schwester folgt ihr nach Europa, aber hält nicht durch: Sie kehrt zurück nach Somalia - und hungert sich in ihrer Familie zu Tode.
Ab 1995 studiert Hirsi Ali Politologie und Philosophie in Leiden und engagiert sich parteipolitisch. Sie tritt in die sozialistische Arbeiterpartei (PvDA) ein und beginnt, das Elend der Musliminnen in Holland öffentlich zu kritisieren. Im Fernsehen sagt sie: "Der Islam ist eine rückständige Religion und der Koran ein unheiliges Instrument der Unterdrückung." Das geht den Sozialdemokraten zu weit, sie schließen Hirsi Ali wegen "Rassismus" aus der Partei aus. Sie erhält Drohungen. Es folgt ihre erste Flucht ins amerikanische Exil.
Im Januar 2003 wird Hirsi Ali als Direktkandidatin der Liberalen (VVD) ins Parlament gewählt. Jetzt geht sie noch einen Schritt weiter. Sie attackiert den unberührbaren Propheten Mohammed, der einst eine seiner Ehen mit einer Neunjährigen, Aischa, erzwang: "Mohammed ist ein Tyrann, aber Vorbild aller muslimischen Männer", erklärt sie öffentlich. Auf die Frage, woher sie den Mut nimmt, antwortet sie: "Ich habe zuviel gesehen. Ich kann nicht mehr zurück."
Jetzt veröffentlichte der Piper-Verlag erstmals Aufsätze von Ayaan Hirsi Ali auf Deutsch (und Türkisch!). Es ist nur konsequent, dass sie ihre Kritik nicht mehr auf die Auswüchse des Islam beschränkt, sondern das ganze System angreift. Sie bezeichnet den Islam, der nicht wie das Christentum eine Phase der Aufklärung hinter sich hat, als insgesamt "rückständig" und fordert die MuslimInnen zur "Besinnung und Selbstkritik" auf.
EMMA 4/2005
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Porträt Hirsi Ali (2/03)