Babychaos - Babyglück
Elf Jahre ist es her, dass ich, zwischen Kommilitoninnen, die ich zu diesem Zeitpunkt noch kaum kannte, mit denen ich aber in den nächsten Jahren lebensverändernde Abenteuer bestehen würde, auf einem der hölzernen Stühle eines Seminarraums saß. Wir lauschten den Worten von Bascha Mika. Mika war unsere Studiengangsleiterin, sie war bis vor Kurzem die einzige Frau an der Spitze einer deutschsprachigen Tageszeitung gewesen und im Jahre 2007 hatte sie unseren Studiengang – „Kulturjournalismus“ – gegründet, dessen ausgewählte Studentinnen wir nun waren. Es war eine Art Begrüßungsvortrag.
Es ging um die Dinge, die wir lernen, die Praktika, die wir absolvieren würden, die Karrierewege, die uns vielleicht bevorstanden. Es ging um die Rolle des Kulturjournalismus. Aber die allerwichtigste Nachricht, die Mika damals für uns hatte, war an uns Frauen gerichtet, sie kam völlig unerwartet und sie lautete: „Kriegt keine Kinder!“ Sie wiederholte es mehrmals und sie sagte es mit einem Ernst, der nur tiefer persönlicher Überzeugung entspringen konnte. Ihre Warnung traf auf zehn weibliche und zwei männliche Augenpaare, die meisten davon ratlos. Danach standen wir draußen unter den geschwungenen Bögen des Säulenportals unserer Fakultät und kicherten beim Rauchen über das Gesagte.
Im Studium wurde uns geraten "Kriegt keine Kinder!" - das ließ die meisten von uns ratlos zurück
Das strukturelle Problem der Vereinbarkeit von Kind und Karriere abzuschaffen, indem man das Kinderkriegen abschafft, ist wahrscheinlich ähnlich effektiv wie der Versuch, Gleichberechtigung zu erreichen, indem man die Männer abschafft.
Mein Sohn ist vor acht Monaten zur Welt gekommen, und ich machte mich darauf gefasst, mit dem Beginn der Elternzeit den ersten Hauch jenes Gegenwindes ins Gesicht zu bekommen, der es Frauen jenseits des 30. Lebensjahres so schwermacht. Mein Freund und ich entschieden uns, alles sehr traditionell zu machen, das heißt, wir nannten es nicht „traditionell“, aber es war halt schlicht und einfach das, was alle machen, die sich nicht die Mühe gemacht haben, über progressivere Modelle nachzudenken: Ich zwölf Monate in Elternzeit, er zwei, weil er mehr verdient als ich, in der gemeinsamen Zeit wollten wir reisen.
Ich fand das nicht schlimm, im Gegenteil, ich wollte es unbedingt so. Das liegt an meinem – wahrscheinlich generationstypischen – Gefühl, dass mir eine Pause vom Beruf sehr guttun würde, weil ich einmal sehr grundsätzlich über alles nachdenken wollte. Ich habe das schon von vielen Frauen in meinem Alter gehört, dass Elternzeit jetzt mal ganz schön wäre, dass man halt ein Baby bekommen müsste, um mal nachzudenken. Ich finde das keineswegs verurteilenswert.
Mittlerweile glaube ich, dass ich zuhause trotzdem ein bisschen verrückt geworden wäre, wenn alles seinen normalen Weg gegangen wäre. Aber dann kam Corona. Mein Freund arbeitete nicht mehr zwölf Stunden am Tag und kam nach Hause, wenn unser Sohn schon schlief. Er war den ganzen Tag zuhause: zuerst im Homeoffice, dann eine Zeitlang ganz, weil die Agentur, bei der er arbeitete, coronabedingt ins Wanken gekommen war, und er sich auch nicht mehr vorstellen konnte, nicht zuhause bei seiner Familie zu sein. Also entschied er sich, eine Zeitlang als Freelancer zu arbeiten.
Corona hat uns eine Organisationsform des Alltags gezeigt, die jenseits des üblichen liegt
Das alles zusammen ermöglichte mir, endlich an den Dingen zu arbeiten, die wichtig waren: Ich schrieb meinen Roman fertig. Ich nahm an digitalen Podiumsdiskussionen teil. Ich begann ein neues Buchprojekt. Ich weiß, dass es den meisten Frauen im Lockdown eher anders geht: Sie zerreiben sich zwischen Haushalt, Kindererziehung und Arbeit. Ich weiß nicht, warum es bei uns gerade anders ist. Wir arbeiten beide. Wir wechseln uns mit Buggy-Spaziergängen ab, um dem anderen kinderfreie Zeit zu gewähren.
Wir sind keine Revolutionäre, überhaupt nicht. Und wir sind auch sehr müde, ständig, wir arbeiten in jeder freien Minute. Aber Corona hat uns gezeigt, dass es eine Organisationsform des Alltags gibt, die ganz anders aussieht als das, was wir für selbstverständlich genommen hatten. Und ich habe das Gefühl, dass es gerade die Männer sind, die doch jetzt verstehen könnten. Und dass es in ihrem Interesse ist, dafür zu kämpfen, dass sich die Dinge einmal – endlich – ändern.
HANNAH LÜHMANN