Badinter: "Ich soll ein Nazi sein?"
Seit ihrem 1980 veröffentlichten Buch „Mutterliebe“, in dem sie das Dogma der Mutterliebe in Frage stellte, prangert Elisabeth Badinter, selbst Mutter von drei Kindern, das paradoxe Diktat an, das Frauen daran hindert, wirklich gleichberechtigt zu werden. Die Philosophin steht in der Tradition der Aufklärung: Freiheit und Gleichheit sind die wichtigsten Werte in ihrem Denken. Darum ist Badinter besorgt über das Abdriften des intersektionalen Neofeminismus. Sie ist eine glühende Verfechterin des Laizismus, ohne den keine Freiheit möglich ist, insbesondere für Frauen. Die Linke (und Ehefrau des kürzlich verstorbenen Ex-Justizministers unter Mitterand, Robert Badinter) sieht die aktuelle Rolle des Ultralinken Jean-Luc Mélanchon sehr kritisch. Nicht Präsident Macron, sondern Mélanchon sei es gewesen, der eine linke Regierung verhindert habe, sagt sie. Auch die eskalierende Agitation der Transideologen scheint der Autorin von „Ich bin du“ (1986), ein Essay über den androgynen Menschen, geradezu absurd. Die renommierte Intellektuelle wird heute von den Transaktivisten als „transphob“ und „Nazi“ beschimpft. Es ist ihr egal. Gerade erschien von ihr: „Messieurs, encore un effort …“ (Noch eine Anstrengung, meine Herren), über die Rolle der Männer beim Geburtenrückgang.
In Ihrem neuen Buch stellen Sie fest, dass die Frauen in den westlichen Industrieländern immer weniger Kinder bekommen wollen.
Elisabeth Badinter Die Entwicklung ist besorgniserregend, weil der Rückgang der Geburtenrate in den Industrieländern zu einer Verschlechterung unserer Wirtschaft führt und unser Sozialsystem, insbesondere die Rentensysteme, schwächt. Bis zum Jahr 2050 wird unsere Bevölkerung von 7,2 Milliarden auf 9,6 Milliarden Menschen auf der Erde anwachsen. Dieser Anstieg wird jedoch hauptsächlich aus Afrika kommen, während die westlichen Demokratien einen Rückgang der Geburtenrate verzeichnen. Ich beschäftige mich mit diesem Thema, weil ich befürchte, dass es zu einem Konflikt zwischen zwei berechtigten Anliegen kommen wird: dem Recht der Frauen, über ihren Körper zu verfügen und sich für oder gegen eine Mutterschaft zu entscheiden – und dem Willen der Regierenden, die Gesellschaft vor den negativen Folgen des Geburtenrückgangs zu bewahren. Und mit dem Erstarken ultrakonservativer Parteien kann es zu einer Infragestellung der Frauenrechte kommen. Ich bin erstaunt, dass Frauen in der größten Demokratie der Welt, den USA, in 14 Staaten nicht mehr das Recht auf einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch haben.
Könnte das auch bei uns passieren?
Sicherlich nicht kurzfristig. Ich bin sehr beruhigt, dass Frankreich sich entschieden hat, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern. Denn ein Gesetz kann leicht aufgehoben werden, während es weitaus schwieriger ist, die Verfassung zu ändern.
1980 veröffentlichten Sie „Mutterliebe“, wie Sie den Mutterinstinkt in Frage stellten und erklärten, dass der nicht natürlich begründet sei. In Ihrem aktuellen Essay versuchen Sie, Frauen begreiflich zu machen, wie wichtig es ist, Kinder zu bekommen. Ist das nicht paradox?
Ich sage keineswegs, dass westliche Frauen Kinder bekommen sollten, sondern: Dass sie mehr Kinder bekommen könnten, wenn die Mutterschaft nicht so belastend und einschränkend wäre, wie es heute in den Industrieländern der Fall ist. Die Anforderungen an die Mütter des 21. Jahrhunderts sind exorbitant hoch und werden durch die anhaltende Ungleichheit der Geschlechter, insbesondere im Familienleben, noch verschärft.
Wie wird die Geburtenrate heute gebremst?
Wir wurden jahrhundertelang von einer kollektiven Illusion eingelullt, die uns glauben machen wollte, dass die Mutterschaft die Verwirklichung der Weiblichkeit und das Versprechen eines unvergleichlichen Glücks sei. Die Arbeitsbelastung, die Schwierigkeiten und die negativen Aspekte wurden nicht erwähnt. Die Eltern sprachen nicht darüber und als Mutter sprach man nicht mit den eigenen Kindern darüber. Frauen haben finanzielle Unabhängigkeit erlangt, sie arbeiten mehr und mehr, aber sobald sie ein, zwei kleine Kinder haben, entscheiden sich viele für Teilzeitarbeit und damit für einen geringeren Lohn. Es wird immer noch als normal angesehen, dass Frauen bei einer Vollzeitbeschäftigung einen doppelten Arbeitstag absolvieren. Dabei ist es heute viel schwieriger, Kinder zu haben, als es noch vor 25 Jahren war. Da mit der Erwartung, eine perfekte Mutter zu sein, die Pflichten immer weiter zunehmen. Frauen werden seit Jahrhunderten in der Illusion der mütterlichen Glorie gefangen gehalten, das Erwachen ist schmerzhaft, und heute noch schmerzhafter als je zuvor. Auch in Bezug auf die Verantwortung der Väter: eine große Desillusionierung. Wahre Gleichheit zwischen Männern und Frauen bedeutet, die Last der Eltern- und Haushaltsarbeit zu teilen. Also, meine Herren, strengen Sie sich an!
Sie sagen ganz richtig, dass der Mann sich immer noch zu oft als derjenige sieht, der seine Partnerin „entlastet“.
Ganz genau. „Ich helfe dir“, sagen sie. Aber die Verantwortung teilen und Initiative ergreifen, das ist etwas anderes. Und wenn die Frau sich beschwert, sagen sie: „Aber du hast mir doch gar nicht gesagt, dass ich das machen soll!“
In Studien zu Geschlechterstereotypen ist das Einzige, was Männer in der Regel tun, den Müll runterbringen.
Erinnern Sie sich an Benoîte Groults wunderbare Passage in „Ainsi soit-elle“ aus dem Jahr 1975? Ihr Mann sagte jeden Sonntagabend zu ihr: „Ma cherie, je vais aller de poser tes poubelles“ (Mein Liebling, ich bringe jetzt deinen Müll runter).
Es gibt Frauen, die delegieren, und andere, die die Kontrolle behalten wollen, z. B. über die Kinderbetreuung, weil sie es „schneller und besser“ machen.
Kinderlose Paare, bei denen Mann und Frau Vollzeit arbeiten, sind viel gleichberechtigter. Mit den Kindern kommen die Müdigkeit und Ungleichheit mit der Erschöpfung. Es gibt einen echten Bruch.
Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass sich die Dinge weiterentwickelt haben und dass sich die jungen Männer, die Generation Ihrer Söhne, verändert haben?
Ich fordere die Männer nur auf, sich mehr anzustrengen! Was den doppelten Vorteil hätte, dass sie damit für mehr Gleichberechtigung sorgen und so vielleicht auch die Vorbehalte der Frauen gegen ein zweites Kind beseitigen würden.
Warum klappt das nicht?
Die neuen Erziehungsprinzipien, die auf dem Vormarsch sind, verlangen von Frauen, dass sie sich noch mehr anstrengen, um eine „perfekte Mutter“ zu sein. Wenn Sie die Kinder nicht einfühlsam erziehen, impliziert das, dass Sie böswillig sind. Dieser ganze Diskurs, der von Coaches geführt und in sozialen Netzwerken verbreitet wird, hat sich meiner Meinung nach weder für die Mütter noch für die Kinder als positiv erwiesen.
Sie sagen, dass wir Frauen vom Individualismus zur Unterwerfung unter das Kind übergegangen sind ...
Ich bin sehr erstaunt über den absoluten Widerspruch zwischen einerseits diesen Theorien der „positiven Erziehung“, die Mütter zur totalen Hingabe auffordern, und andererseits dem tiefgreifenden Mentalitätswandel unserer Gesellschaft, der ganz im Gegenteil auf Individualismus, Selbstverwirklichung und dem Prinzip „Ich zuerst“ beruht. Ich sehe darin einen echten anthropologischen Einschnitt: Eine neue Generation hat sich plötzlich die Frage nach ihrem eigenen Vergnügen gestellt. Aber dieses narzisstische Prinzip stößt auf das übergeordnete und oft tyrannische Prinzip des Königskindes. Wie kann man „Ich zuerst“ und „Das Kind über alles“ miteinander vereinbaren?
Sie kritisieren seit langem den Zwang, eine gute Mutter zu sein. Das Gefühl, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, ist weit verbreitet. Und der gesellschaftliche Druck, ständig gut zu den Kindern zu sein und dabei das Gefühl für Grenzen zu vergessen, macht die Erziehung zu einer großen Herausforderung. Bremsen diese beiden Faktoren den Kinderwunsch?
Auf jeden Fall ist es dadurch noch problematischer geworden, Kinder zu bekommen. Man erhöht die psychische Belastung, indem man die Schuldgefühle verzehnfacht. Sechs Monate lang nach Bedarf zu stillen, wenn man einen Beruf hat, den man liebt – das bedeutet, so lange zu Hause zu bleiben. Das ist eine unglaubliche Anforderung an die Frauen. Zumal sie immer später Kinder bekommen und somit mehr berufliche Verantwortung tragen, wenn sie Mütter werden. Und es ist noch schwieriger in benachteiligten Milieus, die sich keine Kinderbetreuung oder Hausaufgabenhilfe leisten können.
Es gibt in ihrem Buch eine sehr lustige Passage, in der Sie sagen: „Ach, die 1970er Jahre, was eine Leichtigkeit, wenn man damals schwanger war ...“. Haben Sie das auch so erlebt?
Ja, es war so viel einfacher! Es gab nicht diesen großen Druck zu stillen. Sie wollten die Flasche geben? Dann gaben Sie die Flasche und Sie wurden nicht als schlechte Mutter angesehen. Außerdem wurde man von niemandem angemeckert, auch nicht, wenn man schwanger ein Glas Wein trank oder eine Zigarette rauchte. Ich habe während meiner Schwangerschaften geraucht. Ich sage nicht, dass ich Recht hatte, ich weiß, dass es nicht ratsam ist, aber niemanden hat es gekümmert. Heute, ab der Sekunde, in der Sie schwanger sind, macht der Embryo das Gesetz, dann das Baby, dann das Kleinkind, dann das Kind, dann der Teenager.
Mehr Einwanderung ist eine häufig vorgebrachte Antwort auf das Problem der sinkenden Geburtenrate, aber Sie warnen davor. Warum?
Frankreich muss weiterhin Flüchtlinge aufnehmen. Aber die massive Einwanderung, insbesondere aus dem Süden, ist, wie wir wissen, ein echtes Problem. Unsere Gesellschaft hat es nicht geschafft, die Mehrheit von ihnen zu integrieren. Aber zu viele Neuankömmlinge bemühen sich auch nicht, unsere Kultur und unsere Prinzipien anzunehmen. Das führt zu großen Rissen in der Gesellschaft und unweigerlich zum Aufstieg des Populismus.
Es besteht der Eindruck eines Rückschritts mit erhöhtem sozialem Druck auf muslimische Mädchen und alle, die nicht orthodox praktizieren. Ich denke an den Angriff auf Samara in Montpellier (die 13-Jährige, die kein Kopftuch trug, war von MitschülerInnen gemobbt und ins Koma geprügelt worden) oder den Dolchangriff auf zwei Männer in Bordeaux, die den Ramadan nicht einhielten ...
Niemand, der intellektuell ehrlich ist, kann es leugnen: Es gibt ein echtes Problem, und wir dürfen nicht länger die Augen verschließen. Wir haben immer mehr Schwierigkeiten, den Einwanderern unsere demokratischen und säkularen Werte zu vermitteln.
Woran scheitert es Ihrer Meinung nach?
Vielleicht waren wir nicht streng genug bei der Erziehung von Kindern mit Migrationshintergrund und nicht konsequent genug gegenüber ihren Eltern. 1989 unterzeichnete auch ich einen Offenen Brief zur Kopftuchaffäre in Creil: „Lehrer und Lehrerinnen, lasst uns nicht kapitulieren!“ Aber wir haben kapituliert. Ich erinnere mich, dass wir damals für unsere „heftige Intoleranz“ sehr kritisiert wurden. Anstatt zu integrieren, entwickelte unsere Gesellschaft einen Gegendiskurs, der dazu ermutigte, unsere Werte nicht zu übernehmen.
Die Linke trägt eine schwere Verantwortung, weil sie junge Mädchen mit Migrationshintergrund im Stich gelassen hat, indem sie sie auf ihre Kultur und ihre vermeintliche religiöse Identität festlegte, anstatt auf republikanische Emanzipation zu setzen.
Die Linke hat sich aus Klientelismus oder Naivität den Sirenen des Kommunitarismus gebeugt. Sie hat sich zum Bannerträger von Identitätsansprüchen gemacht, obwohl die meisten dieser Frauen mit Migrationshintergrund das selber nicht erwartet hatten. Es wurde das hervorgehoben, was uns trennte, und nicht das, was uns gemeinsam ist. Und alle, die sich dieser Sichtweise widersetzen, werden des Rassismus und der Islamophobie beschuldigt. Es ist eine Art Doppelbestrafung: Diese jungen Mädchen sind dem Druck ihrer Gemeinschaft ausgesetzt, aber sie können nicht damit rechnen, dass die Republik ihnen hilft. Und es geht nicht nur um junge Mädchen. Zwei Algerier wurden jüngst von einem Afghanen getötet, weil sie während des Ramadan ein Glas Wein tranken … Das Leben wird in manchen Stadtvierteln immer schwieriger für Muslime und Musliminnen, die nichts mit dem Islamismus zu tun haben. Es gibt in diesen Gemeinschaften eine soziale Kontrolle und einen starken Druck, dass alle den „richtigen Weg“ gehen. Ich verstehe, dass die Menschen Angst haben.
Sie selbst wurden auch schon als „reaktionär“, „islamophob“ usw. beschimpft. Das könnte Ihnen auch mit diesem Buch passieren, in dem Sie eine Kontrolle der Migrationsströme fordern.
Ich werde schon seit langem als reaktionär bezeichnet, also ...
Macht Ihnen das nichts mehr aus?
Nein, das macht mir nichts mehr aus. Ich bin übrigens nicht in sozialen Netzwerken, ich bin dort nicht aktiv. Ich bewahre meine Ruhe.
Verschiedenen Studien aus liberalen Demokratien zufolge scheint sich die Kluft zwischen Männern und Frauen zu vergrößern, wobei Männer tendenziell konservativer werden und junge Frauen im Gegensatz dazu zunehmend fortschrittlicher. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Verzicht auf Kinder und diesem Phänomen?
Dies zeugt auf jeden Fall von der schlechten Atmosphäre, die derzeit zwischen den jungen Männern und Frauen herrscht. Sie haben Angst voreinander.
Warum ist das so?
Junge Männer neigen tatsächlich dazu, sich zurückzuziehen, weil sie fühlen, an allem schuld zu sein. Die neofeministische Sichtweise, die Frauen per se als Opfer und Männer per se als Täter sieht, hat die Gleichberechtigung nicht vorangebracht. Die Bekämpfung der Gewalt von Männern ist ein Imperativ, und es ist richtig, gegen sexuelle Gewalt, Sexualverbrechen und Stalking vorzugehen. Aber wenn man Progressivität mit Wokismus gleichsetzt, der sich in der jüngeren Generation durchzusetzen scheint, dann bin ich damit nicht einverstanden. Die Neofeministinnen, die zwischen guten und schlechten Opfern unterschieden, haben den universellen Feminismus schlichtweg verraten.
Sie warnen vor den Auswüchsen der Trans-Propaganda, die junge Menschen dazu bringt, „sich in schmerzhafte und psychisch beeinträchtigende Umwandlungsprozesse zu begeben“. Es gibt viel mehr Mädchen als Jungen, die sich in diesen Prozessen befinden. Was sagt Ihnen das?
Dass Mädchen am unzufriedensten sind. Und dass sie hoffen, dass sie sich in dem traditionellen männlichen Lebensmodell stärker fühlen würden.
J. K. Rowling, die schottische Autorin der „Harry Potter“-Bücher, die zu dem Trans-Gesetz (Anm. d. Red.: Wie in Deutschland) in den sozialen Netzwerken wegen ihrer Aussage „Es gibt zwei biologische Geschlechter“ belästigt wurde, erklärte ironisch: „Ich hasse es, verhaftet zu werden.“ Könnte ein solches Gesetz auch in Frankreich eingeführt werden?
Ich bin vielleicht naiv, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Dass eine Ideologie, die so tief in das Privatleben und das Gewissen jedes Einzelnen eingreift, Teil unseres Modells wird. Das Problem ist: Radikale Trans-Aktivisten verbreiten Terror und Intellektuelle sowie Fachleute wagen es nicht, sich mit ihnen anzulegen.
Das Gespräch führte Valérie Toranian, es erschien zuerst in „Le Point“.
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