Badinter & Kaiserin Maria Theresia
Elisabeth Badinter gehört seit Jahrzehnten zum Kreis linker Intellektueller, die in Frankreich bis heute den öffentlichen Diskurs prägen. Den Satz von Beauvoir „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“ hat sie um den Satz „Man wird nicht als Mutter geboren, man wird dazu gemacht“ erweitert. In ihrem Klassiker von 1980, „Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute“, hat sie aufgezeigt, dass die Mutterliebe ebenso wie die Idee der Liebesheirat eine kulturelle Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und kein angeborener Instinkt sind.
Für Badinter, selber Mutter von drei Kindern, ist die Mutterliebe ein sinn- und identitätsstiftendes Kulturphänomen des gehobenen Bürgertums, um Frauen von der Erwerbstätigkeit auszuschließen und ihren Lebenssinn mental mit Haushalt und Familie zu verknüpfen. Was einen Zwang zur Perfektionierung zur Folge hatte, der bis heute andauert: Ein Optimierungszwang, der anstrebt, dass die perfekte Mutter das perfekte Kind produziert.
Vor allem in Deutschland wirkte die ideologische Überhöhung des Mutterbildes, nicht zuletzt dank der Nazis, bis heute nach. Die deutsche Frau wird als „Mutter“ definiert, während die französische Frau immer auch Ehefrau, Geliebte, Gefährtin und vor allem eigenständige Berufstätige ist. Mutterliebe als Konstrukt, als Instrument der Unterdrückung, während der Mann das „Absolute“ repräsentiert.
In jüngster Zeit hat sich die Philosophin vor allem gegen Entwicklungen gewandt, die die Errungenschaften der Frauenbewegung in Frage stellen. So sieht sie im Ökofeminismus eine gefährliche Allianz aus rechtskatholischen und fundamental ökologischen Strömungen, einer neokonservativen Gesellschaftspolitik und dem sogenannt „neuen Feminismus“, die uns in die Zeit unserer Großmütter zurückkatapultiere: „Wir sind keine von Hormonen gesteuerten Säugetiere, wie diese Naturalistenbewegung uns weismachen will.“
Ebenso wendet Badinter sich, wie sie sagt, gegen die „Radikalisierung der #MeToo-Bewegung durch die Neofeministinnen“, die ihrer Meinung nach ein vereinfachtes Menschenbild pflegen, bei dem alle Männer Täter und alle Frauen Opfer seien. Damit würde auch einer wohlfeilen Denunziation Tür und Tor geöffnet. Sie beklagt alle Exzesse der Bewegung. Aber sie weist auch darauf hin, dass 70 Prozent der Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen von sexueller Belästigung bedroht sind.
„Es gibt keinen Feminismus ohne Laizität“, lautet ihr Credo. Das heißt: die Trennung von Kirche und Staat. „Gott lastet schwer auf den gesellschaftlichen Verhältnissen“, sagt sie, was sich nicht nur im Iran gerade wieder erschreckend zeige. Badinter ist auch eine Vorreiterin im Kampf gegen den politischen Islamismus und die Kopftuch-Propaganda. Bereits 1991 analysierte sie in aller Deutlichkeit die Strategie der Islamisten, kleine Mädchen mit Kopftuch provokant in die laizistischen französischen Schulen zu schicken.
Bis heute ist Badinter führend in der Kritik am Islamismus und dem ignoranten Umgang der Politik mit dieser Gefahr. Der ebenfalls von Badinter offensiv thematisierte Antisemitismus in Frankreich stieg nicht zuletzt dank der Agitation der Islamisten. Badinters Vater war Jude, die Mutter Christin.
In ihren beiden letzten Büchern, „Maria Theresia. Die Macht der Frau“ (2018) und „Macht und Ohnmacht einer Mutter. Maria Theresia und ihre Kinder“ (2023), dekliniert Badinter ihre Themen weibliche Identität und Rollenmuster am Beispiel der Habsburger Kaiserin durch; deren Spagat zwischen politischer Herrschaft und Kindererziehung, der ein Beispiel für die moderne Frau sei.
Maria Theresia, die schon von Stefan Zweig als „einziger Monarch der Habsburgmonarchie“ bezeichnet wurde, habe es mit ihrer „männlichen Seele“ und ihrem machiavellistischen Instinkt nicht nur geschafft, die Staatsgeschäfte auf „bewundernswerte Weise“ zu führen, sondern auch ihre „Weiblichkeit“ grandios auszuspielen gewusst. Gleichzeitig habe sie sich in einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen Weise intensiv um die Erziehung ihrer 16 Kinder gekümmert, von denen 13 das Erwachsenenalter erreichten. Sie entwickelte nicht nur Erziehungsrichtlinien für jedes einzelne ihrer Kinder, sondern stand auch in regem Austausch mit den jeweiligen Ayos und Ayas, den Erziehern und Erzieherinnen.
Badinter zeigt Maria Theresia in all ihren Widersprüchen und Konflikten als eine Frau, die drei verschiedene Leben geführt und drei verschiedene Rollen gespielt habe. Sie musste unglaubliche Herausforderungen bestehen, wie sie kein männlicher Herrscher kannte.
Maria Theresia war während ihrer 40-jährigen Regierungszeit allein 20 Jahre lang schwanger. Sie kümmerte sich nicht nur liebevoll um ihre große Kinderschar, sondern inszenierte sie auch öffentlich, um ihr Bild von der guten Mutter zur guten Landesmutter zu erweitern. Sie ließ sich mehrfach im Kreis ihrer Kinder malen, die früh verstorbenen wurden darauf als Engel dargestellt.
Geholfen hat Maria Theresia sicherlich, dass sie an ihrer Seite einen Mann hatte, den sie sich selbst hatte aussuchen dürfen, den sie zärtlich liebte und der seine Vaterrolle ebenfalls auf für die Zeit ungewöhnlich liebevolle Weise ausfüllte. Franz Stephan, der ansonsten eher eine schwache Persönlichkeit war, war ihr eine wichtige Stütze, Freund und Berater. Es scheint auch erotisch eine ungewöhnlich intensive Beziehung gewesen zu sein, bis zu seinem unerwartet frühen Tod teilten sie das Bett, was in Herrscherkreisen völlig unüblich war. Seinen Tod hat sie nie verwunden, von da an trug sie nur noch schwarze Witwentracht.
Maria Theresias Erzfeind, der Preuße Friedrich der Große, wird mit dem Satz zitiert: „Ihr Wille zu herrschen wird sie erst verlassen, wenn sie nicht mehr sein wird“. Merkwürdigerweise predigt die Kaiserin gleichzeitig ihren Töchtern die absolute Unterwerfung unter ihre Ehemänner und verweist sie auf „weibliche“ Tugenden wie Anpassungsfähigkeit und Demut. Inwieweit also Maria Theresia zum Vorbild für die Frauen im 21.Jahrhundert taugt, sei dahingestellt. Elisabeth Badinter selber könnte da schon eher ein Vorbild sein. Ihr Leben als Ehefrau – verheiratet mit Robert Badinter, Mitterands Justizminister, der es gewagt hat, die Todesstrafe abzuschaffen – scheint bis heute ihre Rolle als Wissenschaftlerin und Autorin nicht beeinträchtigt zu haben.
BARBARA VON MACHUI
Elisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder. Übersetzung: Stephanie Singh (Zsolnay)
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