Bauhaus-Frauen: Marianne Brandt
Marianne Brandt war eine der wenigen weiblichen Studierenden des Weimarer Bauhauses, die nicht in die "Frauenabteilung", die Weberei, gingen, sondern in die Metallwerkstatt, wo sie nach nur kurzer Lehrzeit neue Maßstäbe für das Metalldesign der klassischen Moderne setzte. Dennoch erhielt sie erst 1928 am Bauhaus in Dessau eine Leitungsposition als stellvertretende Meisterin. Aus dieser Zeit sind vor allem ihre "Kandem"-Lampen, Modelle für eine Schreibtisch- und eine Nachttischleuchte, in die Designgeschichte eingegangen.
Doch Marianne Brandt beherrschte auch das neue Metier der Fotografie und schuf bis Anfang der 30er Jahre neben einer Reihe experimenteller Fotografien etwa 50 Montagen. Rund 30 davon sind heute noch erhalten. In diesen Arbeiten, die sie selbst später "Photomontagen" nannte, setzte sie sich ab Mitte der 20er Jahre mit gesellschaftskritischem Blick und Witz mit aktuellen Themen auseinander: wie Großstadt, Film und Ausdruckstanz; aber auch mit Krieg, Militarismus, sowie dem Geschlechterverhältnis, den "Neuen Frauen", zu denen sie selbst gehörte. 1926 kreierte Brandt die Montage "Helfen Sie mit! (Die Frauenbewegte)": das Faultier und der Boxer auf dem Hut der androgynen Frau (geschminkt und mit Pfeife).
Doch wie viel Handlungsspielraum hatte diese "Frauenbewegte" in ihrer Zeit wirklich? Zwischen 1924 und 1933 war Brandt als Gestalterin der Bauhausavantgarde in ganz Europa präsent, zeigte ihre Werke in Ausstellungen und sich selbst auf Fotos und Festen. Ihre Prototypen wurden bereits von namhaften Firmen produziert. 1933 jedoch brach ihre Karriere abrupt ab. Als Künstlerin verschwand sie wie so viele andere bis 1945 gezwungenermaßen von der Bildfläche. Im Privaten ging die Ehe in die Brüche.
Als Bauhäuslerin von den Nationalsozialisten in die Schublade der "entarteten Kunst" sortiert, als Ehefrau von Erik Brandt nun unliebsame Staatsangehörige des Kriegsfeindes Norwegen, ging sie in die innere Emigration. In der Enge des Chemnitzer Elternhauses griff sie wieder zum Pinsel, verfertigte in Erinnerung ans Bauhaus sogar einen Gobelin.
Nach der Nazizeit, 1946, trat Marianne Brandt in ihrer Heimatstadt rasch wieder mit Ausstellungen an die Öffentlichkeit; sie engagierte sich im Kulturbund, in der Gewerkschaft, im Künstlerverband. Von 1949 bis 1951 arbeitete sie als Dozentin an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, von 1951 bis 1954 an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. 1953/54 reiste sie in staatlichem Auftrag für mehrere Monate nach China, um dort eine Ausstellung zu organisieren. Doch als sie zurückkam, war aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt geworden, und es wurde ein zweites Mal still um sie. Diesmal bis in die 70er Jahre hinein.
Brandts avantgardistische Kreationen aus den zwanziger Jahren interessierten im DDR-Staat nicht. Die Heiz- und Beleuchtungskörper, Röhren und Kolben, die sie nun für volkseigene Betriebe entwarf, gingen im Einheitsstil des sozialistischen Industriedesigns unter. Als Ende der 60er Jahre in der DDR nach und nach wieder das Interesse am Bauhaus – und damit auch an Marianne Brandt – erwachte, war es zu spät für ein Comeback. Auf der Bauhaus-Ausstellung in Leipzig 1976 wurden erstmalig wieder ihre Werke gezeigt. Doch Marianne Brandt war inzwischen schon über 80 Jahre alt, war müde, resigniert und krank. Dennoch griff sie in ihren letzten Lebensjahren in Kirchberg/Sachsen noch einmal zur Kamera und fotografierte: aus dem Fenster hinaus. 1999 dann, im Weimarer Kulturstadt-Jahr, 16 Jahre nach ihrem Tod, zierte ihr Name und ihr Tee-Extraktkännchen eine deutsche Briefmarke.
Doch zurück zu den Anfängen. Die 1893 geborene Marianne Liebe stammte aus einem gutbürgerlichen Elternhaus im sächsischen Chemnitz. Ihr Vater, der Rechtsanwalt Franz Bruno Liebe, war Mitglied des Stadtrates und Förderer des Theaters und der bildenden Kunst. Die drei Töchter wuchsen im noblen Gerichtsviertel in einem offenen Haus auf, in dem Kunst, Musik und Literatur zum Alltag gehörten. Marianne besuchte eine höhere private Mädchenschule. Mit 18 ging sie nach Weimar, besuchte für ein Jahr die Freie Zeichenschule und wurde 1912 in die "Großherzoglich-Sächsische Hochschule für Bildende Kunst" aufgenommen. 1917 lernte sie ihren späteren Mann kennen, den Norweger Erik Brandt, der wie sie in Weimar Kunst studierte.
Auf der großen Weimarer Bauhaus-Ausstellung 1923 sah sie eine völlig neue Art der Kunst und Gestaltung. Jetzt wusste die inzwischen 30-jährige Künstlerin, was sie wollte und was sie nicht mehr wollte: Schluss mit der brotlosen Malerei und mit der ganzen gegenständlichen Kunst! Im Wintersemester 1923/24 wechselte sie ans Staatliche Bauhaus und begann dort im Januar 1924 mit dem Vorkurs bei Josef Albers und László Moholy-Nagy sowie den künstlerischen Unterricht von Wassily Kandinsky und Paul Klee.
Bereits 1923 entstanden eine ihrer ersten fotografischen Arbeiten: "Selbstporträt mit Lilien". Überzeugt von ihrem außergewöhnlichen Talent, ermutigte Moholy-Nagy Marianne Brandt schon nach wenigen Monaten dazu, im Metallbereich zu arbeiten. In einem Gespräch erzählte sie 1979: "Wir waren so auf einfache Formen versessen, dass sogar der Einlass bei dem halbkugeligen Ascher ein Dreieck war, dabei war das exzentrisch angeordnete Oval ja viel besser. So versessen waren wir auch, weil uns der Kitsch der Gründerzeit – und nicht nur der – noch so nah war."
Brandts berühmtes Tee-Extraktkännchen aus Silber und Ebenholz gilt bis heute als Ikone des Bauhausdesigns. In ihrer Gestaltung ist Marianne Brandt dabei exakt dem Gebot gefolgt, das Werkstück auf die Grundformen Kreis, Quadrat und Dreieck zu reduzieren. Aber auch auf die Funktionsfähigkeit wurde genau geachtet: "Keine Kanne ist aus unserer Werkstatt gegangen, die nicht tropffrei goss."
Als sie im Frühjahr 1927 von einer Ausstellung in Paris zurückkehrte, erhielt sie als "Mitarbeiter" der Metallwerkstatt erstmalig eine bezahlte Stelle. Erfolgreich handelte sie nun mit der Industrie Verträge über die Fertigung von Beleuchtungskörpern aus. In der Metallwerkstatt gab es 1929 einen Richtungswechsel hin zum Entwurf und Bau größerer Möbelmodelle. Man warf nun Marianne Brandt vor, sie könne als Frau nur noch "modelle auf dem papier" machen. Sie wehrte sich – und erhielt nachträglich ihr Bauhausdiplom im Metallbereich.
Hilfe und Ermutigung fand sie in dieser Zeit vor allem durch Moholy-Nagy, der sich immer wieder mit leidenschaftlichem Engagement für sie einsetzte: "meine beste und genialste schülerin (von ihr stammen 90% aller bauhaus-modelle) frau marianne brandt", heißt es in einem Brief vom 26. Juni 1929. 1930 präsentierte Brandt ihre Metallarbeiten auf der Werkbund-Ausstellung in Paris.
Lohn und Brot fand die Bauhäuslerin dann bei der Metallfabrik Ruppel in Gotha, wo sie Prototypen für Gebrauchsgegenstände wie Leuchter, Teewagen, Brieföffner entwarf. Als ihre schönste Arbeit aus dieser Zeit gilt ein kugelförmiges Tintenfass. 1933 wurde sie arbeitslos, begann ihr "Verschwinden".
Das Aufspüren ehemaliger BauhäuslerInnen im Nachkriegsdeutschland war zunächst vor allem von den EmigrantInnen selbst ausgegangen, insbesondere von Ise und Walter Gropius. Sie hatten aus den USA auch zu Marianne Brandt Kontakt aufgenommen und unterstützten sie jahrelang mit Rat und Carepaketen. Immerhin erlebte Marianne Brandt als alte Frau noch das wiederaufkommende Interesse am Bauhaus in ihrem Land. Nach ihren Prototypen wird heute immer noch – oder wieder – produziert.
Ausstellung bis 4. Oktober: Modell Bauhaus, Berlin, Martin-Gropius-Bau. Katalog im Verlag Hatje Cantz.