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Die Internet-Community StudiVZ als Erfolgsstory und der Begriff "Gruscheln" als ihr Markenzeichen. Was das für Frauen im Internet bedeutet, stimmt allerdings weniger froh.
Als Paradies für Stalker und gewisse junge Männer: So wurde ‚StudiVZ‘ letzten Herbst einer breiteren und älteren Öffentlichkeit bekannt. Viele erfuhren so zum ersten Mal von Deutschlands größter Internet-Community mit ihren 1,8 Millionen aktiven Mitgliedern – und Mitgliederinnen. Tausende Mädchen (zu denen die Autorin nicht gehört) präsentieren sich dort nicht selten mit ziemlich privaten Fotos: mit der Freundin in Schweden am See – im Bikini. Tanzen im Regen vor dem Rathaus in Oberammergau – das T-Shirt klebt. Oder betrunken auf einer Party – das Top leicht verrutscht. Auf solche Bilder hatten es etliche Jungs abgesehen.
„Ich bin sehr froh, dass sich hier viele die Mühe machen, geile Schnitten rauszusuchen, damit alle ihre Augenweide daran haben können“, schrieb der Gründer einer Gruppe, die mit den Fotos virtuelle Misswahlen veranstalteten, im vergangenen Herbst in einem Forum, das nur die Mitglieder der Gruppe einsehen können. 700 junge Männer machten sich an die Arbeit und durchforsteten das Netzwerk nach hübschen, möglichst leicht bekleideten Mädchen. Hatten sie eines gefunden, hinterließen sie Namen oder Foto im Forum, gerne garniert mit sexistischen Kommentaren.
Das Internet-Netzwerk geriet in die öffentliche Kritik, als bekannt wurde, dass diese 700 Jungs jene Mädchen, die sie für besonders geil befunden haben, gemeinschaftlich belästigten. Und zwar durch gleichzeitiges „Gruscheln“.
Gruscheln ist ein Kunstwort, das ursprünglich irgendwo zwischen „Grüßen“ und „Kuscheln“ anzusiedeln war, inzwischen aber um den Aspekt „Grapschen“ erweitert werden müsste. Ein Mädchen, das nicht sein Einverständnis gegeben hatte, an irgendwelchen Contests teilzunehmen, bekam plötzlich Nachricht über 700 „Gruschelungen“. Die Nachricht darüber konnte sie löschen, die Vorstellung, mehr als 700 mal als Wichsvorlage gedient zu haben, nicht. „Man fühlt sich irgendwie eklig, wenn man weiß, dass irgendwelche Typen dein Foto angucken und irgendwelche Kommentare dazu abgeben“, sagt Nadja (Name geändert). Sie ist keine Miss StudiVZ, also keine von denen, die zwischen August und Dezember 2006 von der erwähnten Gruppe gewählt wurden. Sie ist ein neues Opfer.
Anfang des Jahres wurde StudiVZ für 50 Millionen Euro vom Medienkonzern Holtzbrinck aufgekauft. Die öffentliche Aufmerksamkeit stieg. Die Gründer versprachen Besserung: Das StudiVZ „soll nie für Stalking oder ähnliche Aktivitäten genutzt werden. Dies lehnt StudiVZ ganz klar ab.“
Doch bereits Wochen später gab es neue Gerüchte. Neue Gruppen wie „Miss StudiVZ, jetzt erst recht!!!!“ machen deutlich, was sie aus den Vorfällen gelernt haben: nämlich gar nichts. „So gehts ja nicht! Wollen wir mal sehen, wer hier den längeren Atem hat … Also, Jungs und Mädels, wer wird Miss StudiVZ? Und denkt dran: Immer vorher fragen ;-) Wegen des ‚Datenschutzes‘“, heißt es jetzt. Damit auch jeder kapiert, um was es geht, ist der Nachricht ein Foto von acht nackten Frauen beigestellt.
Ob es in ihrem Fall nun die 330 Mitglieder dieser Gruppe waren oder andere Jungs, weiß Nadja nicht. Sie hat ihren Account sofort gelöscht, nachdem sie beinahe hundertfach gegruschelt wurde, auf ihrer virtuellen Pinnwand sexistische Kommentare fand und einschlägige Nachrichten bekam. Offenbar hatte sie an irgendeinem dieser Contests teilgenommen ohne es zu wissen – und natürlich ohne gefragt worden zu sein. Das alles, sagt sie, sei im Februar 2007 passiert.
Sieht so aus, als sei StudiVZ, auch nach dem Wechsel in den Medienkonzern (der auch Die Zeit herausgibt) noch immer nicht unter Kontrolle.
Zeit für einen Test: Was passiert auf den gefaketen Seiten eines 19-jährigen Mädchens mit einem völlig normalen Profil? Ein hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren in hellblauer Bluse, das sich weder freizügig, noch zugeknöpft präsentiert. Ein Mädchen mit normalen Hobbys, einem Pädagogikstudium in Bayern, einer Schwäche für George Clooney, einem Hund und einem Nebenjob als Messehostess.
Um dem Zufall ein wenig auf die Sprünge zu helfen, besucht das Fake-Mädchen die Profile dreier Typen, die sich in den Gruschel-Skandalen 2006 hervor getan haben. Die bekommen nun das Mädchen dank der Funktion „Wer war zuletzt auf meiner Seite“ angezeigt. Und? Auf die Geilheit der Jünglinge ist Verlass. Nur drei Tage später tauchen Name und Foto des Fake-Mädchens in der Gruppe „Sich gegenseitig im StudiVZ geile Ischen zeigen“ auf, mit dem Hinweis eines jungen Mannes, selten so „geile Titten“ gesehen zu haben.
Die Frauenjäger sind also noch immer am Werk. Doch ein bisschen was haben sie dann doch dazu gelernt: Auch sie operieren nun mit Fake-Accounts. Blogger haben die Internetseite www.bugmenot.com/view/studivz. net gefunden, auf der StudiVZ-Accounts und die dazu gehörigen Passwörter veröffentlicht sind: so kann der Interessent anonym Stalken, Gaffen und Belästigen. Da benutzt man einfach das getürkte Profil von „Hans Dekanns“ – zum Beispiel.
Zwar folgte auf die Nominierung als „geile Ische“ kein systematisches Gruscheln mehr, aber Kommentare von „lecker, lecker“, bis „Hast du aber geile Möpse“ füllen die Pinnwand, auf der für jedermann sichtbare Kommentare hinterlassen werden können. Auch private Nachrichten mit Sex-Anfragen erreichen das Fake-Mädchen, das ganz normale Hobbys wie „Schwimmen, Telefonieren, Käffchen trinken, mein Studium, mein Hund und meine Freunde treffen“ angegeben hat. Innerhalb von zwei Wochen wird das Fake-Mädchen 26 Mal gegruschelt – vornehmlich von den Mitgliedern der „Geile Ischen“-Gruppe.
Das echte Opfer Nadja bereut inzwischen, dass sie ihre Seite mit den vielen „Gruschelungen“ und den blöden Sprüchen nicht den Verantwortlichen gemeldet, sondern in ihrer Wut einfach gelöscht hat. „Ich hätte gerne gesehen, dass ein paar von denen rausgeschmissen werden“, sagt sie.
Ob das allerdings wirklich passiert wäre, ist eine andere Frage. Denn bereits bei den Massen-Gruschel-Attacken aus dem vergangenen Jahr gab es keine Sanktionen. Im Gegenteil: Eine gewählte Miss und belästigte junge Frau hatte die Täter gemeldet. Die Folge: ein Moderator des StudiVZ, der dem Vorfall nachgehen sollte, schrieb dem Gründer der Gruppe eine freundliche Mail von Mann zu Mann:
„Wir haben heute leider eine Beschwerde über deine Gruppe bekommen, worauf hin ich mir das Ganze mal näher angesehen habe. (…) Zuerst, okay, ich bin ein Mann – also erster Eindruck … Ne, ernsthaft, die Inhalte deiner Gruppe sind absolut okay – es geht ja eigentlich nur um einen Fotocontest. (…) Unsere Bitte also: kannst du die Beschreibung der Gruppe bitte in diese Richtung des Fotocontests abändern und diese – na ja, sagen wir ‚pornografischen Elemente‘ – entfernen. Dann gibts wohl auch keine Probleme mehr.“
So einfach ist das. Ein paar Sätze an der Stelle, die für jeden sichtbar ist, entfernen und im geheimen Forum weiter machen wie zuvor. Das Beste kommt allerdings noch am Ende jener Mail: „Einer der Gründer des StudiVZ hätte übrigens gerne ‘ne Einladung für die Gruppe …“, schrieb der Verantwortliche an den Ober-Stalker. Kein Wunder, dass sich die Gruppe nicht wirklich gemaßregelt fühlte. Wundern dürften sich Kenner der StudiVZ darüber eigentlich nicht mehr. Schon zu viele zweifelhafte Aktionen waren dieser voraus gegangen.
Gegründet wurde das StudiVZ im Oktober 2005 von Ehssan Dariani, 26, und Dennis Bemmann, 28, in Berlin, später kam ein Dritter hinzu. Bereits während der ersten Expansionsphase hatten das Start-up-Unternehmen vor allem wegen Sicherheitslücken und auch Ehssan Dariani persönlich wiederholt für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. Der 26-jährige Student und Firmengründer Dariani hatte auf der Video-Plattform „You Tube“ selbstgedrehte Sequenzen veröffentlicht, in denen Frauen auf Toiletten zu sehen waren. Die Jung-Unternehmer entschuldigten sich später – allerdings erst dann, als der Druck zu groß wurde.
So richtig glaubwürdig ist es also nicht, wenn es plötzlich heißt, Stalking würde im StudiVZ nicht geduldet und die Moderatoren täten alles, um solche Gruppen zu schließen. Eben wollte ein Gründer der Plattform der Massen-Gruschel-Gruppe doch noch beitreten.
Allerdings erschwert noch eine andere Tatsache die Bekämpfung der Sex-Stalker im Internet und solcher so genannter Contests. Es sind die Mädchen selbst. Einige melden sich inzwischen mit immer freizügigeren Fotos in Gruppen an und mit Namen wie „die schönsten Mädels des StudiVZ“ oder „die geilste Frauen im StudiVZ“. In solchen Gruppen buhlen die Frauen um die Gunst der Stalker – freiwillig.
So wie Karolina K., die auf ihren privaten Fotos auf dem Schoß einer ebenso blonden Freundin reitet und sich, extremst dünn bekleidet, an irgendwelche Wände presst. Die Kommentare der Typen unter ihren Fotos stören sie offenbar kaum. „Diese Lippen, einfach Rrrrrrr“ steht da, ebenso wie „Bist du geil?“ oder „Darf ich dich mal gruscheln?“.
Ist Gruscheln also nun erwünscht oder nicht? Will diese junge Frau zur „geilsten Ische“ gewählt werden oder demütige ich sie damit? Sehen die jungen Männer den Unterschied nicht mehr? Verlieren sie aufgrund der virtuellen Situation das Gespür für die Realität, in der sich die meisten von ihnen vermutlich nicht mal trauen würde eine hübsche, junge Frau anzusprechen? Sind sie sich des Problems gar nicht bewusst?
Oh doch! Das belegen einige Überlegungen zu Vorsichtsmaßnahmen im Forum der Stalker: „Sollen wir vielleicht alle einstellen, dass man unsere Gruppenzugehörigkeit nicht sehen kann, sondern nur wir untereinander? Wäre vielleicht gut, spätestens wenn wir die Miezen alle gleichzeitig gruscheln“, schreibt einer. Und ein Anderer antwortet: „Du hast recht! Wir sind ja schließlich in diesem Forum heimliche Sexisten“. Eher unheimliche Sexisten.
Lara Fritzsche, EMMA 3/07