Beth Ditto: Ganz schön fettig

Artikel teilen

Wenn sie spricht, scheint immer irgendetwas in Vibration zu geraten, die Fensterscheiben, die Luft, ihre gewaltigen Oberarme, auf denen die Botschaft "Mama" eintätowiert ist. Gern und oft gebraucht sie das Wörtchen "fat", was sich in ihrem Südstaatenenglisch dramatisch anhört. Es sind keine Interviews, die Beth Ditto gibt, sie erteilt Lektionen: Wie platze ich ungefragt mit der Tür ins Haus.

Anzeige

Weit hat die Sängerin und Frontfrau des Trios "The Gossip" es in dieser Disziplin gebracht, aus der Kummerkastenecke in die Musikmagazine und von dort zu den Pariser Modewochen, wo sie ihren XXL-Hintern in die erste Reihe quetschte und mit einem reizenden Tüllkleid von Fendi den Magermodels die Schau stahl. Beth Ditto ist eine lesbische Musikerin und Aktivistin mit Sinn für Mode, die gar nicht daran denkt, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

"Music For Men" heißt die neue Gossip-CD, in ironischer Anspielung auf Blickwinkel, die man einnehmen kann oder eben auch nicht. Musikalisch knüpft das Werk nahtlos an den Vorgängerhit "Standing In The Way Of Control" an, minimalistische Punksoulsongs mit Discoeinschlag zum Abfeiern und Loslassen, inhaltlich wird das Themenfeld der schwul-lesbischen Liebe abgeschritten: Frau liebt Frau, Mann liebt Mann. Manchmal kommen sie zusammen, öfter bleibt es bei Blicken, doch auch die gemeine Homoerotik ist eine Grenze, über die Ditto mit viel Aplomb hinwegfegt. Als Queen des queeren Discopunks ist sie Demokratin. Vor dem Beat sind für sie alle Liebenden gleich.

Man muss die Band im Konzert gesehen haben, um die volle Tragweite der Botschaft zu ermessen, Gitarrist Nathan Howdeshell, die Schlagzeugerin Hannah Blilie im großflächig tätowierten Tomboy-Look (Foto) und natürlich Ditto, die große Körperpolitikerin, die mittendrin agiert, als gäbe es kein Morgen.

Ditto wuchs in Searcy auf, einer Gemeinde in Arkansas, genauer gesagt am Rand von Searcy: Ihre Familie stammt aus dem Trailerpark. Dicksein ist hier nicht das Hauptproblem, dick sind im Süden viele, es kommt von den vielen Hamburgern und den Erdnussbuttersandwiches, schlimmer ist die Intoleranz, der Blick, mit dem die Leute auf einen herabschauen. Es sind keine guten Erinnerungen, die Ditto an diese Zeit mit sich herumträgt: bigotte Nachbarn, galoppierender religiöser Wahnsinn, ein McJob als Muffin-Verkäuferin. "Wenn du fett und lesbisch bist, hast du in Searcy ein Problem", sagt sie, "dann hacken sie unablässig auf dir herum – Searcy, das war wirklich die Hölle." Seither hat Beth Ditto eine Mission: Sie bekämpft den Hass auf alles Andersartige.

Wie bei Eminem und auch bei Elvis sind es Diskriminierungserfahrungen aus der Provinz, die die tiefste biografische Spur gezogen haben. Mit Letzterem verbindet Ditto ein Zug zum Bodenständigen und Konzilianten: leben und leben lassen, wir sind alle nur arme Sünder. Mit Eminem teilt sie die Fähigkeit, sich aus dem Stand verbal nach vorn zu ballern, koste es, was es wolle. Mit beiden gemeinsam hat sie den Willen, sich jenseits enger Verhältnisse neu zu entwerfen.

Wenn du mit einem Haufen Geschwister im Wohnwagen aufwächst, mag das gut fürs Stimmvolumen sein, doch wenn du es zu etwas bringen willst, hilft nur Flucht. Als das Geld dafür beisammen war, flog Beth Ditto 3.000 Meilen nach Nordwesten, in eine andere Welt. Es war das erste Mal, dass sie ein Flugzeug bestieg.

Portland, Oregon, muss man sich als liberale Universitätsstadt vorstellen: Es gibt Buchläden, Coffeeshops und zahlreiche Clubs, in denen der Underground verkehrt. Besonders berühmt ist Portland für seine blühende gay community. Hier, unter Punks und Gleichgesinnten, entstand The Gossip, ursprünglich als reines Spaßprojekt. Dann wurde die Sache professioneller und zog Kreise.

Es fällt auf, wie erfrischend unorthodox The Gossip von Anfang an waren. Für eine Punkband sind sie im Grunde zu künstlich, für eine Discotruppe zu rockig, für eine Rockband haben sie zu viel Synthetikanteile und für einen durchschnittlichen Electro-Act zu viel Soul. The Gossip bringen zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört, Gitarrenriffs und Camp-Ästhetik, trashige Achtziger-Jahre-Klänge und eine Inbrunst, wie sie sonst in den schwarzen Kirchen des Bible Belts zu finden ist. Musikalisch wie vom konzeptionellen Ansatz her sind sie ein Patchwork der Widersprüche, ein Hybrid aus den Errungenschaften der Stadt und seelennährenden Zutaten vom Land. Die Pointe an Beth Ditto ist, dass sie als Diva und Selbstdarstellerin ein Südstaaten-Girl geblieben ist. Statt in ihrer Nische sitzen zu bleiben, entert sie den Mainstream.

Dittos neueste CD, "Music For Men", ist buchstäblich Stoff für Jedermann, die zwölf Stücke sind das akustische Pendant zu Dittos Ausflügen in die Hochglanzwelt der Mode, zu den Titelbildern, auf denen sie zu sehen war, und zur Kolumne "What would Beth Ditto do?", die sie regelmäßig für den britischen Guardian schreibt. Was würde Beth Ditto raten, wenn sie ihre Philosophie in einem einzigen Satz zusammenfassen müsste? Liebe dich wie du bist, sagt sie, vielleicht tun's dann auch die andern.

Artikel teilen
 
Zur Startseite