Binnen-I oder Gendersternchen?
Im Februar ging's los. Der Online-Duden wurde in den Medien von den einen getadelt, von den andern gelobt. Was war geschehen? Er macht nun zweierlei anders als bisher.
Erstens: Weibliche Berufsbezeichnungen, bisher versteckt in den Einträgen über maskuline Berufsbezeichnungen, bekommen eigenständige Einträge.
Zweitens: Bei den männlichen Berufsbezeichnungen heißt es nun nicht mehr „jemand, der (literarische Werke verfasst)“, sondern stattdessen „männliche Person, die (literarische Werke verfasst)“. So zum Beispiel beim Eintrag "Schriftsteller".
Die Überarbeitung soll Ende 2021 abgeschlossen sein. Zurzeit finden Auskunftsuchende deshalb neben den neuen noch viele Einträge nach altem Muster. Schon beim Eintrag „Lehrer“ können die Besorgten sich wieder beruhigen, denn dort heißt es wie eh und je: „Jemand, der an einer Schule unterrichtet“. Und für „Lehrerin“ finde ich „weibliche Form zu Lehrer“ (Stand 29.1.21).
Die "Kernbedeutung" sind Männer, die bestimmte Berufe und Tätigkeiten ausüben
Mit der Ersetzung des „jemand, der“ durch „männliche Person, die“ ist, so klagen die Gegner des Genderns, das generische Maskulinum, also der geschlechterübergreifende Gebrauch des Maskulinums, abgeschafft. Das sei unzulässig, ja eine Dreistigkeit, denn damit gebe der Duden nicht mehr den gängigen Sprachgebrauch wieder, wie es seine Aufgabe ist, sondern wolle die Sprache eigenmächtig ummodeln, was ihm nicht zustehe.
Die Duden-Redaktion sieht das anders. Der Verlag wolle „die Kernbedeutungen der Wörter präzisieren“, antwortete Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion. Das generische Maskulinum könne weiterhin verwendet werden. Empfohlen werde es aber nicht.
„Die Kernbedeutungen der Wörter präzisieren“ gibt einen interessanten Hinweis auf die Sprachgeschichte. Gemeint ist wohl die „ursprüngliche“ und „eigentliche“ Bedeutung. Maskulina wie Wähler, Professor, Student, Politiker, Schornsteinfeger, Pastor, Soldat, Jurist, Arzt, Theologe, Brunnenbauer usw. bedeuteten ursprünglich nichts anderes als das, was der Online-Duden nun Kernbedeutung nennt: Männer, die bestimmte Berufe und Tätigkeiten ausübten. Da Frauen diese Berufe und Tätigkeiten nicht ausüben durften, gab es auch keine „Wählerin“, „Pastorin“, „Professorin“ usw. „Frau Pastor“ oder auch „Frau Pastorin“ konnte nur die Frau des Pastors sein.
Als Frauen dann endlich auch studieren durften, wurden sie als „weibliche Studenten“ bezeichnet. Und mit dieser und ähnlichen Behelfsbezeichnungen und dem „Eindringen“ von Frauen in „Männerberufe“ trat das „generische Maskulinum“ seinen Siegeszug an, das bis dahin nur vereinzelt vorkam und von deutschen Grammatiken erst seit 1962 wahrgenommen und beschrieben wird.
Was ist mit den Hebammen? Die männliche Hebamme heißt nun Geburtspfleger
Und wie war das eigentlich mit den Hebammen? Dieser traditionell weibliche Beruf wurde vor kurzem auch für Männer geöffnet. Gab es dann männliche Hebammen? Nein. Es musste eine männliche Bezeichnung her, und die männliche Hebamme hieß nun Geburtspfleger oder Geburtshelfer. Dito gab es statt der männlichen Krankenschwester den Krankenpfleger.
Der Hausfrauenbund nannte sich nach der Aufnahme einiger männlicher Hausfrauen „Verband der Haushaltsführenden“. Ein Musiker und eine Musikerin sind zusammen zwei Musiker. Eine Witwe und ein Witwer sind aber nicht zusammen zwei Witwen – obwohl doch Witwer aus Witwe genauso abgeleitet ist wie "Musikerin" aus "Musiker". Auch sagen wir „Jeder kehre vor seiner Tür“ obwohl "jede" doch kürzer ist als "jeder" Und überhaupt – haben wir je einen Mann vor seiner Tür kehren sehen?
Was schließen wir aus diesen sprachlichen Tatsachen? Dass im Deutschen kein Mann unter einen weiblichen Oberbegriff fallen darf, denn das wäre eine Degradierung und Beleidigung. Es ist ihm nicht zumutbar, denn damit wäre ja die „natürliche Ordnung der Geschlechter“, wonach der Mann der Herr ist und die Frau ihm untergeordnet, über den Haufen geworfen und auf den Kopf gestellt.
Das generische Maskulinum ist also eine höchst ungerechte Sache, weil ihm das weibliche Pendant fehlt, und deshalb ist es gut, wenn es abgeschafft wird. Es ist ein patriarchaler Ballast, den wir abwerfen sollten. Wenn es das generische Maskulinum nicht mehr geben soll, wird es unbequem, mahnen und klagen die Gegner des Genderns. Sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Peter Eisenberg: „Es ist doch für die Verwaltungssprache ein Tort, wenn sie nicht mehr von Steuerzahlern und Tätern ... sprechen darf, sondern wenn alles sexualisiert wird."
Das generische Maskulinum braucht das generische Femininum zur Seite
Dieser Forderung kann ich als Frau nicht zustimmen und weiß auch nicht, was das mit Sex zu tun hätte. Obwohl ich Doppelformen wie "Steuerzahlerinnen und Steuerzahler" auch unbequem finde.
Aber es gibt neben den Doppelformen ja viele andere Möglichkeiten, sich geschlechtergerecht auszudrücken. Als da sind: substantivierte Adjektive und Partizipien "Studierende", "Geflüchtete", "Geistliche" oder das Binnen-I: "LeserInnen".
Wenn wir die Geschlechter sprachlich gerecht behandeln wollen, sehe ich nur eine Möglichkeit für die Beibehaltung des generischen Maskulinums: Wir stellen ihm das generische Femininum zur Seite. Der Online-Duden scheint diese Möglichkeit bereits ins Auge zu fassen: Unter „Obfrau“ lese ich: „jemand, der die Interessen einer bestimmten Gruppe o.Ä. vertritt“.
Das ist vorbildlich und sollte Schule machen. Das generische Femininum wird schon lange von vielen benutzt, und wenn der Duden diesen Gebrauch berücksichtigt, wird er nur seiner Aufgabe gerecht, den gängigen Sprachgebrauch abzubilden. Die SprachbenutzerInnen können wählen zwischen beiden Generika und sich damit als Konservative oder als Progressive outen.
Und was wird nun mit den „nichtbinären“ oder „intersexuellen“ Personen, die sich nicht als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen können oder wollen; Stichworte divers, Genderstern und Knacklaut? Das ist ein weiteres, derzeit viel diskutiertes Kapitel aus dem großen Komplex „Sprache, Geschlecht und Macht“ – über das die Neuerungen im Online-Duden aber nichts aussagen. Der deutsche Rechtschreibrat jedoch kümmert sich drum und hat für den kommenden März neue Empfehlungen angekündigt. Frau kann sich auf allerlei gefasst machen...
Die Benutzung des Gendersterns wird immer mehr zum Bekenntnis für ein Lager
Ich persönlich meine, dass auch Intersexuelle und Diverse ein Recht auf sprachliche Sichtbarkeit haben. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es viele Möglichkeiten. Der Genderstern ist okay, sofern er nicht das Femininum in drei Teile zerreißt: männlicher Wortstamm, Genderstern, weibliche Endung. Dass wir Frauen in solchen Gebilden mit der Endung abgespeist werden sollen, ist unakzeptabel.
Die Benutzung des Binnen-Is oder des Gendersterns wird allerdings zur Zeit immer mehr zum Bekenntnis für das eine oder andere Lager, hier die feministische, dort die Queer-Bewegung. Aus Sprachpolitik ist Identitätspolitik geworden. Ich finde, die beiden Protestbewegungen sollten zusammenarbeiten - aber vielleicht ist das politisch naiv angesichts zunehmender Beschimpfung mit der Keule „transphob“ gegen feministische Anliegen wie Schutzräume für Frauen gegen Männergewalt. Ich erkläre mich deshalb hier in aller Form solidarisch mit der feministischen Bewegung und votiere selbstverständlich für das Binnen-I, sollte ich mich denn entscheiden müssen zwischen Genderstern und Binnen-I. Und das, obwohl ich auch das Binnen-I immer nur als Kompromiss empfunden habe und eigentlich das generische Femininum – natürlich für alle Geschlechter – bevorzuge.