Aus aller Welt sind sie nach Deutschland angereist, inklusive der hoch gehandelten Favoriten Brasilien oder die USA, die bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft nur ein Ziel vor Augen haben: den Titel. Doch auch das afghanische Nationalteam ist nach Berlin gekommen – und das, obwohl es sich gar nicht für die WM qualifiziert hatte. Denn den Spielerinnen geht es nicht um WM-Punkte, sie kämpfen für etwas viel Elementareres: ihre Selbstbestimmung und Menschenrechte.
Parallel zur WM findet in Berlin vom 27. Juni bis 3. Juli das Frauen-Festival „Discover Football“ statt. Acht Frauen-Teams werden bei dem Turnier im Willy-Kressmann-Stadion gegeneinander antreten: Neben Indien, Ruanda, Israel und Jordanien sind auch die afghanischen Frauen mit von der Partie. Mit ihnen wird Ali Askar Lali in die Hauptstadt kommen.
Eltern hatten Vorbehalte, Lehrerinnen und Mädchen Angst
In den 1970er Jahren war Lali, 53, eine der zentralen Figuren der afghanischen Nationalmannschaft, bis heute ist er der Beckenbauer des afghanischen Fußballs – und ein großer Unterstützer des Frauenfußballs in seinem Heimatland. „Mir hat der Fußball das Leben gerettet“, sagt er. „Ich weiß, was dieser Sport bewirken kann.“
Nach dem Einmarsch der Sowjet-Truppen Anfang der 1980er Jahre war Lali 1981 über den Iran nach Deutschland geflohen und hatte viele Jahre in Paderborn gelebt. Dort machte er alle Lizenzen, um selbst Trainer ausbilden zu können. Als erster ehemaliger Nationalspieler ging er zurück in sein zerstörtes Heimatland und begann 2003 gemeinsam mit Klaus Stärk, Trainer der afghanischen Nationalmannschaft, und Holger Obermann, Ex-Profifußballer und ARD-Sportmoderator, den Fußball in Afghanistan wieder aufzubauen.
Als Vertreterinnen des afghanischen Frauenministeriums anregten, die Fußballtrainings auch den Mädchen zugänglich zu machen, wurde „schnell klar, dass das eine große Herausforderung ist, aber auch, dass der Sport den Mädchen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen könnte. 2004 wurde dann die Frauenabteilung innerhalb des Fußball-Verbandes gegründet“, erzählt Ali Lali.
„Zuerst haben wir die Schulen mit Fußballmaterialien unterstützt, dann Mannschaften gebildet und Turniere organisiert“, erinnert er sich. Es war nicht einfach, Sportlehrerinnen und Mädchen für die Trainings zu gewinnen. Viele Eltern hatten große Vorbehalte, viele Lehrerinnen und Mädchen Angst vor Repressalien.
Andere Mädchen, wie Shamila Kohestani hatten schon lange auf die Gelegenheit gewartet. Die Politik-Studentin wurde als eines von acht Kindern in eine angesehene Familie im Nordwesten Afghanistans geboren. 1996 übernahmen die Taliban die Herrschaft im Land. Shamilas Familie flüchtete in eine kleine Wohnung nach Kabul. Dort ging der Terror weiter: „Die Taliban haben Frauen nicht wie Menschen behandelt, sondern wie Hunde“, sagt die 22-Jährige.
Shamila durfte nicht mehr zur Schule gehen. Heimlich unterrichten ihre älteren Schwestern die jüngere zu Hause. Das änderte sich erst Ende 2001, als die alliierten Truppen die Taliban-Regierung stürzten. Jetzt konnten die Mädchen wieder zur Schule gehen und Shamila begann mit dem Fußball: „Die Leute haben mich damals Hure genannt und mir vorgeworfen, dass ich zu amerikanisch sei. Sie haben auf dem Spielfeld Steine auf mich geworfen. Aber das konnte mich nicht abhalten.“
2008 war es dann soweit: Gemeinsam mit 17 weiteren Spielerinnen der neuen Fußballnationalmannschaft der Frauen reiste Shamila Kohestani für ein Trainingslager nach Deutschland. Zwei Wochen verbrachten die Athletinnen gemeinsam mit ihren Trainern Lali und Stärk in Stuttgart und spielten gegen Teams aus der Umgebung. Ein Jahr später folgte ein zweites Trainingslager in Berlin. Shamila Kohestani avancierte zur besten Spielerin der afghanischen Mannschaft.
Auch Birgit Prinz kam nach Afghanistan
Auch Birgit Prinz kam nach Afghanistan. Als Schirmherrin des DFB-Projekts „Learn and Play“ hielt die Weltfußballerin Vorträge an einer Schule und gab ihren afghanischen Kolleginnen und jungen Nachwuchsspielerinnen Trainingseinheiten. „Die strahlenden Augen der Mädchen werde ich so schnell nicht vergessen“, sagt Prinz.
Der afghanische Fußball zählt rund 600 begeisterte Spielerinnen. Viele der Mädchen haben durch den Fußball gezeigt, was sie können: Shamila Kohestani und Hadisa Wali bekamen Stipendien, um in den USA zu studieren. Die Spielerinnen Khalida Popalzai, Palwasha Dawood und Ghafoora Qayam arbeiten beim Fußballverband. Ihre Team-Kolleginnen Zahra Mahmoodi und Sajia Sahar Farid studieren Sport. „Sie sind Vorreiterinnen einer Bewegung, um für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Sie wollen selbst bestimmen, ob sie Sport treiben wollen oder nicht“, sagt Lali.
Der Frauenfußball-Förderer hatte es nicht immer leicht. Per SMS bekam er Morddrohungen, die er zunächst nicht ernst nahm. „Doch seit 2005 verschlechterte sich die Lage in Afghanistan. Die Taliban wurden wieder stärker und als ich 2008 holländischen Journalisten helfen wollte, über den Frauenfußball zu berichten, bekam ich eine schriftliche Drohung aus dem Ausland, dass man meine Familie umbringen werde“, erinnert er sich. Seitdem lebt Lali mit seiner Frau und den beiden Kindern wieder in Deutschland. Drei bis vier Mal im Jahr reist er nach Afghanistan – und macht weiter.
Per SMS bekam er Mord- drohungen
Inzwischen gibt es 18 Frauenteams in Kabul, die sich Jahr für Jahr bei Turnieren messen und gegeneinander antreten, sowie drei ausgebildete Schiedsrichterinnen und mehrere Trainerinnen. „Eine geregelte Liga existiert aber leider noch nicht“, bedauert Lali. Und: „Es kann auch nur in Kabul gespielt werden.“ Außerhalb der afghanischen Hauptstadt wäre Fußball viel zu gefährlich. „Frauen können immer noch nicht in der Öffentlichkeit trainieren oder spielen, sondern müssen auch in Kabul dafür auf das Militärgelände gehen, wo sie geschützt sind“, berichtet Ali Lali.
Seit Shamila Kohestani in den USA lebt, spielt sie nicht mehr für Afghanistan. Sie trainiert im Team ihrer Universität und will ihre Zeit vor allem zum Lernen nutzen – damit sie sich einsetzen kann für die Rechte von Frauen weltweit. Und damit die afghanischen Spielerinnen ihre Fußballschuhe nicht mehr vor den Nachbarn verstecken müssen.