Es kann nur besser werden!

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Helga Ebel schickte die verängstigte Patientin gleich weiter nach Holland. Einen "mandarinengroßen Tumor" hatte der deutsche Radiologe in ihrer Brust festgestellt. Weil die Aachener Krebsberaterin um die "miserable Qualität" der deutschen Mammografien weiß, verwies sie die Frau lieber an einen holländischen Kollegen. Der stellte fest: Diagnose negativ. Der mandarinengroße Knoten entpuppte sich als Fingerabdruck des Radiologen auf der Röntgenplatte.

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Dieser Vorfall ist kein Einzelfall. "Die holländischen Radiologen sind entsetzt", berichtet Helga Ebel. "Die sagen uns, sie hätten noch kein Röntgenbild aus Deutschland in der Hand gehabt, das sie gebrauchen konnten." Fazit: "Das sind unhaltbare Zustände, was die hier mit den Frauen machen!"

Der Protest deutscher Frauen gegen solche Zustände und für eine bessere Brustkrebs-Früherkennung war schließlich nicht mehr zu überhören. "Ihr müsst uns jetzt Gesetze geben, damit wir Brustkrebs überleben!", hatten über 1.000 Frauen im letzten "Rosa Oktober" skandiert, als sie auf der zweiten deutschen Anti-Brustkrebs-Demo trommelnd durchs Brandenburger Tor marschierten.

Der Ruf der deutschen Anti-Brustkrebs-Bewegung, die sich Mitte der 90er Jahre - angeregt von der Veröffentlichung des ersten Anti-Brustkrebs-Dossiers von EMMA im September/Oktober 1996 - formiert hatte, ist inzwischen zu einer breiten und lauten Front angewachsen.

Mit Konsequenzen: Ende März beschloss der Gesundheitsausschuss im Bundestag parteiübergreifend von CDU bis PDS: Entweder Ärzte und Krankenkassen verbessern die Brustkrebs-Früherkennung, indem sie bis 2003 die Voraussetzungen für ein qualitätsgesichertes Mammografie-Programm schaffen - oder sie werden per Gesetz dazu gezwungen.

Jedes Jahr sterben 18.000 Frauen an Brustkrebs.

Es war schon anno 1996, als der für die Früherkennung zuständige "Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen" beschloss, die Möglichkeit eines Mammografie-Screenings als gesetzliches Früherkennungsprogramm "zu prüfen". Sechs Jahre ist das jetzt her - und 108.000 tote Frauen. Jedes Jahr sterben 18.000 Frauen an Brustkrebs - das sind 50 am Tag. Und 46.000 Frauen erkranken jährlich neu, Tendenz steigend.

Brustkrebs ist für Frauen die häufigste Todesursache, jede zehnte erkrankt im Laufe ihres Lebens daran. "Wir haben für weitere Debatten keine Zeit!", klagt deshalb Helga Kühn-Mengel, SPD-Gesundheitsexpertin und eine der Mütter des Mammografie-Gesetzes.

Jetzt wird nicht mehr "geprüft", sondern geklotzt: Das von (fast) allen deutschen Brustkrebs-Initiativen seit Jahren geforderte so genannte Screening soll auch in Deutschland eingeführt werden. Das heißt: Wahrscheinlich schon im nächsten Jahr werden im Rahmen des Programms alle Frauen zwischen 50 und 70 Jahren alle zwei Jahre per Brief aufgefordert, ihre Brust röntgen, also mammografieren zu lassen, damit Tumore so früh wie möglich erkannt werden können.

Denn sicher ist: Je früher eine bösartige Krebsgeschwulst erkannt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau den Krebs überlebt - und vielleicht sogar "brusterhaltend" operiert werden kann.

Die Kosten für diese präventive Mammografie müssten dann die Krankenkassen übernehmen. Bisher tun sie das nur, wenn die Frauenärztin einen konkreten Verdacht auf Brustkrebs hat. "Das ist endlich der Durchbruch in der Behandlung und Früherkennung von Brustkrebs", jubelt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt - und wundert sich, dass nicht nur zurückgejubelt wird. Denn es tauchen Bedenken gegen das flächendeckende systematische Mammografieren aller Frauen über 50 auf.

Gleich nachdem die SPD-Ministerin Anfang letzten Jahres ihre grüne Vorgängerin Fischer abgelöst hatte, hatte Ulla Schmidt den Brustkrebs zur Chefinnensache erklärt. Mit gutem Grund: Immerhin hatten stocksaure Frauen der auch in Sachen Brustkrebs eher zögerlichen Ministerin Fischer 32.000 Protestbriefe auf den Schreibtisch gekippt und darin eine Verbesserung der Früherkennung inklusive Mammografie-Screening nach Europäischen Leitlinien gefordert. Unterstützt wurden sie dabei von immer mehr Fachverbänden wie der "Deutschen Krebsgesellschaft" oder der "Deutschen Gesellschaft für Onkologie".

Diese Europäischen Leitlinien, nach denen viele unserer Nachbarländer schon arbeiten, sehen unter anderem vor: Mammografien dürfen nur von speziell ausgebildeten so genannten "zertifizierten" RadiologInnen durchgeführt und begutachtet werden. Das scheint dringend geboten, denn Gerätschaften und Ausbildung der deutschen Radiologen sind qualitativ nicht ausreichend.

Die Folge: Massenhaft Falschbefunde, also viele unentdeckte Tumore einerseits und 100.000 (!) überflüssige Operationen jährlich allein in Deutschland andererseits. Auch der erste deutsche Frauen-Gesundheits-Bericht, den die Bundesregierung im Sommer 2001 veröffentlichte, stellte angesichts dieser unzumutbaren Zustände besorgt fest: Für eine effektive Früherkennung bedürfe es dringend "kontinuierlicher Qualitätssicherungsmaßnahmen, die sowohl die technische Qualität wie die fachliche Kompetenz sicherstellen".

Jedes Röntgenbild muss von zwei unabhängigen Radiologen begutachtet werden.

Deshalb sollen laut Leitlinien nur ÄrztInnen, die mindestens 5.000 Mammografien im Jahr begutachten, am Programm teilnehmen dürfen, jedes Röntgenbild muss von zwei unabhängigen Radiologen begutachtet werden. Wäre diese Regelung früher in Kraft gewesen, hätte es zum Beispiel den Skandal um den Essener Arzt, der Dutzenden gesunden Frauen die Brust amputierte, nie gegeben. Auch die Röntgengeräte müssen auf dem neuesten technischen Stand und zertifiziert sein, also durch eine Art medizinischen TÜV gehen.

Wenn die Radiologen den Zeitplan aus Berlin einhalten, können und sollen sich die Patientinnen ab 2003 vor der Mammografie zwei Zertifikate zeigen lassen: eins für den Radiologen und eins für sein Röntgengerät. Gesundheitsministerin Schmidt kündigt an, dass die Mammografien dann "natürlich nicht mehr in jeder Praxis erfolgen. Wir brauchen dafür spezialisierte Einrichtungen".

SPD-Gesundheitsexpertin Helga Kühn-Mengel formuliert es drastischer: "Wer das nicht mitmacht, fliegt raus!"

Und: Nur Kliniken, die mindestens 150 Brustkrebs-OPs im Jahr durchführen, sollen am Programm teilnehmen dürfen. Bisher, so eine Studie der AOK, werden 70 Prozent der Frauen in Krankenhäusern operiert, die nur zehn Operationen jährlich durchführen. Mit all diesen Maßnahmen soll, so die Erfahrungen der Nachbarländer, die Sterblichkeit um ein Zehntel bis ein Drittel gesenkt - mit anderen Worten: Bis zu 3.500 Frauen jährlich könnten gerettet werden. Hört sich alles sehr vernünftig an - wird aber dennoch plötzlich gleich von mehreren Seiten als "durchaus fragwürdig" kritisiert. Warum?

Das gesamte Procedere ist ein totaler Systembruch.

Dass so mancher Radiologe über den Marschbefehl aus der Hauptstadt nicht begeistert ist, liegt auf der Hand. Denn erstens fallen damit eine ganze Reihe nicht ausreichend qualifizierter Röntgenärzte durch die Maschen der neuen Leitlinien und verlieren ihre Einnahmequellen. Zweitens ist das gesamte Procedere ein totaler Systembruch, der die Ärzetlobby schwer irritiert.

In Deutschland herrscht im Gesundheitswesen die so genannte Selbstverwaltung, das heißt: Gesetzgeber und Gesundheitsministerien dürfen Ärzten und Krankenkassen in Sachen Behandlungsmethoden eigentlich gar keine Vorschriften machen.

Eigentlich. Dass in diesem Fall eine Ausnahme gemacht und ihnen die gesetzliche Pistole auf die Brust gesetzt wurde, zeigt, dass das Problem Brustkrebs, dieser "Femizid", mittlerweile auch für Regierung wie Opposition eine Dringlichkeitsstufe hat, von der die Anti-Brustkrebs-Initiativen noch vor drei Jahren nicht zu träumen wagten. "So etwas", stellt Gerd Schumacher vom Berufsverband Deutscher Radiologen denn auch verblüfft fest, "hat es noch nie gegeben."

Es könnten also bei den deutschen Anti-Brustkrebs-Initiativen eigentlich die Sektgläser klingen. Aber: Dort gab es schon immer eine Fraktion, die zwar auch für eine Verbesserung der Früherkennung kämpfte, die jedoch die Mammografie schon immer als "zu großes Gesundheitsrisiko" abgelehnt hat. So wandte sich der feministische "Dachverband der Frauengesundheitszentren in Deutschland" schon seit Jahren gegen das Screening. Auch im Anti-Brustkrebs-Monat Oktober 2001 lautete ihr Argument:

"Röntgenstrahlen haben auch in kleinsten Dosen eine zellschädigende Wirkung. Das wird von der Wissenschaft nicht bestritten. Tatsache ist, dass Strahlenmengen sich summieren und erst nach Jahrzehnten Krebs verursachen können." Deshalb plädierte der Dachverband der feministischen Frauengesundheitszentren zwar für eine Verbesserung des technischen Standards der Mammografien, lehnt aber die Reihenuntersuchung ab und plädiert für die Selbstuntersuchung als Methode zur Früherkennung.

Auch der "Arbeitskreis Frauengesundheit", ein interdisziplinärer Fachverband, in dem sich Ärztinnen, Therapeutinnen, Psychologinnen und Hebammen zusammengeschlossen haben, setzte sich "gegen die Einführung eines bundesweiten Mammografie-Screenings ein, solange die Vorteile nicht bewiesen und eher Nachteile für die Frauen zu befürchten sind".

Die Ergebnisse aus den drei deutschen Screening-Modellversuchen in den Regionen Weser-Ems, Main-Taunus und Bremen, die Aufschluss über Vor- und Nachteile geben werden, liegen erst im nächsten Jahr vor. Aber eine Studie aus Dänemark, die just im letzten Oktober veröffentlicht wurde, scheint den Kritikerinnen Recht zu geben.

Die Epidemiologen Ole Olsen und Peter Goetzsche nahmen sieben Studien über Mammografie-Screenings unter die Lupe, die den Programmen allesamt bescheinigten, sie hätten die Sterblichkeit der brustkrebserkrankten Frauen um 20 bis 30 Prozent gesenkt. Doch die dänischen Forscher bezweifelten diese Behauptung.

Fünf der sieben Studien seien von schlechter Qualität und hielten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, argumentierten sie. Nur zwei seien von mittelmäßiger Qualität - und genau die zeigten, dass die Sterblichkeit durch das Screening eben nicht sinke. Denn beim Mammografieren würden meist ausgerechnet die Tumore entdeckt, die ohnehin am harmlosesten seien, dafür aber die wirklich gefährlichen häufig übersehen.

Fazit: Wenn der quantitativ hohe Erfolg durch das Screening nicht gesichert sei, sei es unverantwortlich, die Frauen massenhaft dem Strahlenrisiko durchs Mammografieren auszusetzen - und damit möglicherweise Brustkrebs überhaupt erst auszulösen.

Hinter der Mammografie für Frauen stecken enorme ökonomische Interessen.

"Mammografie am Ende?" lautete prompt das deutsche Echo in den Medien. Ein heftiger öffentlicher Streit um Vor- und Nachteile des Mammografie-Screenings brach aus. Der von Laien nur schwer zu durchschauen ist.

Und das nicht nur, weil den Laien - und potentiellen Opfern - das Fachwissen fehlt, sondern auch, weil hinter dem Pro & Contra der Entprivatisierung und staatlichen Förderung einer Reihen-Mammografie für Frauen über 50 enorme ökonomische Interessen stecken.

Einerseits hat die traditionelle Schulmedizin nicht nur in Deutschland bisher der Frauenkrankheit Nr. 1 keine angemessene Aufmerksamkeit entgegengebracht. (Wäre der Hodenkrebs so tödlich, hätte das schon anders ausgesehen.) Auch in Amerika und den europäischen Nachbarländern, wo der Kampf gegen den Brustkrebs schon weiter ist, sind die Initiativen immer von den Frauen selbst ausgegangen.

Andererseits sind es jetzt ausgerechnet die der männerdominierten Schulmedizin kritisch gegenüber stehenden feministischen Frauengesundheitsinitiativen, die vor der von Frauen geforderten Reihen-Mammografie warnen. Was wiederum die Art von Radiologen freut, mit denen die Feministinnen eigentlich nicht paktieren. Kompliziert, kompliziert.

Auch die Wissenschaft ist zerstritten. "Auf sechs durch Mammografie entdeckte Knoten kommt ein durch die Strahlung verursachter Brustkrebs", hat die "Gesellschaft für Strahlenschutz" berechnet und rät rigoros vom Screening ab. Die "Strahlenschutzkommission" konstatiert dagegen, dass "eine signifikante Erhöhung des Brustkrebsrisikos durch Strahlenexposition für Frauen im Alter von 50 Jahren und darüber bisher in keiner Studie aufgezeigt werden konnte", und rät dringend zu.

Hauptargument der BefürworterInnen eines Mammografie-Screenings: Mammografiert werde in Deutschland sowieso schon massenhaft - und gefährlich. Vier bis fünf Millionen so genannte "graue" Mammografien werden in Deutschland pro Jahr gemacht. Mit Einführung des Screening-Programms würde sich diese Zahl nicht wesentlich erhöhen, aber: Die Röntgen-Untersuchungen würden nicht mehr von schlechten Ärzten mit schlechten Geräten und auch nicht mehr, wie bisher gang und gäbe, an jungen Frauen durchgeführt.

"Zur Zeit wird ja schon bei Frauen ab 30 mammografiert, und das mit veralteten Geräten", empört sich Dr. Angela Spelsberg, Leiterin des Aachener Tumorzentrums und Screening-Pionierin. "Das ist doch Wahnsinn. Und der würde durch ein Screening-Programm gestoppt." (siehe auch Pro & Contra S. 30) Gleich mehrmals steht das Thema Screening auf der Tagesordnung der "Weltkonferenz gegen Brustkrebs", bei der Anfang Juni ExpertInnen im kanadischen Victoria zusammenkommen.

Der Kampf um das Mammografie-Programm hat eine bitter nötige Debatte ausgelöst.

Konsens herrscht nur in einem Punkt: Der ganze Kampf um das Mammografie-Programm hat die bitter nötige Debatte um die Qualität der gesamten Brustkrebs-Früherkennung und -Behandlung ausgelöst. Deutschland wird, so oder so, nicht länger Entwicklungsland in der Brustkrebs-Früherkennung bleiben.

Vor allem dank der Fraueninitiativen und einer zur Tat entschlossenen Gesundheitsministerin. "Diese ganzen Qualitätskriterien - Ärzteausbildung, Doppelbefundung, technischer Standard - das wird doch überhaupt erst seit der Screening-Debatte diskutiert", triumphiert Monika Butterbrod, Pionierin der Berliner "Brustkrebs Initiative". Ihr Fazit: "Es kann also nur besser werden."

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