Buchmesse: Donne come autori

Chiara Valerio, Giulia Caminito und Dacia Maraini - drei von vielen spannenden Autorinnen auf der Buchmesse.
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Dacia Maraini - FOTO: Mauro Raffini
Dacia Maraini - FOTO: Mauro Raffini
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DACIA MARAINI
geboren 1936 in Fiesole, ist eine der bedeutendsten und mutigsten Stimmen Italiens und wird seit Jahren als Nobelpreiskandidatin gehandelt. Als Autorin von Romanen, Lyrik, Theaterstücken, Sachbüchern, Essays hat sie sich intensiv der Situation von Frauen in verschiedenen historischen und sozialen Kontexten gewidmet und sich in Italien als erste Schriftstellerin mit Themen wie sexueller Gewalt, Prostitution und lesbischer Liebe aus feministischer Sicht beschäftigt. Die Tochter eines Anthropologen und einer sizilianischen Künstlerin, die den Faschismus ablehnten, verbrachte ihre Kindheit in Japan, wo die Familie von 1943 bis 1946 in einem Internierungslager inhaftiert war, und auf Sizilien. Ihren ersten Roman, „Tage im August“, veröffentlichte Dacia Maraini mit 26 Jahren. Berühmt wurde sie mit dem auf einer wahren Begebenheit basierenden Roman: „Die stumme Herzogin“. Die war nach dem Missbrauch im Alter von sechs Jahren durch ihren Onkel verstummt. Mit 13 wurde sie mit diesem Onkel zwangsverheiratet. Die aktive Feministin Maraini wurde mit vielen wichtigen Preisen geehrt. Der Schriftsteller Alberto Moravia war einige Jahre ihr Lebensgefährte. Bei der Buchmesse in Frankfurt ist Dacia Maraini Ehrengast. - Dacia Maraini: Tage im August (25 €). Trio (20 €). Ü: Ingrid Ickler (beide Folio)

Chiara Valerio Foto: Laura Sciacovelli
Chiara Valerio Foto: Laura Sciacovelli

CHIARA VALERIO
ist eine der vielseitigsten Figuren der italienischen Literaturszene. Die Schriftstellerin geht nicht nur virtuos mit Worten und Gedanken um, sondern auch mit Zahlen. Die 46-Jährige ist Mathematikerin und hat im Bereich Wahrscheinlichkeitsrechnung promoviert. Da verwundert es nicht, dass in einigen ihrer Bücher Zahlen eine prominente Rolle spielen. Sie arbeitet als Radiomoderatorin, Übersetzerin, schreibt regelmäßig für Vanity Fair und die linksliberale Tageszeitung La Repubblica. Sie war eine enge Freundin und Mitstreiterin der 2022 verstorbenen Feministin und Schriftstellerin Michela Murgia. Chiara Valerios jüngster Roman „Qui dice e qui tace“ (Hier redet er und hier schweigt er) ist ein Buch von seltener Intensität und erzählerischer Klugheit und handelt von einem Mord und der Liebe zwischen zwei Frauen in einer patriarchalischen Dorfgemeinschaft. In ihrem neuen Roman wacht der Griechisch-Professor Andrea eines Tages ohne Herz auf. Chiara Valerio ist bei der Buchmesse in Frankfurt Ehrengast. - Chiara Valerio: Kein Herz, nirgends. Ü: Christiane Burkhardt (Nonsolo, 22 €)

 

Giulia Caminito Foto: Paola Locatelli
Giulia Caminito Foto: Paola Locatelli

GIULIA CAMINITO
wurde 1988 geboren und hat politische Philosophie in Rom studiert, wo sie auch als Lektorin lebt. Seit ihrem 2021 erschienenen Roman „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ gilt sie als Sprachrohr von Italiens jungen Frauen und im Ausland als die wichtigste neue Stimme des Landes. Im Mittelpunkt des Romans, der um die Jahrtausendwende spielt, steht eine zornige junge Frau, die in einem Vorort Roms in prekären Verhältnissen aufwächst. Es geht um die Wechselbeziehung zwischen Stadt und Provinz, um Wohnprobleme, um ein veraltetes Bildungs- und Schulsystem und eine Gesellschaft, in der man als junger Mensch trotz Fleiß und Durchhaltewillen einfach nicht vom Fleck kommt. Giulia Caminito wurde mit mehreren wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet und ist im Vorstand der Società Italiana delle Letterate, einem Zusammenschluss von Schriftstellerinnen. Sie engagiert sich gegen den Sexismus in der italienischen Sprache und hat bisher drei Romane geschrieben, die alle auf Deutsch bei Wagenbach erschienen sind. Bei der Buchmesse in Frankfurt ist Giulia Caminito Ehrengast. - Giulia Caminito: Das Wasser des Sees ist niemals süß (16 €). Das große A.
Ü: Barbara Kleiner (24 €, beide Wagenbach) 

Veronica Raimo Foto: Allesandro Imbriaco
Veronica Raimo Foto: Allesandro Imbriaco

VERONICA RAIMO
war in Italien schon als Autorin von Kurzgeschichten und Essays über Literatur, Musik und Film bekannt, als sie 2022 mit ihrem Coming-of-Age-Roman „Nichts davon ist wahr“ zu einer der bekanntesten Autorinnen Italiens wurde. Das Buch gewann den Strega-Giovani-Preis, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und stand in diesem Jahr auf der Long List des International Booker Prize. Gerade wird der Roman verfilmt. Es geht es um eine zerrüttete Familie, deren Alltag aus der Sicht der heranwachsenden Tochter erzählt wird. Sie versucht, sich in den Ungereimtheiten der sie umgebenden Welt zurechtzufinden und lässt keine Details aus. Doch je weiter die Lektüre fortschreitet, desto mehr entpuppt sich die Protagonistin als überraschende Erzählerin, die mit ihrem Leser ein brillantes Spiel treibt, das immer wieder neue Horizonte eröffnet. Veronica Raimo hat einmal gesagt, sie sei Schriftstellerin geworden, weil sie sich „so oft langweile“. Ihr Studium schloss sie mit einer Arbeit über das Kino im geteilten Deutschland ab und wohnte eine Weile in Berlin. Jetzt lebt sie wieder in Rom, wo sie 1978 geboren wurde. - Veronica Raimo: Nichts davon ist wahr. Ü: Verena von Koskull (Klett-Cotta, 22 €). Eines Tages alles dir. Erzählungen. Ü: Suse Vetterlein (Launenweber, 14.80 €). 

Francesca Melandri Foto: Horst Galuschka/Imago Images
Francesca Melandri Foto: Horst Galuschka/Imago Images

FRANCESCA MELANDRI
hat einmal gesagt, sie sehe ihre Aufgabe als Schriftstellerin darin, darauf zu achten, was in der Politik und der Gesellschaft verschwiegen wird, um dieses Schweigen dann zu brechen. Das Schreiben der heute 60-Jährigen, die sich in Italien zunächst als Autorin von Drehbüchern für Kino- und Fernsehfilme einen Namen gemacht hatte, folgt tatsächlich diesem Credo. Was sie erzählt, berührt empfindliche Punkte aus Italiens jüngerer Geschichte. Dabei stehen immer starke Frauenfiguren und deren Suche nach der Wahrheit über ihre Väter im Mittelpunkt. Melandris erster Roman „Eva schläft“ handelt von der Italienisierung Südtirols. Ihr zweiter, „Über Meereshöhe“, spielt 1979 während Italiens sogenannten bleiernen Jahre. Ihr dritter Roman „Alle, außer mir“ erzählt eine schier unglaubliche Familiengeschichte über drei Generationen, mit der Melandri die bisher verdrängte italienische Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts in die Literatur geholt hat. Das Buch stand auch in Deutschland wochenlang auf der Bestsellerliste. Für ihren neuen Roman hat Melandri ihren eigenen Vater nach seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg gefragt. Damals hat er in der Ukraine gekämpft. Was hat er dort erlebt? Und: Was richtet Krieg gestern wie heute in den Körpern und Köpfen an? Bei der Buchmesse in Frankfurt ist Francesca Melandri Ehrengast. - Francesca Melandri: Kalte Füße (24 €). Alle, außer mir (26 €). Beide Ü: Esther Hansen. Über Meereshöhe. Ü: Bruno Genzler (14 €, alle Wagenbach).

NOCH MEHR BÜCHER AUS ITALIEN

FÜGSAM ODER REBELLISCH?
Sizilien, 1960. Als Mädchen darf Olivia mit ihrer Steinschleuder auf Jungs zielen. Doch als sie älter wird, erklärt die Mutter: Frauen sind wie eine Vase – wer sie zerbricht, nimmt sie. Was das heißt, erfährt Olivia bald am eigenen Leib. Als sie ihren Vergewaltiger heiraten soll, muss sie sich entscheiden: Fügsamkeit oder Rebellion gegen die Gesetze des Patriachats.
Viola Ardone: Was wissen sie vom Freisein, Ü: Esther Hansen (C. Bertelsmann, 24 €)

WO IST CRISTI?
Die unheilbar kranke Giulia kehrt noch einmal in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Die verbrachte sie mit ihrer eigenwilligen Freundin Cristi, die zu ihrer großen Liebe wird. Doch Cristi fühlt sich auch zum Jungen Mattia hingezogen. Eines Tages verschwindet Cristi und Giulia lässt ihre tragische Geschichte noch einmal Revue passieren.
Giulia Baldelli: Das Schweigen meiner Freundin, Ü: Elisa Harnischmacher (Dumont, 25 €)

DOLORES MUSS WEG!
Die 1892 in Rom in eine Patrizierfamilie geborene Dolores Prato war als uneheliches Kind eine Schande. Ihre Mutter gab sie zu Verwandten nach Treja, eine Kleinstadt in Mittelitalien. Pratos Erinnerungen an ihre Kindheit erschienen erst 1980 und galten als Meisterwerk. Das „literarische Monument einer ganzen Epoche“ (Le Monde) jetzt erstmals auf Deutsch.
Dolores Prato: Unten auf der Piazza ist niemand, Ü: Anna Leube (Hanser, 38 €)

IST SILVIA SCHULDIG?
Eines Morgens geht Grundschullehrerin Silvia nicht in ihre Klasse, sondern in den Wald. Während nach ihr gesucht wird, stellt sich Silvia in der Natur ihren Schuldgefühlen: Eine elfjährige Schülerin hat sich im Bach ertränkt. Hätte sie mehr für das Mädchen tun müssen? Schließlich entdeckt ein Junge die Lehrerin – doch
die will gar nicht gefunden werden.
Maddalena Vaglio Tanet: In den Wald, Ü: Annette Kopetzki (Suhrkamp, 24 €)

VON RIGA NACH ROM
Als Marina zehn Jahre ist, trennen sich ihre Eltern und die Tochter muss aus Riga, der Heimatstadt des Vaters, zu den Großeltern nach Italien ziehen. Dort regiert 1935 Mussolini. Marina Jarre, Tochter eines lettisch-russisch-jüdischen Vaters und einer italienischen Mutter erzählt in ihrem Roman ihre eigene Geschichte und die von Italien während des Faschismus.
Marina Jarre: Weit entfernte Väter, Ü: Verena von Koskull (Hanser, 24 €)

FLUCHT AUS SOMALIA
Rom, 1990. Auf dem Weg zur Silvesterparty hört eine junge Somalierin, dass in ihrem Heimatland ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Eine Generation später ist ihre Familie in alle Welt zerstreut. Igiaba Scego, 1974 in Rom geboren, hat für ihren autofiktionalen Familienroman eine besondere Form gewählt: Die Autorin schreibt einen Brief an ihre Nichte in Kanada.
Igiaba Scego: Kassandra in Mogadischu, Ü: Verena von Koskull (Fischer, 26 €)

 

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