Burka-Verbot: Anderorts normal

My Stealthy Freedom: Iranerinnen legen demonstrativ den Schleier ab.
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Und sieh an: Es ist kein Problem. All die Apokalyptiker, die wegen des Burkaverbots das Ende des Tessiner Tourismus herbeiorakelt hatten, bekommen, zumindest einer ersten Bilanz zufolge, nicht recht. Genauer gesagt: verboten im Tessin ist die Vollverschleierung inklusive Gesicht, wie bei der Burka oder dem Niqab. Die vollverschleierten Frauen reisen weiterhin an, mit ihren arabischen Familien, und sie legen jetzt meist ganz selbstverständlich den Gesichtsschleier ab. 

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Geschlechter-
apartheid ist so unerträglich wie Rassen-
apartheid

Vielleicht tun sie das sogar gern und denken zu Hause daran zurück, an das winzige Stück Freiheit, das man ihnen dort zugestanden hat, im Süden dieses kleinen Landes mitten in Europa. Sie denken zurück an die Luft und die Sonne, die sie auf der Haut spürten. Vielleicht macht es sie glücklich. 

Vielleicht macht es sie auch wehmütig, weil sie erkannten, wie es ist, die Welt nicht nur durch Schlitze erfahren zu dürfen. Wie es ist, als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht als gesichtsloses Wesen. Wie es ist, als Persönlichkeit erkennbar zu sein und nicht nur als anonyme Statistin der Großgattung Frau. Und vielleicht weckt just das den rebellischen Geist, macht manchen Frauen Mut, bestärkt sie darin, sich aufzulehnen. 

Denn all die arabischen Touristinnen sind Mündel, sie haben alle einen männ­lichen Vormund, meist ist das ihr Ehemann. Von diesem brauchen sie für nahezu alles eine Erlaubnis, schon nur dafür, das Haus verlassen zu dürfen. Oder arbeiten zu gehen. Oder zu reisen. 

Der Bewegungsradius von Saudi-Araberinnen ist eingeschränkt, die Gestaltung ihres Lebens nicht frei wählbar, sie sind ­moderne Leibeigene. Die Burka ist deshalb weit mehr als ein Stück Tuch: Sie ist Politik. 

Statt die Tessiner für ihr im Juli erlassenes Burka-Verbot reflexartig als intolerant oder gar rassistisch zu bezeichnen, sollte man ihnen zu ihrer Beherztheit und ihrem Mut gratulieren. Man könnte sie sogar als Avantgarde bezeichnen. Und noch weiterdenken, wie es wäre, wenn sich ganz Europa dem Tessin anschließen würde, ja, wenn sämt­liche westlichen Länder dies täten. Wenn deren Regierungen allesamt höflich, aber ­bestimmt den arabischen TouristInnen und Einwohnern mitteilten: Wir tolerieren nicht länger, dass Frauen entpersönlicht werden. Wir tolerieren nicht länger, dass sie als ­unkenntliche, schwarze Gespenster durch unsere Straßen huschen müssen. Weil dahinter eine Haltung steht, die mit unseren Werten nicht zu vereinbaren ist.

Aber wir sind zu feige, solche Länder zu boykottieren

Die westliche Welt würde damit signa­lisieren: Wir empfinden eure Geschlechterapartheid als genauso unerträglich wie einst die Rassenapartheid in Südafrika. Wir ächten sie, weil sie allem widerspricht, woran wir glauben, was wir für richtig halten, und was wir unter den Menschenrechten verstehen. 

Wir sind zwar zu feige, euch deswegen so zu boykottieren, wie wir das mit Südafrika taten. Und wir können euch nicht vorschreiben, wie ihr in eurem Land mit den Frauen umzugehen habt. Aber wir können euch untersagen, diesen Umgang bei uns zu praktizieren. 

Es wäre ein bedeutendes Signal. Ein Signal der Menschlichkeit. Und ein Signal der Solidarität – an alle Frauen. 

Bettina Weber - Die Autorin leitet das Ressort Gesellschaft des Schweizer Tages-Anzeiger.

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