Silverstein über Frauenmangel in Cannes

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Melissa, in diesem Jahr ist in Cannes nur eine einzige Regisseurin nominiert. Was hast du als erstes gedacht, als du das gelesen hast?

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Melissa Silverstein: Natürlich ist das problematisch. Wir reden hier ja über eines der größten Filmfestivals der Welt. Es gibt einige Regisseurinnen in der Sektion „Un certain regard“ (Ein gewisser Blick). Allen voran Sofia Coppola, die den Bereich mit „The Bling Ring“ eröffnet. Frauen schaffen es also in die zweite Reihe. Aber nicht in die erste.

Letztes Jahr war gar keine Frau nominiert...

Ja, und die Situation hat sich nicht besonders verändert. Weil es ja auch wenig Anstöße zur Veränderung gibt. Niemand macht Druck. Die US-Studios machen tonnenweise Geld damit, dass sie ihre Filme auf der ganzen Welt vorführen – aber diese Filme werden so gut wie nie von Regisseurinnen gedreht. Es liegt nicht nur in der Verantwortung von Cannes, dass sich das ändert.

Was kann man tun?

Wir brauchen da eine Debatte innerhalb der gesamten Filmindustrie. Kein Festival kann es sich heute noch leisten, sich mit dem Argument ‚Es gibt eben einfach keine qualifizierten Frauen im Filmgeschäft’ aus der Affäre zu ziehen. Wer das ernsthaft behauptet, der guckt nicht hin. Oder zeigt nur das, woran er gewöhnt ist. Nicht das, was gerade tatsächlich gedreht wird.

Das heißt?

Frauen und Männer machen unterschiedliche Filme. Nicht besser oder schlechter, sondern einfach unterschiedlich. Jede Frau und jeder Mann bringt ihre und seine persönlichen Erfahrungen in einen Film ein. Nur, weil wir an den männlichen Blick auf die Welt gewöhnt sind, heißt das noch lange nicht, dass Filme von Frauen es nicht wert sind, gezeigt zu werden. Mein Vorschlag: Stellt unterschiedliche, vielfältige Menschen ein, die Filme auswählen. Mit einem breiten Blickwinkel. Und der Bereitschaft, sich auch mal auf Themen einzulassen, die Unbehagen auslösen. Denn genau das tun Filme oft, die von Frauen und Familien handeln. Und den schmutzigen Themen des Lebens.

Welche Filme von Frauen hättest du nominiert?

Hier kommen wir zum nächsten Problem. Es gibt eine solche Liste ja nicht, und es kann auch niemand einen Film nominieren. Leute reichen Filme für Cannes ein, aber ausgewählt werden sie von dem Festivalleiter Thierry Fremaux, der Filme aussucht, die er selbst gerne sieht. Und offensichtlich sieht er am liebsten Filme von Männern über Männer.

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