Alice Schwarzer schreibt

Carol: Film & wahre Geschichte

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Die erotischste Szene ist die im Auto. Therese steigt in die schicke 50er-Jahre-Limousine von Carol, um mit ihr in deren Haus auf dem Land zu fahren. Noch ist nichts passiert. Und beide scheinen eigentlich auch selber noch nicht zu wissen, was passieren wird. Aber dass etwas passieren wird, lässt die knisternde Atmosphäre innerhalb der ­nebelbeschlagenen Scheiben des Autos spüren. Es sind die Bewegungen von Carol – und der Blick von Therese.

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Wir sind im prüden, paranoischen New York der 1940/50er Jahre. Die 20-jährige Therese, die Fotografin werden möchte und zur Nachwuchs-Bohème von Greenwich ­Village gehört, jobbt als Verkäuferin im Bloomingdale’s – wo ihr die ältere Luxus-Hausfrau Carol begegnet, die, gehüllt in teuren Pelz, für ihre Tochter eine Puppe kaufen will. Die ­Anziehung ist spontan und gegenseitig.

Die "Carol"-Verfilmung: ein großer Liebesfilm und ein wahrer Krimi

Die erste Verfilmung des Bestsellers von Patricia Highsmith haben zwei Frauen produziert, eine dritte hat das Drehbuch geschrieben und der bekennend homo­sexuelle Regisseur Todd Haynes („Dem Himmel so fern“) hat ihn umgesetzt.

Cate Blanchett, im realen Leben verheiratet und Mutter von vier Kindern, spielt Carol. Sie tut das verführerisch, in der ersten Hälfte des Films vielleicht ein wenig zu dramatisch, doch überzeugend. Rooney Mara, die als Lisbeth in der amerikanischen Adaption von „Verblendung“ (Stieg Larsson) bekannt wurde, ist Therese: halb bedürftiges Mädchen, das emotionale Sicherheit sucht; halb potenziell leidenschaftliche Liebhaberin.

Der Film ist ein großer Liebesfilm, ein Sittengemälde über die bigotten 50er Jahre, in denen einer Frau, die eine Frau liebte, noch das Kind weggenommen werden konnte – und ein wahrer Krimi.

 

Der Ausbruch der Frauen aus ihrem normalen Leben, dem von Carol mit Kind und Mann und im Luxus, dem von Therese aus der Künstlerszene mit Freund, ist nur in den ersten Szenen ein übermütiges Roadmovie. Schnell wird die Flucht zum Alptraum. Denn ­Carols Ehemann hetzt den beiden Frauen einen Detektiv auf den Hals, der ihre – zunächst scheuen, dann so selbstverständ­lichen – Liebesszenen fotografiert und denunziert.

Highsmith sah im wahren Leben die Angebetete nur ein Mal: drei Minuten lang

„Carol“ ist der zweite Roman von ­Patricia Highsmith. Sie hat ihn zunächst unter Pseudonym veröffentlicht unter dem Titel „Salz und sein Preis“. Die Love­affair entsprang ausschließlich der Fantasie der Autorin. Im wahren Leben hat Patricia Highsmith die Angebetete nur einmal gesehen: drei Minuten lang. Das war, als die junge Autorin im Dezember 1948 in dem New Yorker Kaufhaus Bloomingdale’s in der Spielwarenabteilung jobbte. Da stand plötzlich die schöne blonde Kathleen Wiggins Senn vor der Verkäuferin und bestellte eine Puppe für ihre Tochter. Highsmith war wie vom Donner gerührt.

Noch am selben Abend begann sie den Roman „Salz und sein Preis“, in dessen Mittelpunkt die leidenschaftliche Affäre zwischen Therese und Carol steht. Am 29. Juni 1950 schrieb Highsmith den letzten Satz, am Tag darauf fuhr sie zum Haus von Mrs. Senn. Aber sie wagte es nicht, zu klingeln, sondern drückte sich nur in der Straße herum. Mrs. Senn erfuhr nie von ihrer inspirierenden Rolle. Sie beging 1951 Selbstmord.

Highsmith wartete über 30 Jahre, bis sie sich zu der Autorinnenschaft des unter Pseudonym veröffentlichten Romans bekannte.

"Carol" läuft am 6.1.2021 um 20.15 Uhr auf 3Sat

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Nobelpreis für Homo-Aktivistin!

Ⓒ Christine Dierenbach
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Als der Lehrer damals Kashas Brief fand, brach die Hölle los. Es war ein Liebesbrief gewesen. An ein Mädchen. Der Schuldirektor warf Kasha in hohem Bogen von der Schule und alle waren sich einig: Sie sei „von Dämonen besessen“. Glücklicherweise hat Kasha Jacqueline Nabagesera das selbst nie geglaubt. Stattdessen schrieb sie weitere Liebesbriefe und flog von weiteren Schulen.

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Die Schule be-
hauptete, sie sei „von Dämonen besessen!"

Es mag makaber klingen, aber für ugandische Verhältnisse hat die heute 35-Jährige noch Glück. Erstens hat sie verständnisvolle Eltern, die damals nicht nur ihre Tochter schützten, sondern sogar deren Freundinnen, die von ihren eigenen Familien verstoßen worden waren, bei sich zu Hause aufnahmen. Zweitens: Kasha lebt noch. Das ist für die bekannteste Aktivistin für Homosexuellen-Rechte in einem der homophobsten Länder der Welt nicht selbstverständlich. 

Kashas Freund David Kato ist tot. Im Oktober 2010 hatte die ugandische Zeitung Rolling Stone auf ihrer Titelseite die Namen von „100 Top Homos“ veröffentlicht, zusammen mit der Aufforderung: „Hängt sie auf! Sie sind hinter euren Kindern her.“ ­Kashas Name stand auf der Liste, Davids Name auch. 

Kasha Nabagesera hatte eigentlich Wirtschaftsprüferin werden wollen. Als sie aber 2002 wegen ihrer Homosexualität fast auch noch von der Uni geflogen wäre, sattelte sie auf Jura um. Sie wollte für den Kampf um Homo-Rechte professionell gewappnet sein. 2003 gründete sie FARUG (Freedom and Roam Uganda), eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich für die Menschenrechte Homosexueller einsetzt. 

Als nun Rolling Stone den Mordaufruf veröffentlichte, klagten die Juristin Kasha und der Grundschullehrer David dagegen. Im Dezember 2010 untersagte der Oberste Gerichtshof dem Magazin weitere Outings und sprach den KlägerInnen eine Entschädigung zu. Vier Wochen später wurde David Kato in seiner Wohnung mit zwei Hammerschlägen auf den Kopf ermordet.

Seither ist Kasha doppelt vorsichtig. Ihre Wohnung hat eine Verwandte für sie angemietet, damit ihr Name in keinem Vertrag und in keiner Rechnung auftaucht. Außerdem schläft sie häufig an wechselnden Orten. „Am besten ist, niemand weiß, wo ich die Nacht verbringe“, sagt sie. Mit dem Bus fährt sie nie, zu gefährlich. Ihr Gesicht ist im ganzen Land bekannt. Verprügelt wurde Kasha schon öfter. „Manche drohen mir mit Vergewaltigung, um mir zu zeigen, wie eine Frau zu sein hat.“ Dennoch sagt sie der Hexenjagd auf Lesben, Schwule und Transgender weiterhin den Kampf an. „Mir wurde irgendwann klar, dass der einzige Weg, um all das zu stoppen, darin besteht aufzustehen und die Stimme zu erheben.“ 

In dem 34-Millionen-EinwohnerInnen-Land am Victoriasee, das bis 1986 von dem enthemmten Diktator Idi Amin malträtiert wurde und seit nunmehr fast drei Jahrzehnten von dem ­autokra­tischen Präsidenten Yoweri Museveni regiert wird, steht ­Homo­sexualität unter Strafe. Homosexuelle Handlungen zwischen Männern werden seit 1950 verfolgt – ein Gesetz, das noch unter der britischen Kolonialherrschaft verabschiedet wurde. Seit 2000 verstoßen auch Beziehungen zwischen Frauen „gegen die Natur“ und können mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. 

Aber das reichte den Homo-Gegnern noch nicht. „Vor allem die Evangelikalen, die aus Amerika finanziert werden, sind besonders ­radikal“, sagt Kasha. Im Oktober 2009 bringt ein Abgeordneter, der der evangelikalen Organisation „The Family“ angehört, die „Uganda Anti-Homosexuality Bill“ ein. Der Gesetzentwurf sieht ­lebensläng­liche Haft und schlimmstenfalls sogar die Todesstrafe vor. Außerdem soll jetzt die „Beihilfe“ unter Strafe gestellt werden, sprich: alle, die zum Beispiel Lesben und Schwulen eine Wohnung vermieten.

Eine ugandische Zeitung forderte: "Hängt sie auf!

Juristin Nabagesera klagt mit FARUG gegen das Gesetz. Gleichzeitig schlägt die Organisation international Alarm. Es ­erhebt sich weltweiter Protest. Die EU protestiert und auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärt, Uganda habe „eine rote Linie“ überschritten und droht mit Kürzung der Entwicklungshilfe. Schließlich erklärt das von Kasha ­Nabagesera angerufene ugandische Verfassungsgericht das Gesetz für ungültig, wenn auch aus formalen Gründen: Bei der Verabschiedung seien nicht genügend Abgeordnete anwesend gewesen.

Solche Erfolge sind großartig, aber die Aktivistin weiß: „Selbst wenn ich das Gesetz ändere, wird es mich nicht schützen, solange die Leute nicht umdenken. Wir sehen doch das Beispiel Südafrika, wo die Gesetze fortschrittlich sind. Trotzdem werden viele ­Homosexuelle ermordet und vergewaltigt.“ Deshalb ist Kashas Strategie, den Homo-Hassern, die meist noch nie eine leibhaftige Lesbe oder einen Schwulen zu Gesicht bekommen haben, zu zeigen, dass Homosexuelle ganz normale Menschen sind. Im Dezember 2014 gab sie das Magazin Bombastic heraus. Auf 69 Seiten erzählen Homosexuelle und Transgender ihre Geschichten. Sie verteilten die 15.000 Exemplare in Supermärkten und Tankstellen, in Kirchen und Krankenhäusern. 

Jetzt wird Kasha Nabagesera mit dem „Right Livelihood Award“ ausgezeichnet, dem so genannten Alternativen Nobelpreis. „Wir waren unglaublich beeindruckt, als wir von ihrer ­Arbeit erfahren haben", sagt Stiftungsdirektor Jakob von Uexküll über die Geehrte. Die 50.000 Euro Preisgeld kann Kasha gut gebrauchen, zum Beispiel für die nächsten Bombastic-Ausgaben. Aber so ein internationaler Preis schützt auch ihr Leben. Und er „zeigt uns“, sagt Kasha Nabagesera, „dass die Welt zuschaut. Dass wir nicht allein sind.“ 

Chantal Louis

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