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Carola Wilcke: Die Löwenmama

Carola Wilcke: Hoffnung für viele Mütter im Sorgerechtsstreit. - Foto: Nikolai Schmidt
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Wie eine Löwin sieht sie eigentlich nicht aus in ihrer weißen Bluse und dem lachsfarbenen Blazer. Die langen blonden Haare mit Pony sind eher brave Frauenfrisur als wilde Mähne. Brüllen tut sie auch nicht an diesem Nachmittag in der Dortmunder Petrikirche, sondern sie macht Scherze. „Mir ist ja mal von einem Gutachter im Sorgerechtsprozess eine Persönlichkeitsstörung attestiert worden“, sagt sie. „Ich hoffe, Sie sehen, dass das stimmt: Ich habe eine optimistische Persönlichkeitsstörung! Ich sehe immer Licht am Ende des Tunnels.“ Das Publikum, rund 100 Frauen und ein rundes Dutzend Männer, lacht.

Doch niemand sollte den Fehler machen, den Kampfgeist und die Schlagkraft von Carola Wilcke zu unterschätzen. Vor zehn Jahren hat sie die Facebook-Gruppe „Löwenmamas“ gegründet. Darin sind 2.500 alleinerziehende Mütter vernetzt, die um ihre Kinder kämpfen, oftmals, weil gewalttätige Väter den Umgang erzwingen oder das alleinige Sorgerecht einklagen wollen. Nicht selten gelingt ihnen das, denn die Lobby der Väterrechtler hat ganze Arbeit geleistet und Gerichte und Jugendämter mit ihren frauenfeindlichen Narrativen geflutet.

Doch Carola Wilcke lehrt FamilienrichterInnen das Fürchten, und so manchem Mitarbeiter des Jugendamtes graut vor ihr und ihren Dienstaufsichtsbeschwerden. Für ihren Löwinnenmut wird sie an diesem 7. Juni mit dem Preis der „Stiftung Aufmüpfige Frauen“ ausgezeichnet, gemeinsam mit der Berliner Journalistin Marie von Kuck, in deren Feature „Ihre Angst spielt hier keine Rolle“ (im Netz abrufbar) sie eine er Protagonistinnen war.

„Carola Wilcke hat etwa 40 Kinder zu ihren Müttern zurückgebracht“, berichtet Sigrid Metz-Göckel dem Publikum. Die Soziologie-Professorin und Frauenforscherin hat die Stiftung und den mit 3.000 Euro dotierten Preis vor 20 Jahren gegründet. Über die diesjährige Preisträgerin sagt sie: „In ihrem Haus finden Frauen mit ihren Kindern auch mal Zuflucht.“

Genau mit einem solchen Fall war Carola Wilcke im Herbst 2022 in die Schlagzeilen geraten. In ihrem Haus in Königshain bei Görlitz hatte sie eine Rechtsreferendarin aus Augsburg und ihr Baby aufgenommen, weil der Vater die Herausgabe des Säuglings verlangte. Die Folge: PolizistInnen stürmten Carola Wilckes Wohnung.

Doch die lässt sich von solchen Ereignissen nicht abschrecken. Sie hat am eigenen Leib erfahren, wie sich das „Hilfesystem“ vor den Karren gewalttätiger und manipulativer Väter spannen lässt. 2010 trennte sich die damals 38-Jährige vom Vater ihrer beiden Kinder. Er habe sie vor allem permanent erniedrigt, erzählt sie, „aber es flog auch schon mal ein Hammer nach mir“. Als er den Sohn schlug, zog sie die Reißleine. Und wollte das alleinige Sorgerecht. Doch der Gutachter diagnostizierte die besagte „Persönlichkeitsstörung“: Die Gewaltvorwürfe gegen ihren Mann seien frei erfunden, die Kinder sollten zum Vater. Nur durch einen Zufall – ein Richter erkrankte und eine kritische Richterin übernahm – blieben die Kinder bei ihr. Dann startete Carola Wilcke noch einmal durch.

Die ehemalige Hörfunk-Sportjournalistin und Veranstaltungsmanagerin begann an der Fachhochschule Görlitz ein Studium der Sozialarbeit. Sie ließ sich zum Verfahrensbeistand ausbilden, um Kinder in Sorgerechtsprozessen zu begleiten. Und weil sie inzwischen viele Mütter kannte, die die gleichen schrecklichen Erfahrungen gemacht hatten, gründete sie 2014 in einem „Anfall von Wut“ die „Löwenmamas“ unter dem Dach der „Mütterinitiative für Alleinerziehende“ (MIA).

Dass sie so eine „Kampfsau“ geworden ist, verdanke sie ihrer Großmutter. Die war Lehrerin und „so authentisch, dass es weh tat. Sie war für mich mein Held“. Die Mutter, eine Altenpflegerin, und der Vater, ein Bierbrauer, hatten „eine sehr schöne Beziehung auf Augenhöhe“. Als ihr eigener Mann nach der Geburt der Kinder gewalttätig wurde, „hat mich das überrollt“. Doch nachdem sie via Therapie ihre Posttraumatische Belastungsstörung überwunden hatte, „war ich stärker als je zuvor“. Heute lebt Carola Wilcke, deren Kinder inzwischen erwachsen sind, mit zwei Pflegetöchtern. „Da ziehe ich die nächsten Löwenmamas heran!“

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