Carroll besiegt Trump
Einen Donald Trump in die Knie zu zwingen, ist alles andere als leicht. Bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 musste sich Hillary Clinton geschlagen geben, als es dem New Yorker last minute gelang, die Kandidatin der Demokratischen Partei zu überholen. In den vergangenen Wochen traf es auch Nikki Haley. Die erste Frau, die im Südstaat South Carolina zur Gouverneurin gewählt wurde, schnitt bei den republikanischen Abstimmungen vor der Präsidentschaftswahl 2024 in Iowa und New Hampshire unerwartet schlecht gegen ihren Parteikollegen ab. Dass Haley den 77-Jährigen noch einholt, scheint nicht sehr wahrscheinlich.
Was Clinton und der früheren Gouverneurin nicht gelungen ist, hat jetzt E. Jean Carroll geschafft. Nach einem brutalen sexuellen Übergriff in einer Umkleidekabine und anschließenden Verleumdungstiraden verurteilte ein Bundesgericht in Manhattan Trump am 26. Januar zur Zahlung von 83 Millionen Dollar Schadenersatz an die Autorin – die ihn mit der unerwartet hohen Summe mehr als in die Knie zwang. „Das Urteil ist ein großartiger Sieg für jede Frau, die wieder aufsteht, nachdem sie zu Boden gestoßen wurde. Und für jeden Typen, der versucht, eine Frau am Boden zu halten, ist das Urteil eine gewaltige Niederlage“, sagte Carroll nach der Entscheidung der Jury.
In ihren 2019 erschienenen Memoiren „What Do We Need Men For? A Modest Proposal” (Wofür brauchen wir Männer? Ein bescheidener Vorschlag) hatte die Journalistin und Moderatorin über eine Begegnung mit Trump vor fast 30 Jahren geschrieben. Der Immobilieninvestor bat sie damals bei einem zufälligen Treffen im Luxuswarenhaus Bergdorf Goodman an Manhattans Fifth Avenue um Unterstützung. Er suche ein Geschenk für eine Freundin. Carroll schlug Handtasche oder Hut vor, Trump zog es in die Dessousabteilung. In einer Umkleidekabine drückte Trump sie an die Wand, zerriss ihre Strumpfhose und penetrierte sie mit Fingern und Penis. „Er war der letzte widerliche Mann in meinem Leben. Danach hatte ich nie wieder Sex“, erinnerte sich die 80-Jährige. Kurz nach der Vergewaltigung vertraute sich Carroll zwei Freundinnen an. Nach Warnungen über „Trumps 200 Anwälte“ verzichtete sie auf eine Anzeige.27
Erst #MeToo und die Debatte über verjährte sexuelle Übergriffe – wie die des früheren Hollywoodmoguls Harvey Weinstein – ließen sie schließlich in die Offensive gehen. Carroll gehörte 2022 zu den ersten Frauen, die unter der Adult Survivors Act (ASA) Zivilklage gegen ihren Vergewaltiger einreichten. Der Bundesstaat New York hatte damals vorübergehend die Verjährungsfrist aufgehoben, um Missbrauchsopfern die Möglichkeit zu geben, zumindest zivilrechtlich gegen Täter vorzugehen.
Nach Tiraden gegen Carroll in sozialen Medien, in denen Trump sie als Lügnerin oder Geisteskranke diffamierte, verurteilte ihn ein New Yorker Gericht im Mai 2023 schließlich wegen „sexueller Nötigung und Verleumdung“ zur Zahlung von fünf Millionen Dollar. Am Freitag folgte Trumps zweite Niederlage. Da der Präsidentschaftsbewerber seine Beschimpfungen auch nach dem Urteil fortsetzte, muss er noch mehr zahlen: Über 18 Millionen Dollar Schadenersatz und weitere 65 Millionen Dollar Strafzuschlag, um ihn für sein Verhalten inklusive Wutausbrüche im Gerichtssaal zur Rechenschaft zu ziehen.
Carrolls Mut, Trump fast 30 Jahre nach dem sexuellen Übergriff in einer Umkleidekabine zu verklagen, hat Signalwirkung. Bis Ende November 2023, dem Ende der durch ASA aufgehobenen Verjährung, folgten mehr als 3.000 New Yorkerinnen dem Beispiel der Autorin und zeigten ihre Vergewaltiger an. Neben einigen hundert Frauen, die vortrugen, in Gefängnissen durch Wärter zu Sex gezwungen worden zu sein, wurden auch die Anschuldigungen gegen Prominente wie Sean „Diddy“ Combs, Jamie Foxx und Andrew Cuomo, früher Gouverneur von New York, öffentlich. In ihren Klagen zu Vergewaltigungen, sexueller Gewalt und Grabschereien verwiesen die Frauen immer wieder auf Carroll.
Die Entscheidung der Jury, der Autorin in dem „She said, he said“ zu glauben, dürfte für die Prozesse ihrer Nachfolgerinnen Weichen stellen. Das Urteil vom Januar zeigt auch, dass #MeToo alles andere als abgeebbt ist.
Auch dem wegen sexuellem Missbrauch verurteilten, aber wegen eines Verfahrensfehlers entlassenen Bill Cosby droht jetzt in New York die nächste Prozessrunde. Mindestens sechs Frauen werfen Cosby vor, sie von 1969 bis 1992 unter Drogen gesetzt und vergewaltigt zu haben.
Und Trump? Sieht sich als Opfer einer von Carroll geschürten „Hexenjagd“ der Demokraten. In der Vergangenheit war es ihm immer wieder gelungen, Anklagen zu Immobilienbetrug, Schweigegeld und verschwundenen Akten so erfolgreich als Vendetta vermeintlicher HandlangerInnen des demokratischen Präsidenten darzustellen, dass viele RepublikanerInnen sich Trump nur noch enger verbunden fühlten.
Nikki Haley gehört nicht zu ihnen. Im Gegenteil. Trumps Gegenkandidatin bei den Vorwahlen der Republikaner holte nach dem Urteil im Fall Carroll unerwartet heftig gegen ihn aus. Haley verkündete öffentlich, die über 83 Millionen Dollar Schadenersatz für angemessen zu halten. Die 52-Jährige forderte die WählerInnen auch auf, Trumps „demokratischen Rachefeldzug“ gegen ihn nicht zuzustimmen. „Lasst ihn nicht das Opfer spielen. Lasst ihn den Verlierer spielen, denn das ist die Rolle, die er am Ende des Tages haben soll“, mahnte sie. Haley gibt sich selbstbewusst. Unabhängig von den Ergebnissen in Iowa und New Hampshire bleibe sie mindestens bis zum Super Tuesday am 5. März, dem wichtigsten Tag der Vorwahlen, im Rennen.
Die Causa Carroll könnte Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November das politische Genick brechen. Ein Sextäter im Weißen Haus? Kaum denkbar.
Ausgabe bestellen