Alice Schwarzer schreibt

CDU-Damenparade: Hanna-Renate Laurien

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Und es war für sie, die mit 23 konvertierte Katholikin, selbstverständlich, an ihrer Schule dafür zu kämpfen, dass zum ersten Mal eine Schwangere Abitur machen durfte. Und es war für sie ebenso selbstverständlich, schon Ende der 60er Jahre mit dem Thema Frauenemanzipation durch die Volkshochschulen zu tingeln.

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Ihr Plädoyer für Gemischte und für reine Mädchenschulen - weil es, je nach individueller Verfassung, für manche Mädchen gut sein kann, sich mit Jungen zu messen; für andere aber wiederum wichtig, eben nicht in diese Konkurrenz zu geraten und so nicht in den Mädchenpart abgedrängt werden zu können - diese Erkenntnis wurde erst Jahre nach Beginn der Frauenbewegung auch wieder feministische Erkenntnis. Auch ihr in der eigenen Partei stark umstrittenes Plädoyer für beide Schultypen - Gesamtschule und gegliedertes Schulsystem - scheint im Rückblick so falsch nicht.

Hanna-Renate Laurien, 58, hat sich ihr Leben lang Charakter und einen eigenen Kopf erlaubt Was ihr den Respekt selbst politischer Gegner einträgt (linke Berliner Schnauze taufte sie "Hanna-Granate") und - die Distanz der Männer. Das scheint schon ganz früher so gewesen zu sein. So berichtete eine taz-Reporterin, die Amis hätten zu der als Platzanweiserin in den Rec-Lichtspielen in Lichterfelde jobbenden 17-jährigen "Yes Madam" gesagt und zu deren Schwester "Yes Sweety". Was Hanna-Renate damals "kränkte", ihr aber heute ohne Zweifel reichlich schnuppe wäre. Denn über dieser Art von Anerkennung von Männern steht sie nun wirklich drüber.

Mittagessen im Dorfhaus Dahlem zwischen zwei Terminen. Mitten im Wahlkampf. Trotzdem ist sie noch pünktlicher als pünktlich, ist schon da. Selbstbewusst, bestimmt, zupackend. Die Art, wie sie genüsslich bei der Speisewahl berät; die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Rechnung begleicht; und die Routine, mit der sie einer anderen Frau in den Mantel hilft. Nein, das ist kein relatives Wesen. Das ist eine Frau, die sich entschlossen hat, auch ohne Mann ein Mensch zu sein, in der Anerkennung des stärkeren Geschlechts nicht ihren zentralen Lebenssinn zu sehen.

Doch fangen wir ganz von vorne an. Hanna-Renate Laurien, neben Helga Wex seit Jahren eine der beiden großen Frauen der CDU, wurde 1928 in Danzig geboren. Der Vater war Chemiker und Ministerialrat und der Meinung: „Töchter können lernen wie Jungen". Die Mutter war Lehrerin, Hausfrau und ab 1939 wieder berufstätig. Ein Jahr vor ihrer Geburt war der einzige Junge der Familie gestorben, nach ihr kam „nur" noch ein Mädchen - zu vermuten, dass Hanna-Renate den fehlenden Sohn mitersetzen durfte. . . In der Nazizeit scheint ihr der Katholizismus die richtige Form von Widerstand, die Kriegsjahre verpassen ihr eine Schneilektion in Lebensreife, 1945 liest sie „Gone with the wind" und tritt in die Antifa ein (die kommunistische Antifaschistische Partei), aus der sie dann ziemlich rasch wieder austritt. „Lernen", so erinnert sie sich in ihrer gerade erschienenen Biographie „Nicht Ja und nicht Amen", „Lernen war Wonne, Faszination, Entdecken von Kontinenten des Geistes". 1951 tritt sie zum Katholizismus über, der für sie Lebenssinn und Heimat zugleich wird. Als sie 1981 dem Ruf ihrer Partei nach Berlin folgt, ist sie nicht lange allein: von ihrer Kirchengemeinde erzählt sie mit einer Herzlichkeit, als sei es ihre Familie. Aber das ist sie wohl auch. Ihre Schwester ist protestantische Pfarrerin. Dass Frauen auch in der katholischen Kirche das Priesteramt offenstehen sollte, ist für die Laurien eine Selbstverständlichkeit. Hanna-Renate Laurien, die sich auf die kritische katholische Soziallehre Nell-Breunigs beruft („Der Thatcher-Politik würde ich in England nicht folgen") und die Mystikerin Hildegard von Bingen zu ihren Vorbildern zählt, lebt bewusst kein klassisches Frauenleben. Zweimal war sie verlobt, zweimal hat sie sich, kurz bevor es ernst wurde, wieder entlobt. Sie gehört zum Freundeskreis der Dominikaner, und die Entscheidung, ohne Mann zu leben, ist keine Notlösung sondern Überzeugung.

Die Frage, ob ihr diese Distanz zu Männern, dieses Ihnen - nicht -mehr - zur - Verfügung - stehen, mehr Gelassenheit, mehr Souveränität als Frau gebe, bejaht sie spontan und uneingeschränkt. Schon als Lehrerin in Köln mischt sie sich in die Kirchenpolitik, wird vom alten Kardinal Frings -als einzige und erste Frau unter lauter Männern — zur Frage der gemischten Schulen gehört (für die sie als eine mögliche Form plädiert) und auch immer wieder wegen angeblicher „Ketzerei" zu ihm zitiert. Selbstbewusst erinnert sie sich an ihre Reaktion damals: „Wissen Sie, Herr Kardinal, habe ich zu ihm gesagt, ich halte das bei einem Menschen, dem ich vertraue so, dass ich die Beschwerden sammle und ihn dann nur ein, zweimal im Jahre herzitiere. . . Der Kardinal hat's ab da auch so gehalten."

1971 wird die engagierte Kulturpolitikerin Staatssekretärin im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz. Berüchtigt machten sie in der Zeit ihre scharfen Attacken gegen die hessischen Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht. Was Dregger so gefiel, dass er sie als potentielle Kultusministerin ins Auge fasste. Im Wahlkampf 1976 übertraf die streitbare Dame mit 140 Wahlterminen noch den Terminkalender von Kohl. In der Bildungspolitik ihrer Partei erwarb sie sich den Ruf einer „Mehrzweckwaffe". In Kohls Schattenkabinett galt sie 1976 als designierte Entwicklungshilfeministerin. Da wäre sie Nachfolgerin von Marie Schlei geworden, mit der sie so manches gemein hat: die resolute Tüchtigkeit, die soziale Empfindsamkeit trotz konservativer Positionen, die unerschütterliche Loyalität mit der Partei — auch, wenn die Partei sie verrät. Verraten hat die CDU die in Berlin höchst populäre Hanna-Renate Laurien, als sie, statt ihrer, 1983 den blassen, unpopulären Diepgen zum Berliner Spitzenkandidaten kürte. Das scheint sie locker wegzustecken. Im Wahlkampf für Diepgen und ihre Partei war sie wieder ganz Hanna-Granate. Und da ballert sie dann auch einsatzbereit in alle Richtungen, warnt davor, dass der Jugendschutz „so weit getrieben wird, dass er die Jugendlichen vor der Arbeit schützt"; findet ein besetztes Haus „wirklich kriminell - ein richtiger Herd ist das"; befürwortet die Datenschutzüberprüfung zukünftiger Lehrer/innen.

Natürlich hat Hanna-Renate sich auch von der Frauenbewegung distanziert, das sind bei ihr die, „die den Männerhass gegen den Frauenhass beschwören". Das scheint zur Kür jeder anständigen bundesdeutschen Politikerin, egal welcher Couleur, zu gehören.

Sie ist heute Berliner Senatorin für Schule, Jugend und Sport. Sie ist, wie Wex, im Vorstand der CDU-Frauenvereinigung und einer der sieben Stellvertreter des Parteivorsitzenden Helmut Kohl. Sie ist außerdem Vorsitzende der Kommission „Bildung und Kultur" im Zentralkomitee Deutscher Katholiken. Sie ist eine mächtige Frau. Doch wäre sie ein Mann, wäre sie vermutlich schon weiter in ihrer Partei, vielleicht sogar im Gespräch als möglicher Kanzler-Kandidat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, zumindest für Laurien: „Ich habe mich geweigert, nur weil ich eine Frau bin, das Bußgewand der Selbstunterdrückung in Politik und Kirche zu tragen", schreibt sie im Vorwort ihres Buches. Ihr Streben kennt keine Grenzen. Ihr Bewusstsein allerdings schon: „Die Frau ist nicht der schlechtere Mann, sondern der andere Mensch", schreibt sie und sitzt damit trotz alledem der Ideologie von einer Andersartigkeit der Frauen auf (sprich: Minderwertigkeit).

Das unterscheidet die Generation Laurien von der Generation Hellwig, die so was vermutlich nicht mehr sagen würde.

V.R./A.S., EMMA 4/1985

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