Ich bin keine Mitbürgerin

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Charlotte Knobloch ist eine geborene Münchenerin und muß sich dennoch so manches Mal wie eine Fremde behandeln lassen. Ein Porträt der Stellvertreterin von Ignatz Bubis.
Das Leben hat sie Beherrschung und Geduld gelehrt – aber darüber kann sie richtig aus der Haut fahren: Wenn sie mal wieder jemanden von „unseren jüdischen Mitbürgern“ reden hört. Denn mit der Mitbürgerin ist auch sie gemeint – die geborene Münchnerin und Deutsche.
Ein Leben lang kämpft Charlotte Knobloch schon dagegen, Fremde in der eigenen Heimat zu sein. Angefangen hat das für die 1932 Geborene früh, sehr früh. Nur zu gut erinnert sie sich noch an die Angst beim Anblick der brennenden Synagoge in der Nacht des 9. November 1938 und an einen Spaziergang mit dem Vater: „Er hielt mich an der Hand. Plötzlich stopp-te ein Wagen neben uns, und er sagte ganz ruhig: Geh weg! Und während mein Vater vor meinen Augen kontrolliert und abgeführt wurde, griff ein fremdes Ehepaar mit Kinderwagen nach meiner Hand und zog mich mit, als sei ich ihr Kind. Sie hatten begriffen, was los war. Das war das erste, aber nicht das letzte Mal, daß ich von Nichtjuden beschützt wurde.“

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Es sind wohl auch diese Art von Erlebnissen, die es für Charlotte Neuland, verheiratete Knobloch, möglich gemacht haben, trotz der Jahre der Demütigungen und des Terrors weiter in Deutschland leben zu können. Ja mehr noch: sich, ganz wie Ignatz Bubis, dessen Stellvertreterin sie seit 1997 im Zentralrat der Juden in Deutschland ist, nicht nur im jüdischen Gemeinde- leben mit seinen heute 70.000 Mitgliedern zu engagieren: Die selbst erfahrene Diskriminierung hat ihren Sinn für alle Arten von Diskriminierung geschärft. Darum ist die Mutter dreier Kinder – die längst aus dem Haus sind – jahrelang auch Schöffin gewesen und aktiv in der „Aktion für Ausländer“.
Seit 1985 ist Charlotte Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, der drittgrößten in Deutschland. Der Weg dahin war weit. 1940 wird Charlotte, das „Judenkind“, in Franken bei einem ehemaligen Dienstmädchen der Familie versteckt. Die Bauerstochter riskiert viel, als sie das kleine Mädchen aus München als ihr uneheliches Kind ausgibt. Und das Kind weiß fünf schreckliche Jahre lang nicht, ob es jemals seine Familie wiedersehen wird.
Es ist ein Wunder, daß Charlotte Neuland überlebt. Und es ist ein zweites Wunder, daß auch der Vater als Zwangsarbeiter die Kriegszeit übersteht. Die Großmutter, die sich von klein auf um sie gekümmert hat, war 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert worden. Sohn und Enkelin sollten sie nie wieder sehen.
Die Familie denkt an Auswanderung, kehrt aber zunächst nach München zurück. Mit 16 begegnet Charlotte dort Samuel Knobloch aus Krakau, der im KZ Buchenwald befreit worden war. Sie heiraten und bekommen drei Kinder. Am Anfang sitzt Familie Knobloch noch, wie viele Überlebende in ihrer Situation, auf den für die Reise in die Vereinigten Staaten sprichwörtlichen „gepackten Koffern“. Doch irgendwann verstauben die in den Kammern der Erinnerung. Charlottes Vater hat wieder eine Anwaltskanzlei eröffnet, wirkt am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde mit und wird schließlich ihr Präsident.
Die Knoblochs bleiben in Charlottes Geburtsstadt. Aus der Kindheit gibt es nur ein einziges Foto von Charlotte – das Dienstmädchen hatte es versteckt und aufbewahrt.
Wie viele Frauen ist auch Charlotte Knobloch in die Gemeindearbeit hineingewachsen: Jüdischer Frauenverein und Frauenbund, dann erste Nachkriegspräsidentin einer jüdischen Großgemeinde in Deutschland und schließlich stellvertretende Zentralsratsvorsitzende. Da konnten auch Ehrungen wie der „Bayerische Verdienstorden“ und das „Verdienstkreuz am Band“ nicht länger auf sich warten lassen – doch selbst das kann der Bürgerin Knobloch die gönnerhafte Deklassierung zur „Mitbürgerin“ nicht immer ersparen.
Seit dem Tod ihres Mannes 1990 hat Charlotte Knobloch die Arbeit in der Jüdischen Gemeinde in den Mittelpunkt ihres Lebens gerückt. Allein in der Amtszeit von Charlotte Knobloch ist die als besonders orthodox geltende Münchner Gemeinde von vier- auf siebentausend Mitglieder gewachsen. Die meisten Neuen kommen aus Osteuropa, da gibt es enorme Integrationsprobleme, angefangen mit der Sprache.
Es ist Charlotte Knobloch ein Anliegen, „zu vermitteln, auszugleichen, zu konsolidieren“. Aber sie hat, nach eigenem Bekunden, eine große Schwäche: „Ich bin nachtragend.“ – Aber das bedeutet ja nichts anderes, als nicht vergessen zu können.

Gleichzeitig gibt es seit den 80ern eine Riefenstahl-Renaissance, die sich die Frage der Verantwortung der Kunst überhaupt nicht mehr stellt, und nur noch auf Ästhetik abhebt. Für die Ästhetiker ist Riefenstahl nichts als die Pionierin, deren "Macht der Bilder" auch die Werbung und das Showgeschäft geprägt hat. Dabei wäre gerade im Zusammenhang mit ihr die Frage nach der Verantwortung der Kunst besonders spannend. Denn hätte die so besonders begabte Leni Riefenstahl nicht auch eine besondere moralische Verantwortung gehabt?
Mir fiel irgendwann Anfang der 80er der Ton auf, in dem über Riefenstahl geredet wurde. Diese Selbstgerechtigkeit und Gehässigkeit, hinter der immer etwas anderes steckt. Damals kannte ich ihre Filme noch nicht und hatte ihre Fotos nur flüchtig betrachtet. Aber dieser Ton... Ich begann, genauer hinzusehen und hinzuhören.
Jetzt, im November 1998, hatte ich einen Anlass, der Frage endlich nachzugehen: Im Filmmuseum Potsdam wird die erste Riefenstahl-Retrospektive in Deutschland gezeigt. Die Erregung ist vorprogrammiert. Und die Voreingenommenheit auch. "Trotz Vorbehalten", meldete die FAZ, werde die Ausstellung am 3. Dezember eröffnet. "Wer sich Ärger einhandeln möchte, sollte ein Buch über Leni Riefenstahl schreiben", notiert die Direktorin des Museums und Ausstellungsmacherin Bärbel Dalichow lakonisch als ersten Satz in ihrem Ausstellungskatalog. Ich entschloss mich, selbst mit Riefenstahl zu reden.

Einer der ersten Sätze, die Riefenstahl an diesem Novembertag in Pöcking zu mir sagt, ist: "Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie denken, ich wolle mich rehabilitieren." Nein. Wie oft soll sie es auch noch sagen. Und gleich danach: "Ich habe nachgedacht, bevor Sie kamen, ich glaube: Ich bin 100 Prozent Mann und 100 Prozent Frau." Ja. Das sagt sie zum ersten Mal.
Sie, die eigentlich eher aus dem Unbewußten agiert, auch und gerade bei der Arbeit, hat mit diesem Satz den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn die verbreitete Analyse, Leni sei der Prototyp der "phallischen", der männlich identifizierten Frau, greift viel zu kurz. Riefenstahls besonderes Wagnis und unlösbares Dilemma scheint ganz im Gegenteil, dass sie beides sein will: ganz Frau und ganz Mann zugleich.
Als Regisseurin befehligte sie Hunderte von Leuten und arbeitete mit Millionenbudgets, doch bei den Dreharbeiten ist sie Vater und Mutter der Truppe zugleich. Und nach den triumphalen Premieren stellte Goebbels ihr nach und machte Hitler ihr Plüschaugen - was der gerade bei mächtigen Männern sehr Zurückhaltenden schon 1938 in Amerika den unbegründeten Ruf einbrachte, "Hitlers girlfriend" zu sein und in Deutschland den hämischen Spitznamen "Reichsgletscherspalte".
Als Geliebte aber ist sie eben auch Regisseur; vor allem, wenn sie, was zweimal der Fall war, eine Beziehung mit einem Mann aus dem Team hatte. So verließ ihr Kameramann Schneeberger ("meine große Liebe") sie abrupt und ohne Aussprache für eine andere, und wollte der Tonmann während der Dreharbeiten zum "Blauen Licht" immer "ausgerechnet dann mit mir schlafen, wenn ich 150prozentig mit meiner Arbeit beschäftigt war". Im Rückblick sagt sie: "Ich habe in der Liebe immer nur Unglück gehabt. Ich bin zu eng mit meiner Arbeit verbunden. Die Männer haben einfach gespürt, dass ich das doch vorziehen könnte."
Doch fangen wir mit ihrem Leben ganz von vorne an. Sie selbst hat es 1990 in ihren "Memoiren" aufgeschrieben, die in 14 Sprachen übersetzt wurden, und die die "New York Times" so "bewegend und aufregend" fand, dass der Rezensent das Buch "immer wieder weglegen musste, um es zu verkraften". In Deutschland jedoch blieben Riefenstahls Erinnerungen relativ unbeachtet. Die Potsdamer Ausstellungsmacherinnen haben nun ihr Leben für den Katalog nachrecherchiert und in den politischen Kontext gesetzt.
Helene Amalia Bertha Riefenstahl kommt am 22. August 1902 in Berlin zur Welt. Ihre Mutter Bertha ist das jüngste von 18 Kindern und gibt bei der Heirat mit dem Installateurmeister Alfred Riefenstahl den Mädchentraum auf, Schauspielerin zu werden. Lenis lebenslang geliebter und 1944 gefallener Bruder Heinz kommt über drei Jahre später zur Welt. Da ist Leni schon Mutters Liebling und Vaters Bester. Sie wächst auf mit einem doppelten Auftrag und erfüllt tatsächlich beide: Sie wird die begehrte Schauspielerin und die tüchtige Regisseurin.
Lenis Vater, ein Selfmademan, dessen Installationsfirma rasch expandiert, ist ein harter Mann, ein wahrer Familientyrann ("Er konnte wie ein Elefant trampeln, wenn sich am gestärkten Kragen seines Hemdes der Knopf nicht aufmachen ließ."). Seine Übermacht ist allgegenwärtig und sein Verhälltnis zur Tochter scheint mindestens ambivalent. Bis zum 21. Lebensjahr darf Leni mit keinem Mann ausgehen und wird vom Vater auf der Straße angeherrscht: "Schau runter, guck die Männer nicht so an."
Auffallend ist in den ersten Kapiteln der Riefenstahl-Memoiren die Allgegenwart sexueller Gewalt. Das wissbegierige, grüblerische Mädchen wälzt früh "alle möglichen Gedanken. Es ging vor allem um die Todesstrafe, die damals wegen der vielen Kinder-Sexualmorde heftig diskutiert wurde". Und tatsächlich begegnet das Mädchen eines Abends, als es für den Vater Bier holt, selber so einem "Kinderaufschlitzer". Er lauert ihr im elterlichen Hausflur auf und würgt sie; aber sie schreit so laut, dass Nachbarn kommen und er die Flucht ergreift. "Geblieben ist mir bis zum heutigen Tage ein Schock, wenn ich hinter mir Schritte höre."
Unverständlicherweise wird dieses traumatische Erlebnis im Potsdamer Ausstellungskatalog als "surreal" abgetan. Wie es Autorin Claudia Lenssen trotz aller Fundiertheit und Differenziertheit dann eben doch nicht schafft, sich von einer unterschwelligen Voreingenommenheit und permanenten Psychologisierung der Arbeit Riefenstahls zu befreien und einen wirklich offenen Blick auf sie zu richten. Zu stark ist Riefenstahl anscheinend zur Unberührbaren gemacht worden; zu tief sitzt eine andere, nicht sachbezogene Betrachtungsweise beim Werk einer Frau.
Letzteres hat Leni Riefenstahl sehr früh gespürt. Auf der Suche nach Schutz und Raum zur Entfaltung flüchtet das Mädchen in geistige und körperliche Abenteuer. Sie entwirft, lange bevor es die gibt, detaillierte Pläne für eine zivile Luftfahrt oder treibt Sport bis zur Erschöpfung. Ihr Idol ist Marie Curie, die Entdeckerin des Radiums.
Als der Vater erfährt, dass die Tochter mit Unterstützung der Mutter - die von der Tochter innigst geliebt wird und bis zu ihrem Tod 1965 zu ihr hält - heimlich Tanzunterricht nimmt, reicht er die Scheidung ein. Leni biegt aus Sorge um den Familienfrieden bei, nimmt Zeichenunterricht und wird später sogar seine Sekretärin - ihre Gallenkoliken, Blasenschmerzen und Anfälle von Schwermut nehmen zu. Lebenslang wird die äußerlich Beherrschte innere Konflikte körperlich austragen. Die so starke und strahlende Leni ist geschlagen mit chronischen Krankheiten.
Ihre erste sexuelle Erfahrung macht sie im Alter von 21 mit dem viel älteren Tennischampion Otto Froitzheim, den sie - selbst entschlossen zur Entjungferung - aufsucht, der sie aber brutal nimmt und ihr danach Geld für eine Abtreibung hinlegt. Trotz dieser Demütigung geht sie später eine Beziehung mit ihm ein, trennt sich dann jedoch aus eigener Kraft. Die vom Vater eingepflanzte Mischung aus Faszination und Furcht vor dem Tyrannen wird lebenslanges Leitmotiv bleiben.
Leni Riefenstahls plötzlicher Ruhm als Ausdruckstänzerin, der sie kurz neben Mary Wigman und Valeska Gert aufleuchten läßt, wird nach sechs Monaten abrupt durch eine irreparable Knieverletzung abgebrochen. Ganz aus eigenem Willen schafft sie es, nun Hauptdarstellerin in den damals berühmten Bergfilmen von Fanck zu werden, von dessen Kunst sie fasziniert ist. Der Realitätsfanatiker jagt seinen Star rücksichtslos, ja sadistisch auf Berggipfel und in Gletscher. Leni leistet mal wieder Übermenschliches, dem Tyrannen zuliebe.
Fanck ist nur einer in einer langen Liste von Männern, die fasziniert sind von der spröden Amazone, die ihnen zwar gefallen, sich ihnen aber nicht hingeben will. Die Verehrer im libertären Berlin der 20er Jahre sind kaum Abweisung gewohnt und werden rasch aggressiv.
Einer von ihnen ist Josef von Sternberg, zur gleichen Zeit liiert mit Marlene Dietrich, der er später nach Amerika folgt. Die Dietrich wohnt genau gegenüber von der Riefenstahl, die ihr von ihrem fünften Stock aus geradewegs in die Küche im dritten Stock guckt, wo die liebende Marlene öfter kocht. Mit unverhohlener Zufriedenheit berichtet Riefenstahl in ihren Memoiren, wie Regisseur Sternberg ihre Meinung als Kollegin schätzte - er soll sie zum Zorn Marlenes sogar zu den Dreharbeiten vom "Blauen Engel" gebeten haben - und dass Marlene mit Selbstmord gedroht habe, nur weil Sternberg mit der Leni auf den Presseball gehen wollte.
Heute von mir gefragt, was denn ihrer Meinung nach die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihr und Dietrich gewesen seien, antwortet sie: "Wir zwei sind diejenigen, die international herausragten. Wir sind beide Persönlichkeiten; sie hat auch gesagt, was sie dachte. Aber sie ist mehr Frau als Mann. Es hat ihr Spaß gemacht, den Männern den Kopf zu verdrehen. Ich hingegen hatte Angst davor, dass sich einer in mich verliebte, weil das immer Komplikationen gab."
Dietrich, die 150prozentige Frau, und Riefenstahl, das Mischwesen. Das Objekt und das Subjekt, das gleichzeitig auch Objekt sein will - aber nicht sein kann. Die Einfühlsame und die Egozentrische. Die eine die Freundin der "Untermenschen" und die andere die Komplizin der "Herrenmenschen" - und beide Objekt der Begierde von Sternberg wie Goebbels.
Nach vier Gipfelbezwingungen für Fanck hat Riefenstahl keine Lust mehr, ihr Leben für die immer gleichen Rollen zu riskieren. Sie schreibt sich selbst eine Rolle, ja einen ganzen Film. Sie realisiert "Das blaue Licht" fast ohne Geld und mit einem winzigen Team in einem Dorf in den Dolomiten, wo sie die Einheimischen zum Mitspielen bewegt. Riefenstahl spielt die "Junta", das zerlumpt verführerische Schäfermädchen am Dorfrand, das als einzige das Geheimnis des "blauen Lichts" kennt und dem die Dorfburschen im Vollmond hinterherklettern und sich zu Tode stürzen.
Junta ist Hüterin des blauen Lichtes und ist das blaue Licht. Ihre Ekstase ist das Eintauchen in die Erhabenheit. Als eines Morgens wieder mal ein toter Bursche ins Dorf getragen wird, blasen die Dorfbewohner zur Hetzjagd auf die verhaßte "Strega", die Hexe. Die entkommt nur dank des Beistands eines sensiblen Fremden, der zum Malen in die Abgeschiedenheit geflüchtet ist.
Der Städter steigt dem Naturkind nach, gewinnt ihr Vertrauen und enthüllt ihr Geheimnis: das blaue Licht ist eine Kristallgrotte, die im Mondschein leuchtet. Er gibt den dumpfen Dorfbewohnern den Weg zum Schatz preis, und die begeben sich mit Seilen, Hacken und Eimern zur Grotte und zerstören sie. Die letzten Bilder zeigen eine vom neuen Reichtum trunkene Männerbande und eine fassungslose, einsame Frau. Junta stürzt sich vom Berg. Die Niedrigkeit hat die Erhabenheit, das Materielle das Metaphysische besiegt.
Der Film wirkt noch heute mit seinen knappen Szenen, Großaufnahmen und kühnen Schnitten hochmodern; Natur und Tiere spielen eine zentrale Rolle, die Bilder sind so eindringlich wie eindeutig: die Symbolik des phallischen Berges überstrahlt Riefenstahl mit der Symbolik der vaginalen Grotte. 100 Prozent Mann und 100 Prozent Frau.
Dieser Film, den sie unter den widrigsten Umständen vollendet, begründet ihren Weltruhm. Auch Hitler ist davon beeindruckt, nicht zuletzt "weil es ungewöhnlich ist, dass sich eine junge Frau gegen die Widerstände und den Geschmack der Filmindustrie durchzusetzen vermochte". Bei einem gemeinsamen Strandspaziergang verspricht Hitler ihr: "Wenn wir einmal an die Macht kommen, müssen Sie meine Filme machen."
Er macht das Versprechen wahr und beauftragt Leni Riefenstahl 1934 mit der Dokumentation des Parteitages. Das ist die Zeit, in der viele KollegInnen und FreundInnen von Riefenstahl ins Exil flüchten - was sie traurig macht, aber doch auch nicht so traurig, dass sie die schreckliche Wahrheit begreifen will. Sie arbeitet weiter, nun mit der Protektion des Führers.
Dem "Triumph des Willens" folgt 1936 der Auftrag des internationalen Olympischen Komitees (IOC), einen Film über die Olympischen Spiele in Berlin zu drehen. Riefenstahl agiert mit einem noch nie dagewesenen technischen Aufwand und Stab und mit der direkten Unterstützung Hitlers. Der zweiteilige Dokumentarfilm "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" verwandelt simplen Sport in hehre Kunst und setzt bis heute Maßstäbe in der Sportberichterstattung.
Doch bei Erscheinen gerät der Olympiafilm in den Strudel der Kristallnacht und des Kriegsbeginns. Die Schatten, die damit auch über Leni Riefenstahl fallen, lassen sich nicht länger wegblenden. Auch sie selber kann dem Grauen nicht mehr immer aus dem Weg gehen. Dreharbeiten an der Front in Polen bricht sie nach zwei Tagen ab, nachdem sie selber zwischen die Soldateska geraten war und nach ihren eigenen Worten in den Kriegswirren von einem deutschen Soldaten mit den Worten bedroht wurde: "Schieß das Weib nieder!".
Riefenstahl flüchtet sich ab 1939 in die nicht endende Fern-ab-Produktion eines Spielfilms, den sie erst nach Kriegsende fertigstellt: "Tiefland". Auch diese Story ist symbolträchtig. Riefenstahl spielt eine Zigeunerin (in einer Zeit, zu der Zigeuner in den KZs vergast werden), die Opfer eines tyrannischen Herren ist und von einem gutmütigen Naturburschen befreit wird. Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms sieht in dem Film eine verschlüsselte Kritik am deutschen Tyrannen. In der Tat ist Riefenstahl zu dieser Zeit zwar immer noch fasziniert von Hitler - nur der ihr brutal nachstellende Goebbels ist für sie die "Verkörperung des Mephisto" - gleichzeitig aber hat sie Aggressionen gegen ihn, denn sie "hasst Kriege".
Als alles zusammenbricht und die Nachricht von Hitlers Tod Leni Riefenstahl in Kitzbühl erreicht, weint sie eine Nacht lang - und ist so ehrlich, das noch in ihren 1990 veröffentlichten Memoiren zu schreiben. Sie weint wohl weniger um einen Menschen und eher um den Verlust ihrer Ideale und den Zusammenbruch ihres Lebens.
1945 verhören die Amerikaner Leni Riefenstahl und zeigen ihr Fotos von den Konzentrationslagern. Sie bricht unter Weinkrämpfen zusammen, leistet jedoch Widerstand, als sie "gestehen" soll, davon schon vor dem Ende gewusst zu haben. Riefenstahl versichert bis heute, nur von Dachau als "Lager für Politische" und von Theresienstadt als "Lager für nicht emigrierte Juden" gehört zu haben. Die Amerikaner halten sie für glaubwürdig, "entnazifizieren" sie und entlassen sie am 3. Juni 1945 aus der Haft in Dachau.
Leni Riefenstahl kehrt nach Kitzbühl zurück, wo jetzt die Franzosen die Besatzer sind. Die sind hoch interessiert an der Arbeit der Regisseurin und verhandeln mit ihr über die Fertigstellung von "Tiefland". Da erscheint im April 1946 in der kommunistischen Tageszeitung "L Humanite" eine Fotomontage, die Riefenstahl in den Armen des - ihr unbekannten - französischen Militärkommandeurs zeigt. Der Skandal ist komplett. Das "Führerliebchen" jetzt als Besatzerliebchen. Und wieder wird sie sexualisiert, wieder zum Objekt gemacht. Jetzt ist Riefenstahl endgültig vogelfrei - und ihre begehrten Filme sind es auch.
Die Franzosen beginnen eine Hatz, die im Mai 1947 in der Irrenanstalt von Freiburg endet. Dort internieren sie Leni Riefenstahl wegen angeblicher "Depressionen" und behandeln sie monatelang - mit Elektroschocks. "Alle zwei, drei Tage, manchmal mehrere Male hintereinander." Befragt, wie das war, weicht Riefenstahl noch 50 Jahre danach aus. "Ich kann mich nur noch an Frau Busch vom Zirkus Busch erinnern. Die war im Saal nebenan. Wie die geschrien hat. Ganz furchtbar." Und nach einer Pause fügt sie hinzu: "Ich war kein Mensch mehr. Ich hatte mein Leben aufgegeben. Aber daran möchte ich nicht zurückdenken."
Und während die Regisseurin mit Elektroschocks gefoltert wird, balgt sich die Pariser Kultur um ihr beschlagnahmtes Werk, das nun ungeschützt ist. Sie haben es auf die Filme von Riefenstahl abgesehen, deren Rechte alle bei der Riefenstahl-Produktion liegen. Man war entschlossen, sie als "Frau" zu vernichten, um sich ihre Arbeit als "Mann" einverleiben zu können.
Vermutlich hat das ihr angetane Unrecht ihren Blick für das von ihr mitgeduldete Unrecht nur noch mehr verstellt. Es folgen Jahre, die sie vor allem mit dem Kampf gegen persönliche Diffamationen verbringt. Während ihre Kollegen - die in dem braunen Sumpf mindestens so tief dringesteckt haben wie sie, oft tiefer - längst wieder arbeiten, verliert sie ihre Zeit und Energie mit ihrer Verteidigung. Sie klagt 50 mal - und gewinnt die meisten Prozesse. Auch den gegen Luis Trenker, einst ihr Filmpartner und kurzfristiger Liebhaber, der sie in einem von ihm gefälschten Eva-Braun-Tagebuch als Nackttänzerin und Nazi-Gespielin darstellt.
Und sie gewinnt ebenso den Prozess gegen den Verleger Kindler, der in seiner Illustrierten "Revue" behaupten lässt, die Tiefland-Regisseurin hätte ihre Zigeunerkomparsen wie "Arbeitssklaven" behandelt und gewusst, dass sie nach Auschwitz deportiert würden - was nicht verhindern kann, dass diese Behauptung Anfang der 80er Jahre erneut verbreitet wird. "Von den vielen falschen Anschuldigungen", sagt Riefenstahl, die selbst in "Tiefland" eine Zigeunerin gespielt hat, "hat mich die am tiefsten getroffen".
Leni Riefenstahl will - wie immer - einfach weiterarbeiten, aber ihre Kraft scheint nicht mehr zu reichen. Vielleicht sind inzwischen auch ihre inneren Zweifel zu groß. Mehrere Filmprojekte im Ausland unter anderem mit Vittorio de Sica und Jean Cocteau scheitern, nicht zuletzt, weil sie immer wieder neu als Hitlers willigste Propagandistin stigmatisiert wird. Und dies meist nicht durch genaue Kritik, sondern durch grobe Diffamation.
Nicht alle machen es sich so einfach, aber die Vereinfacher haben die lauteste Stimme; nicht selten, weil sie eigene Abgründe übertönen müssen. Die Differenzierteren, wie Manfred George, der vor den Nazi-Schergen ins Exil geflüchtete New Yorker Chefredakteur des deutschen-jüdischen "Aufbau", dringen kaum durch.
Im April 1949 schreibt George an Riefenstahl: "Ich habe Sie immer als einen seine Vollendung suchenden Menschen in der Erinnerung behalten. Sie wissen, dass ich bereits damals den Weg, den Sie gingen, für einen Irrweg hielt. Sie waren zu jung und zu ehrgeizig, um das zu sehen. Ich schreibe Ihnen, weil ich weiß, dass im Grunde Ihres Weges ein Glaube war." Und sie antwortet: "Sie werden nicht ermessen können, wie mich Ihre Zeilen aufgewühlt haben (...). Erst nach dem Krieg als Gefangene erfuhr ich von diesen Verbrechen. Ich bin fast wahnsinnig darüber geworden, und ich fürchte, dass ich niemals mehr frei werden kann von dem Alpdruck dieses ungeheuren Leidens."
50 Jahre später antwortet die Gehetzte auf meine Frage, wie sie sich diese Hatz denn erkläre: "Das müssten Sie, Frau Schwarzer, eigentlich besser erklären können als ich..." Und nach kurzem Nachdenken fügt sie hinzu: "Es liegt an dem Erbe, das wir hinterlassen haben. Dieses schreckliche Erbe. Die Verbrechen, die geschehen sind. Der Holocaust. Das belastet uns doch für immer."
1997 erhält Riefenstahl in Los Angeles von der "Society for Cinephiles" einen Preis für ihr "Lebenswerk". "Ohne die Anerkennung im Ausland hätte ich das hier in Deutschland ja gar nicht durchgehalten", sagt sie und erzählt mit Genugtuung von den "standing ovations der über 1000 Menschen". Steven Spielberg ist der Regisseur, dessen "geniale filmische Handschrift" sie heute am meisten schätzt (aber nicht Jurassic Park). Wim Wenders ist "auch nicht schlecht". Und Fassbinder? "Der war einer der interessantesten, originell, frech, unbekümmert".
Es ist wohl kein Zufall, dass Leni Riefenstahl, die Regisseurin, die man in Europa keine Filme mehr machen ließ, in den 60er Jahren als Fotografin bis ins tiefste Afrika ging, wo sie ihre berühmt gewordenen Nuba-Fotos machte - und ab den 70er Jahren als Filmerin bis auf den Grund des Meeres. In der Südsee dokumentiert die passionierte Tier- und Naturfreundin bis heute eine untergehende Welt. Und sie bringt Bilder mit aus der Tiefe, die ihrem Lieblingsmaler van Gogh wohl gefallen hätten.
"Es gibt drei Dinge im Leben, die ich wichtig finde", sagt Leni Riefenstahl beim Abschied zu mir: "Erstens das Naturerlebnis - ich komme mir selbst vor wie eine Biene oder ein Fisch. Zweitens die Liebe - mit oder ohne Sex, aber die ganz große Liebe." Das dritte Ding vergisst sie... es wird die Arbeit gewesen sein, ihre eigentliche große Liebe. ("Ich bin eigentlich nur glücklich, wenn ich arbeite.")
Bevor wir uns wieder aufmachen zum Sisi-Bahnhof, zeigt uns Riefenstahl im Souterrain, das zu einem technisch perfekten Riefenstahl-Archiv und Schnittstudio ausgebaut ist, Aufnahmen vom Grund des Meeres. Da sieht man die weit über 90-jährige im Tauchanzug, wie sie sich in 50 Meter Tiefe einem auf dem Meeresgrund dämmernden Rochen nähert. Der Fisch hat einen Durchmesser von anderthalb Metern und einen Schwanz wie ein Schwert. Er kann mit einem Schlag einen Menschen töten. Ein Fall für Leni. Sie lächelt durch die Taucherbrille in die Kamera von Horst, schwimmt behutsam näher und - krault dem Rochen die Fischhaut. Und der? Der lässt sich einlullen von der erprobten, aber gefährlichen Mischung.
Alice Schwarzer, EMMA Januar/Februar 1999 

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