Die teure Schönheit

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Hao Lulu, 24, ist die schönste Frau im Reich der Mitte. Meint zumindest die Schönheitsindustrie. Die hat Millionen-Umsätze.

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Drei habe sie schon erlegt, erzählt sie aufgekratzt. Ehrlich! Gelangweilt habe sie auf dem Beifahrersitz gesessen und lediglich ihren Blick über Pekings zähen Verkehr schweifen lassen. Den zwischen neu gefalteten Lidern kunstvoll gefassten Blick. Bis der hängen blieb. An einem anderen Blick, aus einem vorübergleitenden Auto. Nichts anderes habe sie getan, beteuert Hao Lulu, als diesen anderen Blick festzuhalten. Ein wenig. Bis es krachte: Auffahrunfall. Drei Männer an drei Tagen. „Ich bin ein schlimmes Mädchen, oder?“, sagt sie. Schürzt unschuldig die Lippen. Die echten.
Die Lippen sind unberührt: das Geschenk der Eltern, ebenso die Zähne, das Kinn und die Hände. Der Rest dieser Erscheinung, die da vor uns sitzt, ist Menschenwerk, so sehr Skulptur wie Natur. Dazu brauchte es ein Kabinett voller Skalpelle und eine junge Frau: Hao Lulu, 24 Jahre alt, aus einfachen Verhältnissen. Der Vater ist Fußballtrainer, die Mutter Buchhalterin. Sie selbst hat das Edelsteingewerbe gelernt. Und das Hinschauen. „Schöne Menschen haben mehr Chancen“, sagt sie. So einfach ist das. Kein Wunder, dass Hao Lulu zum Medienereignis wurde: So eine passt in diese Zeit, an diesen Ort.
Alte Freunde, vor einem halben Jahr befragt, beschrieben eine schlagfertige, witzige Person. Die Ärzte, die sie zur gleichen Zeit in Augenschein nahmen, sahen den Kliniknotizen zufolge das: „Geschwollene und leblose Augenlider, Tränensäcke, platte Nase, Mondgesicht, flache Brüste, Fettablagerungen an Hintern und Oberschenkel“. Arbeit also, viel Arbeit. Ihre Chance sahen sie auch. „Ich habe Hao Lulu designt“, sagt stolz Li Jing, die Medizinische Direktorin der Pekinger Evercare-Klinik. „Und ich habe sie erfunden“, sagt Bao Huai, Marketingmanager der Klinik: „Chinas erste menschengeschaffene Schönheit.“
Die alte Hao Lulu war nicht hässlich; gewöhnlich wäre das Schlimmste, was man über sie hätte sagen können. Aber sie träumte von einer neuen Nase, spätestens seit sie 16 war, und die vor einem Jahr eröffnete Spezialklinik für Schönheitsoperationen brauchte dringend einen Impuls für das sich zäh dahinschleppende Geschäft. Bao Huai hatte die Idee: Man suche sich ein nettes Mädchen, erneuere es von Kopf bis Fuß – und sammle hernach die Schlagzeilen ein. Er sprach seine Bekannte Hao Lulu an – und die war begeistert. Zumal sich für die Kosten von 300.000 Yuan (30.000 Euro) sofort ein Sponsor fand.

Haos lebhafte Persönlichkeit war wie geschaffen für die Kameras der Fernsehsender, die sich auf die Geschichte stürzten: Zum ersten Mal lässt sich in China ein Mensch generalüberholen. „Meine Strategie war perfekt, sagt Bao Huai, der in den Presseberichten stets als eine Art wohlmeinender Dr. Frankenstein an der Seite seiner Kreatur auftaucht.
Wie oft haben sich die Ärzte im letzten halben Jahr an ihr zu schaffen gemacht? Hmm, murmelt Hao Lulu, lässt ihre Hand am Oeuvre von insgesamt acht Ärzten entlangwandern und beginnt zu zählen: Hier wurde gefaltet, da weggeschnitten, dort erhöht, zugespitzt, abgesaugt, gelupft, gespritzt und vergrößert. Neu sind Augen, Nase, Hals, Busen, Bauch, Taille, Hintern, Ober- und Unterschenkel. „Wohl ein Dutzend Mal“, sagt die so neu Geschaffene.
Stets verfolgen Hao die Kameras. Und der Umsatz von Evercare legt mit jedem Mal so zu, dass Direktorin Li Jing sich auf Hao Lulu stürzt, wenn diese die Klinik betritt, und ihr entgegenruft: „Meine Kostbare! Meine Chefin!“
Drei Kliniken hat Evercare mittlerweile in Peking, 120 Angestellte, drei Millionen Yuan Umsatz im Monat. Doktor Chen zitiert eine Statistik, wonach in China im letzten Jahrzehnt durch Pfusch im OP 200.000 Gesichter zerstört worden sind. „Daraus können Sie sehen“, meint Chen, „wie groß der Markt schon ist.“
Der verbreitetste Wunsch ist seit Jahren der nach größeren und runderen Augen; die Ärzte erfüllen ihn durch das Einziehen einer Falte in den oberen Lidern. In Jahren gezählt, ist es noch nicht so lange her, dass in Maos China Rouge und Lippenstift aus einer braven Frau eine Reaktionärin und Schlampe machten – gefühlt aber ist es eine Ewigkeit. Spätestens seit Cosmopolitan 1998 mit seinem Markteintritt die Hochglanzschlacht um die modebewusste Konsumentin in China eröffnete, beherrscht die Sorge um Aussehen und Chic den Alltag junger Frauen auch hier.
Wenn Hao Lulu bewundert wird, dann für ihren unbedingten Willen zum bürgerlichen Hedonismus – der in diesem Land den einen schicksalshaften Fang voraussetzt: den richtigen Ehemann. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Hao Lulu: „Dies ist noch immer eine von Männern dominierte Gesellschaft.“
Direktorin Li hat sich die Augensäcke wegschneiden lassen und hat nun eine Haut so glatt wie eine geschälte Litschi, findet aber, perfekt sei man nie. Höfliches Räuspern: Ob man sich nach ihrem Alter erkundigen dürfe? Sie wendet sich dem Reporter zu und fährt ihren Zeigefinger aus: An der Wangenpartie, murmelt sie, könne man durchaus noch etwas verbessern.
Kai Strittmatter, EMMA 4/2005
Dieser Artikel gehört zum

Dossier: China

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