Die Farce mit der Vergewaltigung

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Seit 20 Jahren wird über eine Reform des Vergewaltigungsgesetzes diskutiert. Seit 20 Jahren kommt der Gesetzgeber nicht vom Fleck. Warum wohl? -Dies ist die Chronik eines Katz- und Maus-Spiels, in dem die Kater sich nicht zu blöde sind, immer dieselben Tricks anzuwenden. Wie lange machen die Mäuse noch mit?

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Es ist schon grotesk. Wenn wir in der EMMA so zurückblättern, dann blättern wir in 18 Jahren Berichterstattung über die Diskussion um die Reformierung der Vergewaltigungs-paragraphen und die Vergewaltigung in der Ehe. Und das sind die Schlagzeilen: „Vergewaltigung in der Ehe, nicht Pflicht aber Gewohnheit." „Ehefrauen weiter vogelfrei." „Eins vor, zwei zurück." „Skandal in Bonn." Skandal in Bonn. Der Dauerbrenner. Seit Monaten geht wieder ein Rauschen durch die Medien: Die Vergewaltigung in der Ehe soll nicht länger Herrenrecht sein, sondern genauso ein Verbrechen wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe. Viele berichteten durchaus einfühlsam: Jede fünfte Ehefrau ist schon mal oder immer wieder vergewaltigt worden (das wussten Allensbach und „stern" bereits 1976), mindestens 160.000 Ehefrauen sind betroffen (hat BKA-Psychologe Michael Baurmann gezählt). „Je näher Täter und Opfer sich kennen, umso brutaler die sexuelle Gewalt. Die meisten Vergewaltiger sind potentielle Wiederholungstäter" (weiß Sexualwissenschaftler Kröhn). „Man kann nur hoffen", dass das Gesetz geändert wird (bekennt CDU-Rechtsexperte Eylmann).
Interessant übrigens, dass zum Thema Vergewaltigung in der Ehe fast ausschließlich Männer zitiert werden. Aus der Politik oder als Experten, von den Medizinern über die Polizei bis zu den Juristen. Frauen scheinen bei dem Thema qua Natur disqualifiziert zu sein. Eben voreingenommen als (potentielle) Opfer.
Das Vergewaltigungsgesetz soll nun angeblich wirklich reformiert werden. Die Justizministerin persönlich kündigte einen „einheitlichen Tatbestand für Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch" an, und das sogar im Interview mit EMMA. Holla, Frau Ministerin, zu weit vorgeprescht. Leutheusser-Schnarrenberger wurde, so ist aus Bonn zu vernehmen, flugs die Federführung für die Reform aus der Hand genommen. Sie konnte ihren Gesetzentwurf erst gar nicht ins Kabinett einbringen.
Die Regierungskoalition bastelt nun an einem neuen Entwurf. Wie der aussehen wird, lässt der CDU-Abgeordnete Freiherr von Stetten ahnen. Der Unions-Obmann im Rechtsausschuss des Bundestags machte jüngst seine Auffassung zur Problematik per Rundbrief in der ganzen Unionsfraktion publik: „Zum ehelichen Leben gehört auch, die 'Unlust' des Partners zu überwinden. (...) Was ist noch Vorspiel und was ist Bedrängung, was ist Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung?"
Viele Fragen, wenige Antworten. Zunächst einmal zum Tatbestand: Geändert werden sollen die Vergewaltigungs-Paragraphen 177 bis 179 nicht nur in Bezug auf die bisher von der Strafandrohung ausdrücklich ausgenommene eheliche Vergewaltigung (nur die „außereheliche" wird bisher bestraft), sondern auch in Bezug auf die Definition von Vergewaltigung an sich. Bisher gilt nur der klassische Koitus rechtlich als Vergewaltigung, was weniger mit der sexuellen Unversehrtheit und Selbstbestimmung der Frauen und mehr mit dem Herrenrecht auf den garantiert selbst gezeugten Nachwuchs zu tun hat. Seit 20 Jahren aber fordern Feministinnen und mit ihnen zunehmend viele Frauen, auch bis weit in die Ränge der CDU/CSU hinein, ein anderes, ein angemessenes Verständnis von Vergewaltigung. Danach soll:
•    Vergewaltigung auch sein, wenn sie innerhalb der Ehe stattfindet;
•    Vergewaltigung auch sein, wenn die Frau oral oder anal penetriert wird;
•    Vergewaltigung auch sein, wenn die Frau nicht mit dem Penis, sondern Gegenständen penetriert wird (wie es häufig geschieht mit Flaschen, Besenstielen etc.).

Feministinnen und zunehmend viele Juristinnen sind sich seit langem darüber einig, dass ebenso der passive Widerstand der Opfer und der psychische Druck der Täter ernst genommen werden muss. Wichtig wäre auch, dass die besonders brutale Gruppenvergewaltigung, in dem eine ganze Bande Männer über eine Frau herfällt, verschärft bestraft wird.
Bereits 1982 übernahmen die Sozialdemokraten und die Grünen einen Teil dieser Forderungen. 1984 erklärte der damalige CDU-Familienminister Geissler in EMMA sein „Verständnis für diejenigen, die dem Straftatbestand der Vergewaltigung auch in der Ehe Geltung verschaffen wollen". 1988 machten sich FDP-Justizminister Engelhard und CDU-Frauenministerin Süssmuth für die Bestrafung ehelicher Vergewaltiger stark. Rita Süssmuth verfasste sogar einen hauseigenen Entwurf, kam aber nicht weit damit: die Lebensschützer aus den eigenen Reihen schlugen ihr die gute Absicht aus der Hand. Sie waren angeblich besorgt, dass in Zukunft Frauen behaupten würden, sie seien von ihrem Ehemann vergewaltigt worden, um mit der kriminologischen Indikation straflos abtreiben zu können... Die Grünen legten 1988 einen Entwurf vor, in dem sie vorschlugen, gleichzeitig mit der Reform die Mindeststrafe für Vergewaltigung von zwei Jahren auf ein Jahr zu senken (was bedeutet hätte, dass Vergewaltiger noch weniger ins Gefängnis kommen, da alle Strafen unter zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden können).
Sodann wurde die Reform klammheimlich von allen wieder beerdigt, ganz im Geist des „Juristenvaters" Feuerbach (1775-1833), der vor mehr als 100 Jahren erfrischend offen zur Sache sprach: „Wer, wie der Ehemann, auf den Beischlaf ein vollkommenes Recht hat, macht sich durch Erzwingung desselben keiner Notzucht schuldig."
Jetzt schreiben wir das Jahr 1995. Nun also wieder Reformabsichten. Angeblich. Und zwar vielfach. Die Reformentwürfe der SPD und der FDP (die inzwischen schon wieder aus dem Verkehr gezogen wurden) enthalten die sogenannte „Versöhnungsklausel": „Das Gericht kann die Strafe mildern oder von Strafe absehen", wenn das Opfer „die Ehe retten" will. Dies wäre allerdings grundsätzlich rechtlich fragwürdig - denn entweder ist auch Vergewaltigung in der Ehe ein verfolgungswürdiges Verbrechen (nämlich ein sogenanntes „Offizialdelikt") oder sie ist es nicht. Außerdem wäre es Augenwischerei: Schließlich kann sich jede Ehefrau in jedem Prozess auf ihr Recht der „Zeugnisverweigerung" berufen und wäre damit als Hauptzeugin der Anklage sowieso hinfällig.
Bündnis 90/Die Grünen schließlich berücksichtigen in ihrem Gesetzentwurf zwar sowohl jede Art von Penetration und schwadronieren auch nicht von einer „Versöhnungsklausel" - dafür diskutieren sie aber mal wieder die Frage der „Entkriminalisierung" der Vergewaltiger: Sie möchten noch immer die Mindeststrafe von zwei Jahren auf ein Jahr senken.
Nur der PDS-Entwurf ist konsequent (was vielleicht daran liegt, dass die PDS am wenigsten Gefahr läuft, ihre Ideen auch umsetzen zu müssen). Er berücksichtigt alle Frauenforderungen, inklusive einer auf fünf Jahre verschärften Strafe bei Gruppenvergewaltigung.

Bei der Regierungspartei CDU/CSU hingegen ist noch alles offen... Da schwanken die Meinungen zwischen der des Freiherrn von Stetten und der des Horst Eylmann, wobei die von Stettens weit häufiger in diesen Kreisen vertreten sind als die Eylmanns. Die alten Kampen wie Geissler und Süssmuth scheinen ganz bedient zu sein - sie melden sich überhaupt nicht mehr zu Wort.
Zur Zeit gibt es also nur drei zumindest theoretisch vom Parlament verabschiedungsreife Entwürfe: einen Entwurf des Bundesrates, in dem die SPD in der Mehrheit ist, und der ganz indiskutabel ist, weil er noch nicht einmal den Vergewaltigungsbegriff neu definiert und für die „Versöhnungsklausel" plädiert; den Entwurf der SPD-Fraktion; sowie den PDS-Entwurf. Alle anderen Entwürfe sind parteiintern oder noch gar nicht zu Ende formuliert.
Darüber grämt sich nicht nur EMMA. Auch der „Deutsche Juristinnenbund" ist es langsam leid. Er hält die Reform für „längst überfällig" und gar nichts von der „Versöhnungsklausel": „Die staatliche Verfolgung darf nicht davon abhängig gemacht werden, wie sich die Beziehung zwischen Täter und Opfer gestaltet. Es gibt keinen sachlichen Grund, bei Vergewaltigungen anders zu verfahren als bei Raub oder Mordversuch in der Ehe."
Hört sich logisch an. Aber hier geht es ja nicht um Logik und auch nicht um Recht, hier geht es um Herrenrecht. Wo kämen wir hin, wenn ein Ehemann mit seiner Frau nicht mehr machen darf, was ER will? Und was sollte so schlimm daran sein, wenn man mal ein Späßchen mit seiner eigenen Frau treibt? Und warum sollten die Gruppenvergewaltigungen strafwürdiger sein als die anderen?
Viele Fragen, kaum Antworten. Übrigens: In Ländern, in denen die Vergewaltigung in der Ehe schon unter Strafe steht, wie zum Beispiel in Schweden oder der Ex-UdSSR, gibt es dennoch fast keine Anzeigen von Ehefrauen wegen Vergewaltigung, stellte das Max-Planck-Institut vor einigen Jahren in einer vergleichenden Rechtsuntersuchung fest. Was bei etwas genauerem Nachdenken nicht sonderlich überrascht: Schließlich gibt es ja aus den immer mehr werdenden, sogenannten „eheähnlichen" Beziehungen hierzulande kaum Anzeigen gegen rabiate Partner. Das Gesetz, das in Deutschland so verbittert verhindert oder verwässert werden soll, würde also vermutlich auch nach seiner Verabschiedung kaum je die Juristen beschäftigen. Sein Wert liegt eher im Symbolischen als im Rechtlichen.
Ein Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe würde eine größere Rolle in den Köpfen der Menschen spielen als in den Gerichtssälen. Dennoch bzw. genau darum dürfen wir wohl noch lange nicht darauf hoffen.
ExpertInnen gehen davon aus, dass dieses Welches-auch-immer-Gesetz „nicht vor der Sommerpause verabschiedet wird". Realistinnen haben „erhebliche Zweifel, ob die Reform des Vergewaltigungsgesetzes noch in diesem Jahr verabschiedet wird". Schlimmer noch: „Wenn es in dieser Legislaturperiode klappt, können wir froh sein."
Froh zu sein, bedarf es bekanntlich wenig. Aber wollen wir wetten, dass wir mal wieder gar keinen Grund dazu haben werden?        

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