Corona: „Keinen Euro für Bordelle!“
Schon beim Lockdown im März war die Lage der Frauen auf dem Berliner Strich an der Kurfürstenstraße katastrophal. „Viele Frauen wurden von den Bordellen auf die Straße gesetzt. Die zahlreichen obdachlosen Frauen vom Straßenstrich hatten nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten. Es gab zwei Einrichtungen, in denen die Frauen einen Schlafplatz bekamen. Doch die Plätze reichten bei weitem nicht aus. Viele Frauen mussten weiterhin in Kellern, Durchfahrten, Parkhäusern oder auf Brachflächen übernachten.“
So schildern Sisters Berlin, das Aussteigerinnen-Netzwerk „Ella“ und die Streetwork-Initiative „Neustart“ die Lage im März. Jetzt geht alles wieder von vorne los. Seit 1. November sind „sexuelle Dienstleistungen“ verboten, Straßenstrich und Bordelle geschlossen.
Für die BordellbetreiberInnen hält sich das Problem allerdings in Grenzen. Bordelle gelten in Deutschland schließlich als ganz normale Unternehmen, und als solche „entschädigt“ der Staat auch sie – wie Restaurants oder Fitness-Studios - mit 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresmonat. Schicken Bordelle ihre Angestellten, zum Beispiel die Mitarbeiter der Security, in Kurzarbeit, wird auch das bezuschusst - aus Steuergeldern.
Frauen, die sich aus Not oder Zwang weiter prostituieren, müssen Strafen zahlen
Und die Prostituierten? Die sind ja angeblich selbstständig. De facto sind aber viele von Sozialleistungen wie Hartz IV ausgeschlossen, weil sie keine Wohnung, kein Konto, keine Sozialversicherungsnummer haben. Und wenn sie sich aus Not oder Zwang weiter prostituieren, müssen sie auch noch Geldstrafen bis zu 5.000 Euro zahlen.
„Es darf nicht sein, dass diejenigen, die sexuell und finanziell ausgebeutet werden – die in der Prostitution tätigen Frauen – in dieser Situation die Hauptleidtragenden sind!“, erklären Sisters Berlin, „Ella“ und „Neustart“.
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Gemeinsam fordern sie: 1. „Keinen Euro für Bordelle!“ Stattdessen sollen die „Profiteure der Ausbeutung massive Geldbußen zahlen“, wenn sie die Prostitutionsstätte trotz Verbotes weiter betreiben. 2. „Die Bestrafung der Freier, denn sie nutzen die Not der Frauen rücksichtslos aus!“ 3. „Die vollständige Entkriminalisierung der in der Prostitution Tätigen! Keine Bußgelder für die sogenannte ‚Erbringung sexueller Dienstleistungen‘!“ Und: (Ausstiegs)Hilfen für die Frauen!
Die drei Initiativen wollen zum Beispiel ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten und die Schaffung eines Notfonds, aus dem die Armutsprostituierten unterstützt werden können. Im März-Lockdown hatten Sisters, Ella und Neustart einen solchen Fonds aus Spendengeldern ins Leben gerufen. Aber wäre das nicht eigentlich Aufgabe des Staates, der überhaupt zulässt, dass Frauen sich unter solch erbärmlichen Bedingungen prostituieren müssen?
Die Frauen haben Angst vor Corona,
sie haben keine Krankenversicherung
Ja, sagt auch Solwodi. „Der Staat stellt viele Hilfen bereit, um die negativen Folgen des Lockdowns abzufedern. Nötig wäre auch ein gut ausgestattetes Hilfsprogramm für die Frauen in der Prostitution“, erklärt die von Sr. Lea Ackermann gegründete Hilfsorganisation, die seit 35 Jahren Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützt. Auch die Streetworkerinnen von Solwodi kennen die desaströse Lage der Frauen.
„Sie fürchten die Obdachlosigkeit im nahenden Winter. Die Frauen wissen nicht, ob und wie sie staatliche Leistungen beantragen können, sie haben oft keine Krankenversicherung und umso mehr Angst vor einer Infektion. Viele sprechen nur wenig Deutsch, verstehen die Situation nicht und erhalten aus ihrem Umfeld nur unzulängliche oder gar falsche Informationen über das Virus.“ Fazit: „Corona hat gezeigt, wie gefährlich, würdelos und prekär die Situation der Frauen in der Prostitution ist. Kurzfristige Überbrückungshilfe ist jetzt wichtig!“ Und langfristig braucht es „wirksame Ausstiegskonzepte und ein Sexkaufverbot, die dem Menschenhandel und der Prostitution nachhaltig den Boden entziehen.“