Lockdown: Isolierte Mütter
Frau Meier-Seethaler, zwei Drittel der unbezahlten Arbeiten werden heute von Frauen ausgeführt und sogenannte „Frauenberufe“ werden schlechter bezahlt als Männerberufe. Verlierer in diesem System sind die Frauen. Und ihre Situation verschärft sich weltweit durch die Corona-Pandemie...
Tatsache ist, dass die heute sogenannte Care-Arbeit der Frauen gegenüber männlichen Leistungen abgewertet und immer noch viel schlechter bezahlt wird. Ganz abgesehen davon, dass Frauen den Löwenanteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung bewältigen. Allerdings bin ich nicht der Auffassung, dass das kapitalistische System Männern nur Vorteile bringt. Schließlich ruinieren viele von ihnen dabei ihre Gesundheit.
Weshalb ist es so schwierig, die Frauen aus der Kleinfamilie zu „befreien“?
Niemals zuvor waren Mütter so isoliert mit ihren Kindern wie heute in einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, zu der der Mann und Vater erst nach einem langen Arbeitstag am Abend zurückkehrt. Die Befreiung aus diesem für alle Familienmitglieder unbefriedigenden Zustand wäre nur durch eine gerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern möglich und zusätzlich durch eine völlig neue Wohnarchitektur: Etwa durch genossenschaftlich organisierte Siedlungen und Mietobjekte, die ein „verbundenes Wohnen“ erlauben; eine Art nicht blutsverwandter Sippe, welche den früheren verwandtschaftlichen Zusammenhalt ersetzen könnte.
Diesen Aspekt macht der Lockdown während der Corona-Krise hoch aktuell: Bei geschlossenen Kitas, Kindergärten und Schulen und beim Wegfall des großelterlichen Beistands ist es jungen Eltern fast unmöglich, die beruflichen Tätigkeiten im Homeoffice mit der Betreuung ihrer Kinder zu vereinbaren. Besonders in engen Wohnverhältnissen besteht die einzige Rettung in der gegenseitigen nachbarschaftlichen Hilfe.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Ursprünge und Befreiungen“ über die Revolution der Väter, die sich heute mit ihren Kindern deutlich mehr abgeben, als es ihre eigenen Väter gemacht haben. Wenn es aber darauf ankommt, ordnen diese modernen Väter ihre Kinder der Arbeit unter.
Es kommt immer wieder vor, dass Männer ihren Vaterschaftsurlaub nur bedingt wahrnehmen oder sich den häuslichen Betreuungsaufgaben durch Flucht in den Beruf entziehen. Eigentlich könnte dies aufzeigen, wie aufreibend Kinderbetreuung für eine Einzelperson im isolierten Kleinfamilienmodell tatsächlich ist, und zwar für Väter ebenso wie für Mütter. Nur wird von Frauen wie selbstverständlich unendliche Geduld unter Verzicht eigener Interessen erwartet. Eine Entlastung für beide Eltern wäre eine kinderfreundliche Umgebung, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu anderen Familien mit Kleinkindern und die Möglichkeit, die Kita-Betreuung zu beanspruchen.
Wäre es nicht ein grundsätzliches Ziel für alle, sich von Arbeit zu emanzipieren, um sich auf sein eigenes, „gutes“ Leben zu konzentrieren?
Zunächst wäre der Begriff „Arbeit“ zu definieren. Wenn ich gute Arbeit als sinnvolle Tätigkeit verstehe, möchte ich mich davon nicht emanzipieren. Belastend ist Arbeit immer dann, wenn ich einer Erwerbsarbeit nachgehen muss, die mir sinnlos erscheint oder die schädlich ist für Menschen und Umwelt. Belastend ist aber auch der Stress durch Zeitdruck, das heißt immer effizientere Leistung in kürzerer Zeit erbringen zu müssen. Dieser tödliche Wettbewerb, wie ich ihn nenne, ist einer der Grundpfeiler der neoliberalen Wirtschaftstheorie.
Im Grunde haben wir es mit einer Marktreligion zu tun, die sich in den USA mit der calvinistischen Vorstellung verband, dass Reichtum ein Anzeichen göttlicher Gnade sei. Aus angelsächsischer Sicht gibt es zum kapitalistischen System keine Alternative, weil andernfalls die kommunistische Wirtschaftsdiktatur drohen würde.
UNO-Statistiken zeigen, dass weltweit zwei Drittel der menschlichen Arbeit von Frauen geleistet werden – trotzdem verfügen sie über weniger Geld als Männer.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wäre eigentlich selbstverständlich. Innerhalb der Kleinfamilie egalitäre Einkommensverhältnisse zu schaffen, ist aber nur möglich, wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Mann und Frau hälftig aufgeteilt werden. Dies bedingt den Abschied von der Ernährerrolle des Mannes, die bis vor kurzem zu seinem Selbstverständnis gehörte. Im Zeichen der vierten industriellen Revolution mit der Roboterisierung und der Digitalisierung unserer Wirtschaft steht das bedingungslose Grundeinkommen für alle zur Diskussion. Dies halte ich nur unter zwei Bedingungen für wünschenswert: Erstens setzt es eine egalitäre Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern voraus, damit das Grundeinkommen der Frau nicht als Abgeltung für ihre Haushalts und Betreuungsarbeit missverstanden wird, während sich der Mann nach wie vor außerhäuslichen Aufgaben zuwenden kann.
Zweitens ist der Verlust von Arbeitsplätzen nicht einfach durch Geld zu ersetzen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern braucht das Wirken in der Gemeinschaft und die Anerkennung, die er daraus bezieht. Betätigungsfelder im sozialen und ökologischen Bereich gäbe es ja immer noch genügend, doch müssten sie gemeinschaftlich organisiert werden und nicht der individuellen Initiative überlassen bleiben.
Der Kapitalismus und das Patriarchat verhindern, dass Frauen und Männer ein gleichberechtigtes Leben führen können. Weshalb wird das in der Öffentlichkeit nicht benannt – und diskutiert?
Der fortgeschrittene, neoliberale Kapitalismus schafft sich Monopole der Meinungsbildung und verhindert damit die öffentliche Diskussion. Wenn immer mehr Zeitungen in die Hände von Kreisen geraten, die dem Finanzkapitalismus nahe stehen, und auch in anderen Medien der freie und verantwortungsbewusste Journalismus an Boden verliert, ist es nicht verwunderlich, wenn systemkritische Stimmen nur selten zu Wort kommen. Aber die gibt es, und zwar in bemerkenswerter Zahl: hochqualifizierte Autorinnen und Autoren, die sich mit den negativen Folgen unserer Wirtschafts und Gesellschaftspolitik auseinandersetzen und sehr konkrete Maßnahmen für eine positive Wende vorschlagen. Nur steht keine finanzkräftige Lobby hinter ihnen. Wir haben nur eine Chance, wenn wir, die schweigende Mehrheit, uns zu Wort melden.
Das Gespräch führte die Journalistin Sibylle Stillhart. Ganz nachzulesen in der September/Oktober-EMMA und in ihrem Buch „Schluss mit gratis! Frauen zwischen Lohn und Arbeit“ (Limmat).