Lockdown: Isolierte Mütter

Foto: Konstantin Trubavin/Westend61/imago images
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Frau Meier-Seethaler, zwei Drittel der unbezahlten Arbeiten werden heute von Frauen ausgeführt und sogenannte „Frauenberufe“ werden schlechter bezahlt als Männerberufe. Verlierer in diesem System sind die Frauen. Und ihre Situation verschärft sich weltweit durch die Corona-Pandemie...
Tatsache ist, dass die heute sogenannte Care­-Arbeit der Frauen gegenüber männlichen Leistungen abgewertet und immer noch viel schlechter bezahlt wird. Ganz abgesehen davon, dass Frauen den Löwenanteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung bewältigen. Allerdings bin ich nicht der Auffassung, dass das kapitalistische System Männern nur Vorteile bringt. Schließlich ruinieren viele von ihnen dabei ihre Gesundheit.

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Die Schweizer Psychotherapeutin und Philosophin Carola Meier-Seethaler.
Die Schweizer Psychotherapeutin und Philosophin Carola Meier-Seethaler.

Weshalb ist es so schwierig, die Frauen aus der Kleinfamilie zu „befreien“?
Niemals zuvor waren Mütter so isoliert mit ihren Kindern wie heute in einer Drei­- oder Vierzimmerwohnung, zu der der Mann und Vater erst nach einem langen Arbeitstag am Abend zurückkehrt. Die Befreiung aus diesem für alle Familienmitglieder unbefriedigenden Zustand wäre nur durch eine gerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern möglich und zusätzlich durch eine völlig neue Wohnarchitektur: Etwa durch genossenschaftlich organisierte Siedlungen und Mietobjekte, die ein „verbundenes Wohnen“ erlauben; eine Art nicht blutsverwandter Sippe, welche den früheren verwandtschaftlichen Zusammenhalt ersetzen könnte.

Diesen Aspekt macht der Lockdown während der Corona­-Krise hoch aktuell: Bei geschlossenen Kitas, Kindergärten und Schulen und beim Wegfall des großelterlichen Beistands ist es jungen Eltern fast unmöglich, die beruflichen Tätigkeiten im Homeoffice mit der Betreuung ihrer Kinder zu vereinbaren. Besonders in engen Wohnverhältnissen besteht die einzige Rettung in der gegenseitigen nachbarschaftlichen Hilfe.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Ursprünge und Befreiungen“ über die Revolution der Väter, die sich heute mit ihren Kindern deutlich mehr abgeben, als es ihre eigenen Väter gemacht haben. Wenn es aber darauf ankommt, ordnen diese modernen Väter ihre Kinder der Arbeit unter.
Es kommt immer wieder vor, dass Männer ihren Vaterschaftsurlaub nur bedingt wahrnehmen oder sich den häuslichen Betreuungsaufgaben durch Flucht in den Beruf entziehen. Eigentlich könnte dies aufzeigen, wie aufreibend Kinderbetreuung für eine Einzelperson im isolierten Kleinfamilienmodell tatsächlich ist, und zwar für Väter ebenso wie für Mütter. Nur wird von Frauen wie selbstverständlich unendliche Geduld unter Verzicht eigener Interessen erwartet. Eine Entlastung für beide Eltern wäre eine kinderfreundliche Umgebung, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu anderen Familien mit Kleinkindern und die Möglichkeit, die Kita­-Betreuung zu beanspruchen.

Wäre es nicht ein grundsätzliches Ziel für alle, sich von Arbeit zu emanzipieren, um sich auf sein eigenes, „gutes“ Leben zu konzentrieren?
Zunächst wäre der Begriff „Arbeit“ zu definieren. Wenn ich gute Arbeit als sinnvolle Tätigkeit verstehe, möchte ich mich davon nicht emanzipieren. Belastend ist Arbeit immer dann, wenn ich einer Erwerbsarbeit nachgehen muss, die mir sinnlos erscheint oder die schädlich ist für Menschen und Umwelt. Belastend ist aber auch der Stress durch Zeitdruck, das heißt immer effizientere Leistung in kürzerer Zeit erbringen zu müssen. Dieser tödliche Wettbewerb, wie ich ihn nenne, ist einer der Grundpfeiler der neoliberalen Wirtschaftstheorie.

Im Grunde haben wir es mit einer Marktreligion zu tun, die sich in den USA mit der calvinistischen Vorstellung verband, dass Reichtum ein Anzeichen göttlicher Gnade sei. Aus angelsächsischer Sicht gibt es zum kapitalistischen System keine Alternative, weil andernfalls die kommunistische Wirtschaftsdiktatur drohen würde.

UNO-Statistiken zeigen, dass weltweit zwei Drittel der menschlichen Arbeit von Frauen geleistet werden – trotzdem verfügen sie über weniger Geld als Männer.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wäre eigentlich selbstverständlich. Innerhalb der Kleinfamilie egalitäre Einkommensverhältnisse zu schaffen, ist aber nur möglich, wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Mann und Frau hälftig aufgeteilt werden. Dies bedingt den Abschied von der Ernährerrolle des Mannes, die bis vor kurzem zu seinem Selbstverständnis gehörte. Im Zeichen der vierten industriellen Revolution mit der Roboterisierung und der Digitalisierung unserer Wirtschaft steht das bedingungslose Grundeinkommen für alle zur Diskussion. Dies halte ich nur unter zwei Bedingungen für wünschenswert: Erstens setzt es eine egalitäre Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern voraus, damit das Grundeinkommen der Frau nicht als Abgeltung für ihre Haushalts­ und Betreuungsarbeit missverstanden wird, während sich der Mann nach wie vor außerhäuslichen Aufgaben zuwenden kann.

Zweitens ist der Verlust von Arbeitsplätzen nicht einfach durch Geld zu ersetzen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern braucht das Wirken in der Gemeinschaft und die Anerkennung, die er daraus bezieht. Betätigungsfelder im sozialen und ökologischen Bereich gäbe es ja immer noch genügend, doch müssten sie gemeinschaftlich organisiert werden und nicht der individuellen Initiative überlassen bleiben.

Der Kapitalismus und das Patriarchat verhindern, dass Frauen und Männer ein gleichberechtigtes Leben führen können. Weshalb wird das in der Öffentlichkeit nicht benannt – und diskutiert?
Der fortgeschrittene, neoliberale Kapitalismus schafft sich Monopole der Meinungsbildung und verhindert damit die öffentliche Diskussion. Wenn immer mehr Zeitungen in die Hände von Kreisen geraten, die dem Finanzkapitalismus nahe stehen, und auch in anderen Medien der freie und verantwortungsbewusste Journalismus an Boden verliert, ist es nicht verwunderlich, wenn systemkritische Stimmen nur selten zu Wort kommen. Aber die gibt es, und zwar in bemerkenswerter Zahl: hochqualifizierte Autorinnen und Autoren, die sich mit den negativen Folgen unserer Wirtschafts­ und Gesellschaftspolitik auseinandersetzen und sehr konkrete Maßnahmen für eine positive Wende vorschlagen. Nur steht keine finanzkräftige Lobby hinter ihnen. Wir haben nur eine Chance, wenn wir, die schweigende Mehrheit, uns zu Wort melden.

Das Gespräch führte die Journalistin Sibylle Stillhart. Ganz nachzulesen in der September/Oktober-EMMA und in ihrem Buch „Schluss mit  gratis! Frauen zwischen Lohn und Arbeit“ (Limmat).

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Hilfe, er guckt Pornos!

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Es fing an mit Telefonaten. Erst die eine. Dann die andere. Dann noch eine. Immer dieselben Geschichten. Zunächst habe ich nur zugehört. Irgendwann fing ich an, mir Notizen zu machen. Denn mir scheint, was bei meinen Freundinnen gerade so passiert, ist zurzeit weit verbreitet. Zwischen Männern und Frauen tun sich Abgründe auf. Einer der größten sind die Pornos.

Weil in vielen Beziehungen der Mann oft den besseren Laptop oder den Rechner mit allem Pipapo hat, leihen Frauen sich im Homeoffice die Gerätschaften hin und wieder aus – und machen problematische Entdeckungen: abgespeicherte Pornos, Browserverläufe, die zu Pornhub führen; Spam-Mails à la „Lass uns ficken“; Werbung für Sex-Hotlines und -Chats. Eigentlich keine Überraschung. Deutschland ist Weltmeister in der  Pornobranche und mindestens jeder siebte Porno-Konsument kommt aus Deutschland. Aber der eigene Freund, der eigene Mann?

„Ich hätte nie gedacht, dass mein Freund Pornos guckt“, sagt die 29-jährige Anke (alle Namen sind geändert). Als sie den Laptop von ihrem Freund Sebastian für ein Grafikprogramm ausborgt, findet sie im Ordner „Technik-Parkplatz“ mehrere Hardcore-Pornos. Gefesselte Frauen, die röcheln, als würden sie sterben. Frauen, die in Kellerräumen von fünf Männern gleichzeitig vergewaltigt werden. Frauen, die wie Leichen aussehen. Anke ist entsetzt: „Mit dieser extremen Gewalt gegen Frauen komme ich nicht klar. Ich kann das einfach nicht akzeptieren.“

Sebastian versucht die Sache runterspielen: „Das machen doch alle Männer. Das hat nichts mit dir zu tun. Das ist doch nur zum Spaß.“ Für Anke aber ist es kein Spaß. Sollte Sebastian seinen  Pornokonsum nicht beenden – „Mache ich Schluss!“. Denn: „Diese Art Pornos sind ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen. Das ist der blanke Frauenhass.“ Sie kann sich nicht beruhigen: „Ich glaube, ich will keine Zukunft mit einem Menschen haben, der sowas nicht nur toleriert, sondern sich auch noch daran aufgeilt.“

Ähnlich sieht es die 42-jährige Carmen. Ihr Ehemann – und Vater ihrer drei Töchter – hatte vergessen, den Browser-Verlauf zu löschen. Carmen benutzt eigentlich nie seinen Computer, brauchte ihn aber, weil ihr Laptop kein CD-Laufwerk mehr hat und ihre Firmenunterlagen nicht per Mail verschickt werden durften.

„Mein Mann ist scheinbar ständig auf Pornhub unterwegs“, sagt sie durchs Telefon. Die ersten drei Filme, in die sie aus dem Verlauf reinschaute, fand sie „einfach nur ekelig“. „Da werden Gegenstände in Frauen reingesteckt. Flaschen, Pistolen, Besenstiele. Ich verstehe nicht, wie man sich an sowas aufgeilen kann. Das sind keine Sexfantasien, das sind Gewaltfantasien. Das hätte ich von Christian nicht gedacht.“

Christian hingegen findet, Carmen solle sich mal nicht so anstellen. Schließlich wäre sie ja oft auch viel zu müde für Sex, und dann würde er sich eben ein bisschen ablenken. Irgendwo müsse er ja hin mit dem Druck. Carmen weist auf die gemeinsamen drei Töchter hin: „Die jungen Frauen in den Pornos sind doch auch irgendjemandes Töchter. Wie kann man drei Mädchen zuhause haben und sich an der Erniedrigung von Frauen aufgeilen?“ Carmen hatte bislang noch nie an ihrer Ehe gezweifelt. Aber jetzt wird sie in nächster Zeit abends sehr oft sehr müde sein.

Die 26-jährige Franziska versucht zu verstehen, warum ihr 24-jähriger Freund Michael Pornos guckt. Sie hat zwar auch erst im Homeoffice die einschlägigen Dateien auf seinem Rechner (im Ordner „Betriebsanleitungen“) entdeckt, hatte sich das aber schon länger gedacht. „Er verwendet beim Sex manchmal so komische Ausdrücke, die hat er garantiert aus Pornos. Ich muss dann ehrlich gesagt immer lachen.“ Franziska findet Pornos einfach nur peinlich. „Eigentlich ist es doch echt traurig, wenn sich jemand vor dem Computer befriedigen muss.“

Michael sei ansonsten ein total ausgeglichener Typ und noch nie als Frauenfeind aufgefallen. Allerdings sei er „sexuell jetzt auch nicht so der Wahnsinn“, findet Franziska, „Vielleicht lebt er da in seiner Fantasie am Bildschirm was aus, was er in der Realität einfach nicht hinkriegt.“ Sie versucht, es zu tolerieren.

Für die 34-jährige Andrea ist der Porno-Fund auf dem Laptop ihres Freundes Sascha das Ende der Beziehung. „Frauen werden in Pornos wie der letzte Dreck behandelt. Es geht nicht um das Ausleben irgendeiner Sexualität, es geht um Gewalt, Erniedrigung und Macht. Ich habe Pornos gefunden, in den Frauen Verletzungen haben und bluten“, erzählt sie aufgebracht. „Wen so etwas erregt, der ist für mich total gestört. Mit so jemandem will ich nicht zusammen sein.“ Sascha konnte dazu nicht mehr viel sagen. Er wohnt jetzt bei einem Freund.

Und noch etwas fällt meinen Freundinnen auf: Der Sex ist rabiater geworden. Sie glauben, dass das nicht an den Pornos liegt, die haben die Männer ja offensichtlich schon lange vor Corona geguckt. Die meisten vermuten, dass alltägliche Konflikte wegen der räumlichen Nähe schärfer werden – und der harte Sex eine Art Rache ist. „Meistens streiten wir um die Kindererziehung“, erzählt Carmen, „und da hab ich nun mal oft recht. Im Bett habe ich jetzt öfter das Gefühl, dass Christian mir das irgendwie heimzahlen will.“

Auch bei Anke ist der Sex härter geworden. „Es liegt an der Hausarbeit. Alles, was früher unsere Putzfrau gemacht hat, teilen wir uns jetzt. Und da hat Sebastian einfach keinen Bock drauf. Ich sehe gar nicht ein, mehr zu machen, wir arbeiten schließlich beide in Vollzeit aus dem Homeoffice. Wir streiten uns ständig wegen Kleinigkeiten. Diese Nähe den ganzen Tag tut uns nicht gut. Abends will er sich dann abreagieren. Wenn das so weiter geht, habe ich bald keine Lust mehr auf ihn.“

Wenn wir uns alle bald wieder „in echt“ und nicht nur am Telefon treffen, spielen Pornos hoffentlich keine Rolle mehr. Ihre Männer aber werden meine Freundinnen mit anderen Augen sehen.

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