Corona: Paare in der Krise
In Großbritannien laufen Wetten darüber, ob es in zehn Monaten mehr Babys oder mehr Scheidungen gibt. Höre ich mich in meinem Bekanntenkreis um, dürfte leider letzteres der Fall sein. Corona lässt tief blicken. Es kriselt in vielen Beziehungen. Auch in vermeintlich gleichberechtigten.
Kristin (28) & Markus (30): Eigentlich wollten sie im Mai heiraten. Die Hochzeit ist abgesagt, es wäre eine Großveranstaltung mit 120 Gästen geworden. Kristin ist froh darüber. Sie weiß nicht, ob sie Markus überhaupt noch will.
Es begann mit dem Homeoffice. Markus startete früher mit der Arbeit von zuhause aus, besetzte das Büro in der gemeinsamen Dreizimmer-Wohnung. Als Kristin eine Woche später auch ins Homeoffice ging, musste sie ihr Büro im Wohnzimmer aufbauen und abends räumen. Ganz nebenbei hörte Markus damit auf, morgens sein Bett zu machen, in der Wohnung aufzuräumen, Wäsche zu waschen, Kaffeetassen in die Spülmaschine zu stellen. Einfach so.
Und am schlimmsten: Frau Kruse kommt nicht mehr. Die Putzfrau. Seither versumpft die Wohnung. Weil Kristin sich weigert, alles alleine zu machen und Markus den Staubsauger nicht findet. Beide arbeiten Vollzeit. Vor Corona sind sie abends oft Essen gegangen und haben selten viel gemeinsame Zeit in der Wohnung verbracht. Als Markus anfing zu fragen: „Was gibt’s heute zu essen?“ platzte Kristin der Kragen. Ob Markus der Mann ihres Lebens ist, ist jetzt erst mal dahingestellt, der Kinderwunsch in weite Ferne gerückt.
Sarah (43) & Martin (46): Seit Corona fühlt Sarah sich wie eine Hausfrau in den 50er-Jahren. Martin verdient das „richtige“ Geld in der Familie, wie er sagt, und sie „ein Zubrot“. Sarah arbeitet in Teilzeit als Bürokauffrau. Sie könnte wie Martin problemlos im Homeoffice arbeiten. Zwei Wochen haben sie es ausprobiert. Doch irgendjemand musste ja mit den beiden Kindern Schulaufgaben machen, kochen, putzen, einkaufen gehen. Außerdem besetzt Martin das Festnetztelefon und den Computer. Sarah arbeitet jetzt abends und nachts.
Abends geht Martin joggen, um „einen Ausgleich“ zu haben. Die Kinder leiden unter der angespannten Atmosphäre. Als Sarah Martin sagte, er solle das Abendessen machen, entgegnete er: „Warum? Du hast doch eh nichts zu tun.“ Seitdem schläft Martin auf der Couch.
Ingrid (65) & Herbert (67): Ingrid ist wütend. Weil Herbert Corona nicht ernst nimmt. Obwohl sie beide dicht an der Risikogruppe sind, tut Herbert so, als wäre Corona ja nur was für Weicheier und alte Menschen. Herbert besucht weiterhin munter seine Verwandtschaft, geht jeden Tag einkaufen, hält es mit dem Händewaschen wie vor Corona und macht sich über Ingrid lustig, wenn die sagt, dass sie sich Sorgen mache. Er bringt sogar Nachbarn mit nach Hause, auf ein Bier.
Ingrid ist gesundheitlich angeschlagen, sie hat Angst. Dass Herbert darauf keine Rücksicht nimmt, kann sie ihm nicht verzeihen. Überhaupt ist sie genervt von ihm. Von seiner vor sich hin pfeifenden Glückseligkeit und seiner Faulheit, während sie den Haushalt schmeißt. Bis vor zwei Jahren war er wenigstens noch arbeiten und sie hatte ihre Ruhe. Jetzt ist er immer da. Durch Corona noch mehr. Ingrid hätte große Lust, sich scheiden zu lassen. Doch ihr fehlt der Mut und das Geld. Das hat immer er verdient.
Corona wird zur Nagelprobe für vermeintlich intakte Beziehungen
Corona wird zur Nagelprobe für vermeintlich intakte Beziehungen. Während rund zwei Drittel der Familienväter Frauen haben, die ihnen im Zweifel den Rücken freihalten, braucht die berufstätige Mutter in der Regel kommunale oder private Betreuungshilfe, um arbeiten gehen zu können – die nun wegbricht. Nicht einmal sechs Prozent der Männer mit Kindern im Haushalt arbeiten Teilzeit.
Was viele Frauen oft erst nach der Geburt eines Kindes realisieren, zeigt Corona nur noch deutlicher: Die Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland ist von den 50ern gar nicht so weit entfernt. Da sage nochmal einer, der Feminismus habe sich erledigt.