Das bisschen Haushalt...
In den letzten Jahren ist die gleiche Geschichte bei mindestens zehn Paaren in meinem Bekanntenkreis passiert: Er bekommt ein Jobangebot in einer anderen Stadt, sie zieht mit ihm um – und muss seitdem schauen, wo sie beruflich bleibt. Oder es ist die ungleich verteilte Elternzeit mit anschließender Teilzeit, die Frauen beruflich ins Trudeln bringt. Dass dies nicht nur Anekdoten sind, sondern weitverbreitete Muster, belegen zahlreiche Studien.
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Frauen in Westdeutschland 45 Prozent weniger Lebenseinkommen haben als Männer (in Ostdeutschland sind es 40 Prozent). Besonders bei Frauen mit Kindern ist der Abstand groß. Nun könnte man zur Erklärung zahlreiche bekannte allgemeine kulturelle Faktoren heranziehen – über die wahrgenommene Kompetenz von Männern und Frauen, über die Zuständigkeit für die Familie etc. Aber mein Fach ist die Wirtschaftsphilosophie, und deshalb möchte ich besonders auf drei dort vorherrschende Denkmuster hinweisen, die man getrost auch als Denkfehler betrachten kann. Kaum jemand vertritt diese Denkfehler explizit; wenn man WissenschaftlerInnen darauf anspricht, weisen sie die Positionen empört von sich. Und doch stecken diese Annahmen in zahlreichen Modellen und institutionellen Praktiken und konnten große Wirkungsmacht entfalten.
Denkfehler Nr. 1: Der Haushalt als kleinste wirtschaftliche Einheit
Ein tief in der westlichen Kultur verankerter Ansatz ist es, den „Haushalt“ als die kleinste wirtschaftliche Einheit zu betrachten. „Oikonomia“, der altgriechische Ursprung von „Ökonomie“ kommt von „oikos“, der Hauseinheit. Diese umfasste früher typischerweise neben der Kernfamilie auch weitere Verwandte und zahlreiche SklavInnen, außerdem gab es Nutztiere und möglicherweise einen eigenen Garten oder Acker.
Die Hausgemeinschaft war streng hierarchisch strukturiert: der Hausvater stand ihr vor, so wie ein Monarch einem ganzen Land vorstand. Gerade in der Art und Weise, wie im westlichen Denken die griechische Antike dargestellt wurde (die historische Wirklichkeit war sicherlich komplexer), war dieser „oikos“ der Ort, an dem wirtschaftliche Fragen ihren Platz hatten: dort wurden menschliche Grundbedürfnisse befriedigt, dort wurden Nahrungsmittel hergestellt oder eingekauft, dort wurden die tagtäglichen Routinen des Haushalts erledigt.
Dieses Bild des „Haushalts“ zieht sich durch die Jahrhunderte, auch wenn, vor allem im 19. Jahrhundert, eine massive Schrumpfung erfolgte: Jetzt war es, zumindest in bürgerlichen Schichten, nur noch die Kernfamilie, die als Einheit zusammenlebte. Die Hierarchie aber, dass der Mann dabei das Sagen hat, blieb erhalten, und wurde durch die Geschlechterteilung bei der außerhäuslichen Arbeit weiter verstärkt. Auch in viele philosophische Theorien, zum Beispiel in der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, hat implizit dieses Bild Einzug gehalten. Was feministische Kritikerinnen oft anmerkten, was aber die sozialen Praktiken nur unzureichend verändert hat.
In den meisten ökonomischen Modellen und institutionellen Praktiken, wie in öffentlichen Statistiken, ist es dieser „Haushalt“, der die kleinste Einheit bleibt. Zum Beispiel wird bis heute an vielen Stellen das „Haushaltseinkommen“ erhoben, ohne zu fragen, wer darüber eigentlich verfügen darf; das deutsche Ehegattensplitting zementiert die Besteuerung dieses „Haushaltseinkommens“ auf eine Art, die das Modell „Vollzeit plus Teilzeit“ besonders attraktiv macht.
Die „Kernfamilie“ ist in weiten Kreisen bis heute weiterhin der Orientierungspunkt dessen, was als „normales“ Leben gilt, auch und gerade dann, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht. In der Praxis heißt das dann oft: eine Person ist Hauptverdiener (seltener Hauptverdienerin), die andere Person kümmert sich stärker um Kinder und Haushalt und arbeitet vielleicht noch in Teilzeit.
Natürlich würden heute viele Paare behaupten, dass sie sich von den traditionellen Hierarchien, die mit so einem Modell verbunden sind, gedanklich längst emanzipiert haben. Aber wie gleich kann die Macht wirklich verteilt sein, wenn das Einkommen so ungleich ist (und wir in kapitalistischen Gesellschaften leben, in denen Geld allzu oft mit Macht gleichgesetzt wird)? Wie frei und gleichberechtigt sind z. B. jene Frauen, die einem Umzug für den Job des Partners oder der Partnerin zustimmen, wie viel Frust über diese Situation schlucken sie stillschweigend hinunter? Wie viele Frauen bleiben bei PartnerInnen, von denen sie sich eigentlich gerne trennen würden, weil sie wirtschaftlich nicht auf eigenen Beinen stehen?
Spätestens, wenn man die Situation Alleinerziehender – typischerweise Mütter – betrachtet, wird klar, wie verheerend es ist, dass der Mythos vom „Haushalt“ als dem Ort der Kinderversorgung und des trauten Heims weiterhin so dominant ist. Denn die Unterstützungsmechanismen für diese Gruppe sind viel zu schwach; sie gehören u. a. zu den Gruppen, die oft trotz Arbeit auf soziale Unterstützung, in Form von Aufstockung, angewiesen sind. Typischerweise hat das damit zu tun, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten so unzureichend sind, dass sie nur in Teilzeit arbeiten können, was wiederum die Chancen auf anspruchsvolle Jobs, oder gar Führungspositionen, vermindert. Diese Frauen machen „Frauenjobs“, die vielleicht wirtschaftlich funktionieren würden, wenn sie eineN gutverdienendeN PartnerIn an ihrer Seite hätten, aber nicht, wenn es – oft aus allzu nachvollziehbaren Gründen – dieseN PartnerIn nicht gibt.
Dabei ist es nicht so, dass man das Rad neu erfinden müsste, um Lösungen zu finden; oft reicht es, sich an den Ländern zu orientieren, bei denen diese Dinge etwas besser laufen, z. B. in Skandinavien. Hochwertige, zuverlässige, solide finanzierte öffentliche Kinderbetreuung ist keine Frage der Unmöglichkeit – sondern der Zahlungsbereitschaft durch die Gesellschaft als ganze! Und von staatlicher Seite könnte auch noch viel mehr passieren, um die gegenseitige Unterstützung bei der Kinderbetreuung leichter zu machen, z. B. durch die Anerkennung von gemeinschaftlichen Strukturen jenseits der „Normalfamilie.“
Denkfehler Nr. 2: Arbeit als „Erwerbsarbeit“
Der zweite Denkfehler ist eng mit der Unterscheidung zwischen der privaten Sphäre des Haushalts und der öffentlichen Sphäre verbunden. Im antiken Stadtstaat war dies die Sphäre der Politik, in der gemeinsam über die Belange der Republik entschieden wurde. Heute ist daneben die Sphäre der „Erwerbsarbeit“ getreten, die zwar manchmal weiterhin als „Privatwirtschaft“ beschrieben wird, die aber doch ein öffentlicher, und von öffentlichen Regeln und Normen strukturierter Raum ist. Wer in diesem öffentlichen Raum Arbeit gegen Geld erledigt, nimmt damit am wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft teil. Wer dagegen im privaten Raum arbeitet, dessen (oder eben: deren) Arbeit ist nicht öffentlich sichtbar, unbezahlt und geht zum Beispiel ins Bruttoinlandsprodukt nicht ein. Ein und dieselbe Tätigkeit kann, je nachdem ob sie gegen Bezahlung oder ohne Lohn im privaten Bereich verübt wird, also völlig unterschiedlich bewertet werden.
Nun kann man sich trefflich darüber streiten, ob alles, was im familiären Raum passiert, als „Arbeit“ verstanden werden sollte. Und sicherlich hat gerade die Kindererziehung eine persönliche Komponente, die Eltern nicht, oder nicht vollständig, an andere Personen auslagern wollen. Aber es gibt eben auch die Aspekte der Haushaltsführung, vom Staubsaugen übers Fensterputzen bis zum Wäschewaschen, die ganz klar Arbeit sind – und auch das Vorlesen von Gute-Nacht-Geschichten muss zumindest in dem Sinne in die Gleichung eingehen, dass man in dieser Zeit keine andere Arbeit erledigen kann. Wenn die zwei erwachsenen Mitglieder eines normtypischen familiären Haushalts außerhalb des Haushalts arbeiten, also in „Erwerbsarbeit“ stehen, bleibt die Frage offen, wer all die anderen Arbeiten, die im Haushalt und bei der Betreuung von Kindern, Kranken und Alten nötig sind, erledigt.
Der Soziologe Oliver Nachtwey hat jüngst wieder darauf hingewiesen, dass Doppelverdienerfamilien dies in Deutschland nur deswegen bewältigen, weil sie – oft mit schlechtem Gewissen – einen Großteil dieser Aufgaben an andere auslagern. Heutzutage nimmt das selten die Form fester Hausangestellter an, dafür umso öfter die des Verlassens auf Lieferdienste oder app-basierte Putzdienste. Damit werden viele Aktivitäten ironischerweise wieder in den Bereich der „Erwerbsarbeit“ verschoben, aber oft zu fatal schlechten Arbeitsbedingungen. Oft sind es Menschen mit Migrationshintergrund oder anderweitig sozial benachteiligte Gruppen, die dann diese Arbeiten erledigen.
Denkfehler Nr. 3: „Aber sie wollen es doch“?!
Spricht man diese Fragen an, stößt man oft auf Zustimmung – manchmal aber auch auf Unbehagen. Eine erste Art des Unbehagens ist leicht zu erklären: sie entsteht, weil Menschen ihre Unfähigkeit, mit dieser Situation gut klarzukommen, peinlich ist. Sie verstehen sie als persönliches Versagen, weil sie von der Vorstellung angetrieben sind, es alles doch irgendwie schaffen zu müssen, am besten auf eine Art und Weise, die Hochglanzbilder für den Instagram-Feed von der glücklichen Familie abliefert. Dabei sind es tiefgehende strukturelle Probleme, um die es hier geht, und nur in zweiter Linie, mit großem Abstand, Fragen der persönlichen Lebensorganisation.
Eine zweite Art des Unbehagens ist tiefsitzender, und äußert sich oft in Form eines Einwands, der es verdient, ernstgenommen zu werden. Hier geht es um die Frage, wer eigentlich das Recht hat, Kritik an den sozialen Umständen zu äußern, wenn zumindest ein Teil derjenigen, die in diesen Umständen gefangen sind, sich darin gut wiederzufinden scheint. „Ich will das wirklich so“, beteuern zahlreiche Frauen, die ihre berufliche Tätigkeit zugunsten der Familie zurückschrauben. Und wer wäre man, als Außenstehende zu bestreiten, dass das ehrlich gemeint ist? Trotzdem muss es erlaubt sein, nachzufragen: Will die Person es in einem umfassenden Sinne so, oder will sie es unter den gegebenen Umständen so, weil es die beste aus einer Reihe von relativ schlechten Optionen ist? Würden nicht auch viele dieser Personen gerne die Chance haben, trotz Teilzeit bei der nächsten Beförderung berücksichtigt zu werden? Oder etwas mehr Geld zu haben, um ein paar Stunden Haushaltshilfe doch auslagern zu können, idealerweise mit fairem Lohn und guten Bedingungen?
Feministische TheoretikerInnen haben sich lange gefragt, warum manche Frauen zu den Strukturen, die sie unterdrücken, beizutragen und sie hochzuhalten scheinen. Eine naheliegende Erklärung ist, dass Menschen oft „adaptive Präferenzen“ haben: sie passen ihre Präferenzen an die Situation an, in der sie leben, um nicht ständig an die unerfüllten Wünsche darüber, wie ihr Leben vielleicht sonst noch hätte aussehen können, erinnert zu werden; alles andere wäre schließlich ein Rezept zum Noch-unglücklicher-sein. Aber das heißt nicht, dass die gleiche Person nicht in der Lage wäre, sich auch bessere Szenarien vorzustellen – in denen zum Beispiel die Familienarbeit leichter auf zwei (oder noch mehr) Menschen aufteilbar wäre, in denen Kinderbetreuung zuverlässiger wäre; und in denen es normal wäre, dass man in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich viel Zeit mit Erwerbsarbeit verbringt, ohne dadurch für den Rest des Lebens aufs Nebengleis rangiert zu werden.
Die sozialen Muster und Erwartungen, die an uns gerichtet werden, beeinflussen uns bekanntermaßen oft so stark, dass wir uns gar nicht klar machen, welche Rollen für Frauen und Männer, welche Verteilung von Erwerbs- und anderer Arbeit, und welche Hoffnungen auf wirtschaftliche Unabhängigkeit (oder deren Abwesenheit) wir mit uns herumtragen.
Es gibt empirische Studien, die zeigen, dass Männer und Frauen bei ansonsten identischen Szenarien im Schnitt drei Prozent Lohnunterschied für Männer und Frauen für gerecht halten – mit dem höheren Lohn für die Männer, versteht sich. Es ist nicht einfach, sich von Rollenmustern und verinnerlichten Erwartungen an sich selbst und an andere freizumachen – es kostet Energie, und die beste Chance darauf, dass es klappt, ist vermutlich die Suche nach Gleichgesinnten.
Uns von Denkschemata und Annahmen zu befreien, das ist seit je eher eines der zentralen Anliegen feministischer Philosophie, und der Philosophie überhaupt. „Ein Bild hielt uns gefangen,“ heißt es in einem berühmten Satz von Ludwig Wittgenstein, und weiter: „Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.“ Manchmal aber liegen die Bilder nicht nur in unserer Sprache, sondern auch in unseren Institutionen und sozialen Praktiken, abgelagert durch Jahrzehnte der Gewohnheitsbildung und der Verfestigung von Machtstrukturen.
Aus feministischer Perspektive müssen wir nicht nur die Bilder in Bezug auf Frauen hinterfragen, die uns gefangen halten, sondern auch diejenigen ökonomischen Bilder und Annahmen, die zu dieser Gefangenschaft beitragen.
LISA HERZOG