Das Desaster Betreuungsgeld
Die Rückschau: Seit November vergangenen Jahres ist das „Betreuungsgeld“ für die Koalitionäre beschlossene Sache. Ab 2013 soll demnach gelten: Bleibt Mama zu Hause, gibt es ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes 100 Euro. Ab 2014 sollen es dann 150 Euro sein. Nach Angaben des Familienministeriums ist das Betreuungsgeld im Jahr 2013 mit 400 Millionen Euro eingeplant, danach mit 1,2 Milliarden Euro im Jahr.
Dabei hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon 2008 in ihrer Studie „Babies and Bosses“ das Betreuungsgeld für „desaströs“ erklärt. Unter anderem, weil finanzielle Anreize für den Ausstieg von Müttern aus dem Beruf die Ursache für die relativ hohe Kinderarmut in Deutschland seien.
Darüber hinaus zeigt das Beispiel Thüringen seit nunmehr sechs Jahren anschaulich, wohin die Herdprämie führt: Seit das Bundesland das Betreuungsgeld eingeführt hat, ging die Zahl der Zweijährigen in Kitas von 80 auf 73 Prozent zurück. Abgemeldet wurden vor allem Kinder von Eltern, die auf Hartz IV angewiesen sind. Also genau die Eltern und Kinder, die von der Kita-Betreuung besonders profitieren.
Der kürzlich veröffentlichte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung bringt die Problematik auf den Punkt: Das Betreuungsgeld ist eines der zahlreichen widersprüchlichen Signale in der deutschen Gesetzgebung. Während zum Beispiel das neue Unterhaltsrecht Mütter zur Berufstätigkeit motivieren soll, tut das Betreuungsgeld das Gegenteil. So stellt die 226-Seiten-Expertise fest: „Für sozial schwache Familien werden attraktive Anreize gesetzt, ihre Kinder nicht an vorschulischer Erziehung teilnehmen zu lassen“. Stattdessen betreuen die Mütter ihre Kinder zu Hause. Allein.
Jüngst meldete die FTD mit Berufung auf das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) außerdem, dass die Rechnung des Familienministeriums ohnehin nicht aufgehe. Die Kosten werden deutlich höher ausfallen, als angenommen: etwa zwei Milliarden Euro jährlich. Unter anderem, weil Kita-Plätze fehlen, und deshalb schon jetzt absehbar ist, dass mehr Familien die Prämie für sich beanspruchen werden als ursprünglich gedacht.
Von der Merkel’schen „Wahlfreiheit“ kann vor dem Hintergrund des schleppenden Kita-Ausbaus ohnehin nicht die Rede sein. Ab 2013 soll jedes Kind unter drei Jahren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben. Nur fehlen bundesweit immer noch über 250.000 Plätze.
Kein Wunder also, dass sich der Streit innerhalb der schwarz-gelben Koalition zugespitzt hat. Am Wochenende haben nun 23 CDU-ParlamentarierInnen in einem offenen Brief an Fraktionschef Volker Kauder erklärt, dass sie dem von der bayerischen Frauenministerin Christine Haderthauer protegierten Gesetzentwurf nicht zustimmen werden. Was das Aus für das Betreuungsgeld bedeuten würde.
Zu den Unterzeichnerinnen gehören unter anderem die stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Fraktion, Ingrid Fischbach und Michael Kretschmer. Auch die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer steht „dem Betreuungsgeld skeptisch gegenüber“. Volker Beck von den Grünen nennt das CSU-Vorhaben „frauen- integrations- und haushaltspolitisch verfehlt“. FDP-Generalsekretär Patrick Döring bezeichnet das Betreuungsgeld als unzeitgemäß.
Der Widerstand gegen das unliebsame Gesetz ist also groß, sowohl in der Opposition als auch in den eigenen Reihen. Und langsam stellt sich die Frage, warum die CSU überhaupt noch so vehement am Betreuungsgeld festhält. "Union und FDP haben das Betreuungsgeld im Koalitionsvertrag verankert und innerhalb der Koalition beschlossen. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte jüngst die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der Süddeutschen Zeitung. Sie erwarte von Kristina Schröder einen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause. Klar, versprochen ist versprochen...
Diese ganze Debatte schwelt übrigens ungeachtet der Tatsache, dass die Herd-Prämie schon immer als schwarz-gelber „Kuhhandel“ gilt: Die CSU hatte ihrerzeit das Betreuungsgeld der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen als eine Art Wiedergutmachung für ihre Vätermonate abgetrotzt. Und im November wollte Gelb dem Betreuungsgeld zustimmen, wenn Schwarz dafür Steuersenkungen beschließt. Vorabendserienreif. Wo ist die Fernbedienung?
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Koalition beschließt Betreuungsgeld, EMMAonline 7.11.2011
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